Fachleute als Abgeordnete Wirtschaftsexperten für den Bundestag

Trotz der Finanzkrise zieht es neue Wirtschaftsexperten als Abgeordnete in den Bundestag. WirtschaftsWoche-Reporterin Cornelia Schmergal hat untersucht, was sie aus der Praxis ins Parlament treibt.

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Der Bundestag: Warum Quelle: REUTERS

Da gibt es diesen Blick, diesen leisen Zweifel, der noch bei jedem Geschäftspartner aufflackert, wenn die Rede auf die Sache mit dem Bundestag kommt. Ob das tatsächlich ernst gemeint sei mit der Kandidatur. Ob sich das überhaupt auszahle. „Was haben Sie denn davon?“, fragte kürzlich ein Mandant. „Was bringt Ihnen das?“

Wahrscheinlich bringt es Jan Mönikes gar nichts. Zumindest finanziell betrachtet. Ein Bundestagsabgeordneter verdient im Monat genau 7668 Euro brutto – eine Summe, über die ein gestandener Wirtschaftsjurist, Partner in einer großen Kanzlei, nur sehr milde lächeln kann. Selbst dann, wenn man noch alle anderen Parlamentarier-Privilegien hinzuzählt. Nein, des Geldes wegen zieht es Jan Mönikes nicht in das Parlament. Es ist etwas anderes, das ihn drängt, etwas, das nur schwer mit Worten zu beschreiben ist. Es sind die Menschen. Er habe Spaß daran, „Beziehungen zu gestalten“, sagt Mönikes. Auch wenn das für viele Mandanten etwas schwülstig klingen mag.

Bei der Bundestagswahl im September will Jan Mönikes für die SPD in den Bundestag einziehen. Und das bedeutet Wahlkampf. So kommt es, dass sein Leben derzeit in zwei Teile zerfällt. In seinem Leben als Anwalt vertritt er Unternehmen vor Gericht. In seinem Leben als angehender Abgeordneter wirbt er in Vereinsgaststätten für sich. Und beides ist für ihn ganz normal.

Praktiker aus der Wirtschaft für den Bundestag

Schon oft hat der Wirtschaftsjurist die Schreibtischseiten gewechselt. Er war Büroleiter im Bundestag, Lobbyist für IBM Deutschland, Chef der Hauptstadtrepräsentanz von AOL, Verbandsgründer, Unternehmer und Partner einer großen Kanzlei. Ein Wandler zwischen den Welten, der Politik stets nah. Mönikes gehört zu einer seltenen Spezies, zu einer Gattung, von der man sagt, das sie dem Parlament so sehr fehle: den Wirtschaftsexperten aus der Praxis.

Mögen sie doch jammern und klagen in den Parteien. Dass die Wirtschaftspolitiker vom Schlage eines Friedrich Merz verschwänden, dass es keinen ökonomisch versierten Nachwuchs in den Parteien mehr gebe, dass es die Wirtschaftsleute in den Parteien es so schwer hätten. Finanzkrise hin oder her – es gibt tatsächlich Praktiker aus der Wirtschaft, die es neu in den Bundestag zieht. Sie sind selten genug, aber sie sind echte Experten.

In diesen Wochen stellen die Parteien ihre Listen für die Bundestagswahl auf. Je weiter oben ein Kandidat dabei steht, desto sicherer ist der Einzug in den Bundestag. In der SPD wie in der CDU haben es Wirtschaftsexperten besonders schwer – in einem Jahr, in dem das Kräfteverhältnis zwischen Staat und Markt neu austariert wird. Aber die neuen Experten gibt es in fast allen Parteien. Und sie schlagen sich mutig.

Pendeln zwischen Anwaltskanzlei und Politik

Jan Mönikes lebt als ständiger Pendler. Zwischen Anwaltsjob und Politik, zwischen seiner Arbeitsstadt Berlin und seiner Heimatstadt Ludwigsburg, in der auch sein Wahlkreis liegt. Mehr als 100-mal saß Mönikes im vergangenen Jahr im Flugzeug. Vor allem Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche suchen den Rat der 30-Anwälte-Kanzlei Schalast und Partner. In der vergangenen Woche haben Mönikes und Kollegen vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen Erfolg erkämpft: Dass der Staat die Unternehmen verpflichten wolle, alle Verbindungsdaten sechs Monate lang zu protokollieren, sei unverhältnismäßig, urteilten die Richter.

Jan Mönikes, SPD, 38, kandidiert im Wahlkreis Ludwigsburg. Der Wirtschaftsjurist ist Partner in einer großen Kanzlei und berät vor allem Telekommunikationsunternehmen. Er wandert zwischen den Welten, war Büroleiter im Bundestag und Lobbyist für IBM Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Mönikes ist auch Geschäfts- führer der Initiative Euro- päischer Netzbetreiber – und hat aus dem Fall gleich ein Stück Politik gemacht. Im aktuellen „Vorwärts“, der SPD-Zeitung, hat er eine Anzeige geschaltet, um die eigene Partei zu warnen: „Ausufernde Telekommunikations- überwachung geht zulasten von Unternehmen und Bürgern.“

Bei den Sozialdemokraten wird Mönikes geschätzt; der Managerkreis der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung empfiehlt ihn als klugen Wirtschaftspolitiker. Aber viele Unternehmer, mit denen Jan Mönikes über Politik spricht, würden wohl nicht unbedingt SPD wählen. Und schon gar nicht könnten sie sich vorstellen, selbst in den Bundestag zu wechseln. „Hinter Politik und Wirtschaft steckt einfach eine andere Denkweise“, erklärt Mönikes. Politiker müssten Menschen mögen. Führungskräfte aus der Wirtschaft seien allerdings oft nicht bereit, ihre knapp bemessene Freizeit auch mit Menschen zu verbringen, „die man nicht unbedingt zu seinen Freunden zählt“. Und noch etwas sei in der Politik ganz anders als in der Wirtschaft: „Man muss akzeptieren können, dass man auch einmal nicht gewählt wird.“

In die Friedrich-Merz-Lücke der CDU

Bundesweit leiden die Wirtschaftspolitiker der SPD unter dem Problem, dass Parteitage oft vom linken Flügel der Sozialdemokratie dominiert werden. So kommt es etwa, dass die Mitglieder des wirtschaftsnahen Seeheimer Kreises meistens weit unten auf den Landeslisten landen. Sie können nur über Direktmandate in den Bundestag einziehen. Wahlforscher prophezeien aber schon jetzt, dass die SPD viele Erststimmen verlieren könnte. Andere Wirtschaftsexperten kehren der Politik ganz freiwillig den Rücken. Rainer Wend etwa, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, wechselt im April zur Deutschen Post. Alte Schröderianer wie Hans Eichel oder Gerd Andres wollen bei der Wahl im September erst gar nicht mehr antreten.

Auch die CDU weiß immer noch nicht recht, wie sie die Lücke schließen soll, die Friedrich Merz hinterlässt, wenn er im September aus dem Bundestag ausscheidet. Ihren Wirtschaftsexperten ergeht es nicht besser als denen der SPD. So muss Laurenz Meyer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion, um seinen Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Seine nordrhein-westfälischen Parteifreunde haben ihn auf einem aussichtslosen Listenplatz geparkt.

Deutsche Bank aus dem Lebenslauf streichen

Carsten Linnemann immerhin tritt für einen todsicheren Wahlkreis an. In Paderborn holt die CDU regelmäßig um die 50 Prozent der Erststimmen. Doch in diesen Tagen ist es nicht immer von Vorteil, als Mann der Wirtschaft zu gelten. Schon gar nicht, wenn man von Beruf Banker ist. Da war dieser Abend, als Carsten Linnemann in einer Kneipe für seine Nominierung warb. Aus der letzten Reihe brüllte einer der Gäste. „Die Deutsche Bank, die sollten Sie mal besser aus Ihrem Lebenslauf streichen.“ Und als Linnemanns Nominierung schließlich feststand, schrieb die örtliche Linke einen empörten Leserbrief. „Rette sich wer kann“, stand darüber.

Carsten Linnemann, CDU, 31, kandidiert im Wahlkreis Paderborn und Schloß Holte-Stutenbrock. Der promovierte Volkswirt war Analyst bei der Deutschen Bank. Heute arbeitet er als Konjunktur- und Mittelstandsexperte bei der IKB Deutshe Industriebank Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Promo- vierter Volkswirt, ehemals Analyst bei der Deutschen Bank und heute Mittelstandsexperte der IKB – ausgerechnet jener Bank , die am Anfang der deutschen Finanzkrise stand. Sein Lebenslauf weist Carsten Linnemann als echten Wirtschaftsfachmann aus. Sympathiepunkte erwirbt er damit derzeit allerdings kaum. Auch wenn er immer wieder sagt, dass er sich bei der Deutschen Bank um den Mittelstand gekümmert habe, nicht etwa um faule Kredite. Und dass er erst 14 Tage vor Ausbruch der Krise zur IKB gewechselt sei. Inzwischen aber macht Linnemann aus der Not eine Tugend. Im Wahlkampf reist er durch die Lande, um die Finanzkrise zu erklären. Und um zu beruhigen. Den Menschen, sagt er, fehle bisher die Orientierung.

Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) schätzt Linnemann als „guten Wirtschaftspolitiker“. Und Norbert Walter, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, lobt seinen ehemaligen Mitarbeiter für die Treue zu „marktwirtschaftlichen Werten“. Linnemann sei politisch engagiert, obwohl er über das „damit verbundene Arbeitsleid keinerlei Illusionen“ habe.

Eine Zeit lang hat Linnemann auch als Referent des Wirtschaftsprofessors Walter gearbeitet. Von ihm habe er gelernt, dass man mit konsequenten Argumenten selbst dann Zustimmung finden könne, wenn sie nicht dem Zeitgeist entsprächen. Und Carsten Linnemann steht für vieles, was derzeit nicht dem Zeitgeist entspricht, auch nicht in der CDU. Er findet Studiengebühren richtig, den Mindestlohn gefährlich und eine schnelle Steuerentlastung wichtig.

Zuwenig Ökonomen und Unternehmer in der Politik

Während des Stuttgarter CDU-Parteitags im Dezember fiel er den Bundestagsabgeordneten auf, als er bei einem Treffen der Mittelstandsvereinigung eine schnelle Steuerreform forderte. Auch wenn die Kanzlerin das anders sah. „Ich lasse mir das Rückgrat nicht verbiegen“, sagt Linnemann. Die kalte Progression müsse abgeschafft werden, und zwar schnell. Jemand, der in der CDU viel zu sagen hat, nahm ihn nach seinem Auftritt zur Seite und raunte ihm zu: „Ich wünsche Ihnen viel Glück. Aber als Wirtschaftspolitiker in der CDU tun Sie mir jetzt schon leid.“

Ökonomen sind im Parlament bislang Mangelware, Unternehmer die Ausnahme. Zu einer echten Rarität ist im Bundestag inzwischen aber eine besondere Spezies geworden: In der Statistik findet sich unter 612 Abgeordneten nur eine Handvoll Handwerker. Wirtschaftsminister Michael Glos ist gelernter Müllermeister. Bäckermeister Ernst Hinsken, Tourismus-Beauftragter der Regierung, produziert in der eigenen Backstube Elisen-Lebkuchen, die er zum Jahresende an Parteifreunde verschenkt. Und Ex-Arbeitsminister Walter Riester, gelernter Fliesenleger, pflegt sein Häuschen stets selbst zu renovieren. Solchen Personalien zum Trotz – um den Mittelstand hat sich die Bundesregierung bisher nicht besonders verdient gemacht.

Mittelständler für die FDP

Nun aber zieht Manfred Todtenhausen aus, die Statistik zu bereichern. Und die Wirtschaftspolitik sowieso. Es war im November, als die nordrhein-westfälische FDP ihre Liste für die Wahl aufstellte. Manfred Todtenhausen, Schnauzbartträger aus Leidenschaft und bekennender Wuppertaler, bewarb sich mit flammender Rede. „Ich bin der kleine Handwerksmeister, von dem immer nur gesprochen wird, der aber nie zu Wort kommt“, brüllte er ins Mikrofon.

Manfred Todtenhausen, FDP, 58, kandidiert im Wahlkreis Wuppertal. Der Elektrotechnikermeister führt seinen eigenen Betrieb mit 12 Beschäftigten und ist Vizechef des Bundesverbandes liberaler Mittelstand. Er hat vorgesorgt: Seine Nachfolge im Unternehmen ist geregelt. Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

In Berlin gebe es viel, was er anders machen würde. Die Steuern vereinfachen. Ein Bürgergeld einführen. Die Aufgaben des Staates begrenzen. Todtenhausens Rede zog Kreise. In Berlin mailen sich Abgeordneten längst eine Kopie aus dem Internet zu. „Der kleine Handwerksmeister“, so lautet der Titel. Dabei ist das wohl etwas untertrieben. Immerhin amtiert Todtenhausen als Vizechef des Bundesverbandes liberaler Mittelstand.

Daheim in Wuppertal, im eigenen Elektro-Betrieb, ist Todtenhausen Chef über zwölf Mitarbeiter. Die Hälfte seiner Zeit geht inzwischen für die Politik drauf. Wahlkampf und Betrieb – das ginge gar nicht zusammen, wenn nicht seine ganze Mannschaft hinter ihm stünde, sinniert Todtenhausen. Nur die Kollegen in anderen Betrieben verstehen ihn längst nicht immer. „Die einen sagen: Super, wir brauchen Leute wie dich in Berlin, dann ist endlich mal jemand von uns im Bundestag“, erzählt Todtenhausen. Und dann gibt es noch die anderen, die sagen: „Hast du nix besseres zu tun? Du kannst doch nicht deine Firma für die blöde Politik vernachlässigen.“

Handwerkmeister für die Liberalen

Aber Manfred Todtenhausen fasst das mit der eigenen Firma etwas weiter. Als Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor drei Jahren beschloss, den Unternehmen 13-mal im Jahr Sozialabgaben abzuverlangen, da platzte ihm der Kragen. Todtenhausen raffte sich auf, die Sache bis vor das Bundesverfassungsgericht durchzukämpfen. Und so kam er zu seinem ersten Auftritt vor der Bundespresse in Berlin, vor der vielbeschworenen Meute.

„Damals ging es um 23 Milliarden Euro. Da wird die Regierung nicht gleich einknicken, wenn so ein kleiner Todtenhausen eine Verfassungsklage plant“, sagt er. Am Ende aber gab Ulla Schmidt doch nach, ein kleines bisschen jedenfalls, und entschärfte ihre Pläne. Vielleicht auch wegen Manfred Todtenhausen. Wenigstens glaubt er seither, dass auch „ein kleiner Handwerksmeister“ in der großen Politik einiges bewegen kann.

Ab 16 Prozent Einzug in den Bundestag

Manfred Todtenhausen ist vorbereitet. Wenn er es in den Bundestag schafft, dann übernimmt ein Nachfolger die kleine Elektrofirma. Todtenhausen steht auf Platz 22 der Landesliste. In Nordrhein-Westfalen müsste die FDP 16 Prozent der Zweitstimmen holen, damit er es in den Bundestag schafft. Vor ein paar Wochen schien das noch ausgeschlossen. Dann wurden die Liberalen in Hessen zu Wahlgewinnern. Seither hofft Manfred Todtenhausen auf seine Chance. Für die FDP-Fraktion wäre er ein echter Neuzugang. In dieser Wahlperiode sitzt für die Liberalen kein einziger Handwerksmeister im Parlament.

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