Fack ju Noten! Privatschulen boomen – für wen lohnt sich der Wechsel?

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Nicht per se besser

Zwischen 300 und 400 Bewerbungen gehen jedes Jahr an der Evangelischen Schule ein. Da aber Kinder, die schon die dazugehörige Grundschule besucht haben, bevorzugt werden, gibt es weniger als zehn freie Plätze für Externe. Das druckbefreite Lernmodell überzeugt offenbar viele Eltern. Statt Mathe und Deutsch stehen dann Fächer wie „Verantwortung“ auf dem Stundenplan.

Für Linda beginnt gleich nach den Ferien die zweite „Herausforderung“. Mit drei anderen Schülern will sie mit dem Rad von Berlin nach Usedom fahren. Begleitet werden sie von einem Betreuer, den sich die Gruppe selbst suchen musste. Das Budget: 150 Euro pro Kopf. Davon müssen sie alles bezahlen – vom Essen bis zum Schlafplatz. „Die Kinder kommen total verändert wieder“, sagt Margret Rasfeld, Direktorin der Schule. „Sie sind mutiger, haben gelernt, Entscheidungen zu treffen und Konflikte zu lösen.“

Was Schüler in der neunten Klasse können sollen

Die Evangelische Schule ist Teil des Netzwerks alternativer Schulen, rund 100 Einrichtungen unterrichten bundesweit nach ähnlichen Konzepten. Es sind vor allem solche Alternativschulen, denen der gesamte Privatschulsektor sein Wachstum zu verdanken hat. Mal werden Eltern aktiv, weil sie mit der Auswahl vor Ort unzufrieden sind. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern sind es oft Elterninitiativen auf dem Land, die eigene Schulen gründen, wenn der Staat sich angesichts sinkender Schülerzahlen komplett zurückzieht. Anderswo ziehen die Alternativschulen Kinder an, weil sie auch denen eine Chance geben, die mit dem Leistungsdruck des staatlichen Systems nicht klarkommen. Das erklärt zum Beispiel die verhältnismäßig große Verbreitung der Schulen im Pisa-Wunderland Bayern, wo die strengen und bindenden Lehrerempfehlungen vielen Kindern den Weg aufs Gymnasium versperren und es zugleich wenig Alternativen innerhalb des Systems gibt.

Noch funktioniert das Miteinander

NRW-Ministerin Löhrmann bleibt erstaunlich gelassen angesichts des rapiden Wachstums der privaten Konkurrenz. „Privatschulen sind eine Ergänzung zu den staatlichen Schulen, sie bringen neue Ideen in das gesamte System“, sagt die grüne Schulministerin. Manche ihrer Kollegen sehen den Trend mit deutlich mehr Skepsis: In Thüringen und Sachsen kappten die Landesverwaltungen jüngst die Zuschüsse für private Schulen, wurden aber vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen. Den Boom der privaten Bildung sieht Löhrmann vor allem als Zeichen wachsenden Verantwortungsbewusstseins: „Die Eltern von heute treffen für ihre Kinder sehr bewusste Entscheidungen, was die Schulwahl angeht. Sie wollen nichts dem Zufall überlassen.“

Vielleicht liegt diese Gelassenheit auch an Löhrmanns persönlicher Geschichte. Als Kind war sie selbst auf einem privaten Mädchengymnasium, erinnert sich gern daran zurück. „Ich habe eine schöne Schulzeit gehabt“, sagt Löhrmann, „es war aber auch nicht viel anders als an einer normalen Schule – abgesehen davon, dass es dort nur Mädchen gab.“ Genau diese Selbstverständlichkeit predigt Löhrmann auch für den Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Schulen. „Privatschulen haben die Möglichkeit, schneller Dinge auszuprobieren“, sagt Löhrmann, „wir müssen deshalb die Offenheit bewahren, gute Ideen von dort an staatliche Schulen übernehmen zu können.“

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