Als Daniela Lange die Tasche mit den Tablet-Computern hervorholt, können die 24 Jugendlichen kaum an sich halten. „Emma? Jakob? Kazim? Rana?“ Lange ruft die Namen, die Jugendlichen springen der Reihe nach von ihren Plätzen auf, strecken ihr die Hände entgegen, einen Ich-muss-das-sofort-haben-Blick im Gesicht. Lange verteilt, und langsam wird es ruhiger. Denn sie hat tatsächlich für jeden ein iPad dabei, am Ende daddeln alle ruhig vor sich hin.
Was hier veranstaltet wird, ist keine Charity-Veranstaltung, sondern der erste Schultag in der Freien Schule Anne-Sophie. Deren Räume liegen im obersten Stock des Einkaufszentrums Zehlendorfer Welle in Berlins noblem Südwesten, und auch sonst wird sofort klar, dass dies zwar Schule heißt, aber doch ganz anders ist als das, was man sich landläufig darunter vorstellt.
Schon nach ein paar Minuten ist Schluss mit der Spielerei, „Werte“ steht auf dem Stundenplan, die Tablets werden zur Seite geräumt. Lange, eine gemütliche Endzwanzigerin in Blümchenbluse, tritt vor die Klasse. Statt „Schüler“, sagt sie „Lernpartner“ zu den Jugendlichen, sich selbst stellt sie als Lernbegleiterin – altdeutsch „Lehrerin“ – vor, was folgt ist kein Unterricht, sondern: Input. 45 Minuten spricht Lange über Achtsamkeit und Wertschätzung, Zuversicht und Lernbereitschaft. Aber sie sagt auch: „Freie Schule bedeutet nicht Laisser-faire – die Freiheit, die ihr habt, funktioniert nur mit Verantwortung für euch selbst.“
"Fack Ju Göhte 2" bricht Rekord
Nicht nur in Zehlendorf ist diese Art der Freiheit derzeit sehr gefragt. In ganz Deutschland besuchen in den vergangenen Jahren mehr und mehr Schüler private Schulen, von der Grundschule bis zum Berufskolleg gibt es inzwischen in jeder Stadt dutzendfach Alternativen zum staatlichen Betrieb. 1992 besuchten 4,8 Prozent aller Schüler private Einrichtungen, heute sind es 9 Prozent, in Sachsen fast 14 Prozent. Insgesamt gibt es in Deutschland knapp 6000 private Schulen, die meisten haben lange Wartelisten. Seit den ersten Pisa-Untersuchungen 2000 hat sich in Deutschland eine Unzufriedenheit mit dem Bildungssystem breitgemacht, die es in der Grundsätzlichkeit vorher nicht gab.
Mit der Fortsetzung der Chaosschulkomödie „Fack ju Göhte“ scheint ein Regisseur das Befinden des Volks getroffen zu haben. Den ersten Teil des Films sahen mehr als sieben Millionen Menschen - der zweite brach schon kurz nachdem er in den Kinosälen angelaufen war den Start-Rekord: „Fack Ju Göhte 2“ machte in nur vier Tagen 17,6 Millionen Euro Umsatz - der höchste aller Zeiten für den Start eines deutschen Films laut Media Control.
Die Politik will von dieser Unzufriedenheit nichts wissen: „Es gibt doch eine große Breite unterschiedlicher Schulformen“, sagt Sylvia Löhrmann, Schulministerin in Nordrhein-Westfalen. „Wer ein alternatives pädagogisches Konzept sucht, der muss nicht auf Privatschulen ausweichen.“ So mag die Unzufriedenheit mit dem aktuellen System nicht der einzige Grund der Entwicklung sein. Denn Privatschulen sind ausgerechnet dort am gefragtesten, wo die Pisa-Ergebnisse am besten sind. Wie in Sachsen besuchen auch in Thüringen und Bayern deutlich über zehn Prozent der Schüler private Schulen.
Gründe? Vielleicht hat das zunächst zarte Wachstum der privaten Bildung einfach eine Eigendynamik entfacht. Mit jedem Kind, das mit Begeisterung und Freude am Lernen aus der Montessorischule oder dem bilingualen Internat nach Hause kommt, entsteht eine Geschichte, die andere Eltern anstiftet, einen ähnlichen Weg zu wählen.
Und so stellt sich gerade jetzt zu Schuljahresbeginn, da die Eindrücke aus dem Schulalltag besonders intensiv sind und der Zeitpunkt für die Planung des nächsten Schulübergangs schon gekommen ist, vielen Eltern die Frage, ob private Schulen auch für ihre Kinder die geeignete Alternative sein könnten.
Gar nicht so furchtbar alternativ
In der Zehlendorfer Anne-Sophie-Schule nennen sie vor allem ein Wort, wenn sie die Besonderheit ihres Lernmodells beschreiben sollen: Selbstständigkeit. Jedes Kind hat seinen eigenen Schreibtisch in einem Lernbüro, das aussieht wie ein Co-Working-Space in San Francisco. In einem Rollcontainer verstauen die Schüler Laptop, Tablet-Computer und Schreibzeug. Für Gruppenbesprechungen stehen sogenannte Inputtheken bereit. An diesen ovalen Stehtischen werden auch die Unterrichtseinheiten absolviert. „Die Kinder sind viel konzentrierter, wenn sie sich nicht in ihre Stühle lümmeln können“, sagt Lehrerin Lange. „Besprechungen, die im Stehen abgehalten werden, sind kürzer und effektiver.“
Ansonsten aber steht die Zehlendorfer Schule für einen Typ Alternativschule, der gar nicht so furchtbar alternativ sein möchte. Anders ist lediglich der Anspruch, all das besser zu machen, was in der Regelschule vermeintlich falsch läuft. Deshalb wirbt die Schule mit kleinen Klassen, motivierten Lehrern, toller Infrastruktur. Diesen Unterschied lassen sich Eltern etwas kosten, zwischen 100 und 890 Euro zahlen sie im Monat. Trotzdem reicht das nicht. Jährlich fließen mehrere Millionen Euro vom Träger der Schule, der Würth-Stiftung, in die Zehlendorfer Einrichtung.
Nicht anders, nur besser
Privatschulen vom Typ Anne-Sophie sind vor allem etwas für diejenigen Eltern, die ihren Kindern zwar das Beste zukommen lassen wollen, aber im Kern nicht an den Methoden des traditionellen Schulsystems zweifeln: lernen und Prüfungen bestehen.
Auch die Phorms-Schule, ein paar Kilometer vom Zehlendorfer Einkaufszentrum entfernt, funktioniert nach diesem Prinzip. Wer hier den Unterricht besucht, dem fällt vor allem eins auf: die außergewöhnlichen Sprachkenntnisse der Schüler. Am ersten Schultag sitzen die Schüler der neunten Klasse zusammen, der Lehrer fragt nach Ferienerlebnissen. Ein Junge erzählt in perfektem Englisch von drei Wochen Surf-Urlaub in Kalifornien. Wie die meisten Schüler, die auf die Phorms-Schule in Berlin-Mitte gehen, ist auch er zweisprachig aufgewachsen. Viele Kinder haben mit ihren Eltern bereits im Ausland gelebt oder sind wegen der Arbeit ihrer Eltern nach Deutschland gekommen. Auch die Hälfte der Lehrer kommt aus dem Ausland. „Ein Kanadier unterrichtet anders als ein Deutscher“, sagt Marc Vehlow, Leiter des Gymnasialzweigs. „Die Kinder erleben so kulturelle Vielfalt.“
Trotz der Elternbeiträge fährt die Phorms Education SE, zu der deutschlandweit neben den beiden Berliner Standorten sechs weitere Schulen gehören, Jahr für Jahr Verluste ein, auch die Berliner Einrichtung ist nur zur Hälfte ausgelastet. „Die Idee, aus dem Betrieb von Schulen ein Geschäftsmodell zu machen, ist in Deutschland weitgehend gescheitert“, sagt Stephan Köppe, Bildungsforscher an der Universität Dublin. Gerade ist sein Buch „Wohlfahrtsmärkte“ erschienen, darin vergleicht er Renten- und Bildungsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA. Sein Fazit zu Deutschland: „Der private Bildungssektor wächst zwar rasant, ein echter Markt wird daraus so schnell trotzdem nicht.“ Zwei Standorte hat Phorms wieder aufgegeben, auch die wenigen anderen Anbieter wachsen nicht sehr dynamisch. Der TÜV Rheinland betreibt insgesamt vier Schulen in Görlitz, Dresden, Gera und Leipzig, der Stuttgarter Klett-Verlag hat sich mit dem Schweizer Bildungskonzern Kalaidos zusammengetan, unter dem Label Swiss International School versucht man Unternehmen dafür zu gewinnen, an ihren Produktionsstandorten Privatschulen zu errichten, um deren internationale Manager zu versorgen. Fünf davon gibt es bundesweit.
Üppig alimentiert vom Staat
Die Probleme des Geschäftsmodells Privatschule ergeben sich aus dem besonderen deutschen Regelwerk, das es nahezu unmöglich macht, sehr viel Schulgeld zu verlangen. Schulen haben einen erstaunlich prominenten Platz im deutschen Rechtssystem. Im Grundgesetz ist ihnen – gleich nach dem Schutz der Ehe – ein eigener Passus gewidmet. So schreibt Artikel 7 das Recht zur Gründung privater Schulen fest.
Damit wollten die Väter der Bundesrepublik verhindern, dass das Schulsystem noch einmal zur Instanz der massenhaften Indoktrination wie während des Dritten Reichs würde – und kirchliche Schulen stützen.
Üppige Zuschüsse vom Staat
Bis heute werden Privatschulen deshalb üppig vom Staat alimentiert, die Länder zahlen zwischen 60 und 90 Prozent ihrer Kosten. Zugleich schafft das Grundrecht eine hohe Hürde: Der Betrieb von Privatschulen ist zu gewährleisten, solange „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“. Mit anderen Worten: Elternbeiträge sind erlaubt, aber nur in engen Grenzen. Das macht eine Elitenbildung, wie sie manche Eltern sich wünschen, quasi unmöglich. Umgehen kann man dieses Verbot der sozialen Auswahl per Schulbesuch daher nur an sogenannten Ergänzungsschulen: Die genießen keine öffentliche Förderung, dürfen im Gegenzug aber Beiträge in unbegrenzter Höhe verlangen. Zu diesen zählen viele Internationale Schulen. An Ergänzungsschulen kann auch kein gewöhnlicher deutscher Schulabschluss wie das Abitur erlangt werden. Stattdessen erhalten die Schüler hier ein International Baccalaureate, das in vielen Ländern zum Studium berechtigt – so auch in Deutschland.
Die meisten privaten Schulen stürzt das sogenannte „Sonderungsverbot“ in ein Dilemma. Es beschränkt ihre Einnahmequellen so sehr, dass sie versuchen müssen, Räume und Personal so effizient wie möglich zu nutzen. Das aber kostet sie Attraktivität, da viele Eltern private Schulen gerade wegen der kleinen Klassen auswählen. Der Großteil der privaten Schulen in Deutschland arbeitet deshalb nicht gewinnorientiert, sondern wird von Elternvereinen oder Kirchen getragen, so auch in Berlin.
Kinder entscheiden selbst, was sie lernen
Härter könnte der Kontrast nicht sein. Rund vier Kilometer von der denkmalgeschützten Backsteinfassade der Phorms-Schule entfernt werden die Schüler der Evangelischen Schule Berlin Zentrum von der graffitibunten Fassade eines ausrangierten Wohnwagens begrüßt. Auch das dahinterliegende Schulgebäude ist hoch bis zur zweiten Etage bemalt. Auf einer Mauer vor der Schule sitzen Maxi Strauch und Joe Zeiler und erwarten ihre Töchter. „Das herkömmliche Schulsystem ist so strukturiert, dass es früh um Selektion geht“, sagt Strauch. „Ich wollte nicht, dass mein Kind auf eine Schule geht, die das Prinzip der auf Ellenbogen basierten Leistungsgesellschaft vermittelt.“
Können Sie diese PISA-Aufgaben lösen?
An Manuelas Schule führt der Physiklehrer Tests durch, bei denen 100 Punkte zu erreichen sind. Manuela hat bei ihren ersten vier Physiktests durchschnittlich 60 Punkte erreicht. Beim fünften Test erreichte sie 80 Punkte. Was ist Manuelas Punktedurchschnitt in Physik nach allen fünf Tests?
a) 64 Punkte
b) 72 Punkte
c) 68 Punkte
Fünf Seiten eines Würfels von drei Zentimetern Kantenlänge werden rot angestrichen, die sechste Fläche bleibt ohne Anstrich. Wie viel Prozent der Würfeloberfläche sind rot?
a) Etwa 60 Prozent
b) Etwa 83 Prozent
Wie tief ist der Tschadsee heute?
a) Etwa 15 Meter
b) Etwa fünfzig Meter
c) Etwa zwei Meter
Wie verändert sich das Gewicht auf der Waage wenn man beim Wiegen schwungvoll in die Knie geht?
a) Es ändert sich gar nichts an der Gewichtsangabe
b) Das Gewicht wird für diesen Moment höher angezeigt
c) Das Gewicht wird kurzzeitig geringer angezeigt
Die Temperatur im Grand Canyon reicht von unter 0 Grad bis über 40 Grad. Obwohl es sich um eine Wüstengegend handelt, gibt es in einigen Felsspalten Wasser. Wie beschleunigen diese Temperaturschwankungen und das Wasser in den Felsspalten die Zersetzung des Gesteins?
a) Gefrierendes Wasser dehnt sich in Felsspalten aus
b) Gefrierendes Wasser löst warmes Gestein auf
c) Wasser kittet Gestein zusammen
Wie wirkt es sich aus, wenn Sie eine dunkle Sonnenbrille ohne UV-Schutz tragen?
a) Es gelangen mehr UV-Strahlen ins Auge als ohne Brille.
b) Es gelangen weniger UV-Strahlen ins Auge als ohne Brille.
c) Es gelangen genau so viele UV-Strahlen ins Auge wie ohne Brille.
Frage 1: a
Frage 2: b
Frage 3: c
Frage 4: c
Frage 5: a
Frage 6: a
Dafür ist an der Evangelischen Schule gesorgt: Kommt ihre Tochter Linda morgens dort an, entscheidet sie ganz allein, was sie lernen will. Benötigt sie Hilfe, fragt sie ihre Mitschüler. Erst wenn die nicht mehr weiterwissen, geht sie zum Lehrer. Ihre Lernfortschritte trägt die 13-Jährige in ein Logbuch ein, Noten gibt es erst ab der neunten Klasse. Tests schreibt sie nur, wenn sie sich ausreichend vorbereitet fühlt.
Nicht per se besser
Zwischen 300 und 400 Bewerbungen gehen jedes Jahr an der Evangelischen Schule ein. Da aber Kinder, die schon die dazugehörige Grundschule besucht haben, bevorzugt werden, gibt es weniger als zehn freie Plätze für Externe. Das druckbefreite Lernmodell überzeugt offenbar viele Eltern. Statt Mathe und Deutsch stehen dann Fächer wie „Verantwortung“ auf dem Stundenplan.
Für Linda beginnt gleich nach den Ferien die zweite „Herausforderung“. Mit drei anderen Schülern will sie mit dem Rad von Berlin nach Usedom fahren. Begleitet werden sie von einem Betreuer, den sich die Gruppe selbst suchen musste. Das Budget: 150 Euro pro Kopf. Davon müssen sie alles bezahlen – vom Essen bis zum Schlafplatz. „Die Kinder kommen total verändert wieder“, sagt Margret Rasfeld, Direktorin der Schule. „Sie sind mutiger, haben gelernt, Entscheidungen zu treffen und Konflikte zu lösen.“
Was Schüler in der neunten Klasse können sollen
Es ging um die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik) – und zwar über alle Schulformen hinweg. In Mathematik wurden sechs Kompetenzformen aus dem gesamten Spektrum mathematischen Arbeitens untersucht, wie „Probleme mathematisch lösen“ aber auch „Raum und Form“ sowie „Daten und Zufall“. In den Naturwissenschaften ging es vor allem um Grundbildung, aber auch um fachübergreifendes Problemlösen.
Die Aufgaben wurden auf der Grundlage der von den Kultusministern für alle Bundesländern verbindlich eingeführten Bildungsstandards für diese Fächer entwickelt – unter Mitwirkung von Schulpraktikern. Bildungsstandards beschreiben, was ein Schüler am Ende einer Jahrgangsstufe können soll. Sie gelten für Lehrer als pädagogische Zielvorgabe und haben damit die zuvor in allen Bundesländern unterschiedlichen Lehrpläne abgelöst.
Die Untersuchung fand vormittags in der Schule statt und dauerte jeweils etwa dreieinhalb Zeitstunden (inklusive Pausen). Hinzu kamen anschließend Interviews mit Schülern, Fachlehrern und Schulleiter über die Lernbedingungen.
Der „Klassiker“ ist die weltweite PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Des weiteren gibt es noch die internationale IGLU-Grundschulstudie und die internationale TIMSS-Untersuchung mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften – sowohl für die Grundschule als auch für die achten Klassen. Allerdings haben die Kultusminister bei PISA und IGLU die zuvor üblichen Bundesländervergleiche gestoppt. Deutschland macht zwar bei den internationalen Studien weiter mit, aber nur noch mit einer kleineren nationalen Stichprobe – etwa 5000. Dies ermöglicht kein Bundesländer-Ranking.
Darüber lässt sich nur spekulieren: Die Kultusminister können die politisch brisanten Bundesländervergleiche auf der Basis ihrer eigenen vereinbarten Bildungsstandards sicherlich besser steuern. Auch das IQB arbeitet im Auftrag der Kultusministerkonferenz. Zuvor war es vor allem mit den internationalen PISA-Forschern der OECD wegen der ungünstigen deutschen Chancengleichheitswerte und der Schulstrukturfrage immer wieder zu Konflikten bei der Interpretation von Daten gekommen.
Überraschend ist, dass neben allen ostdeutschen Ländern diesmal aus dem Westen nur Bayern und Rheinland-Pfalz durchgängig gut abschneiden. Mathematik und Naturwissenschaften waren eine Domäne der DDR-Schulen. Auf die Fachlehrerausbildung legte man hier besonderen Wert. Auch spielen die Naturwissenschaften auf den Stundentafeln der ostdeutschen Schulen heute noch eine größere Rolle als im Westen.
Die Studie belegt erneut die erschreckend hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft in Deutschland. Neuntklässler aus der Oberschicht haben gegenüber Gleichaltrigen aus bildungsfernen Schichten einen Lernvorsprung in Mathematik von fast drei Schuljahren.
Bildungsexperten raten seit Jahren, nicht ganze Bundesländer miteinander zu vergleichen, sondern besser Regionen mit ähnlichen Wirtschaftsstrukturen und Problemlagen. Also etwa Berlin mit dem Ruhrgebiet, wegen der hohen Ausländerquoten unter den Schülern, oder ländliche Gebiete im Osten Deutschlands mit denen im Westen, wegen Abwanderung und Bevölkerungsrückgang.
Die Evangelische Schule ist Teil des Netzwerks alternativer Schulen, rund 100 Einrichtungen unterrichten bundesweit nach ähnlichen Konzepten. Es sind vor allem solche Alternativschulen, denen der gesamte Privatschulsektor sein Wachstum zu verdanken hat. Mal werden Eltern aktiv, weil sie mit der Auswahl vor Ort unzufrieden sind. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern sind es oft Elterninitiativen auf dem Land, die eigene Schulen gründen, wenn der Staat sich angesichts sinkender Schülerzahlen komplett zurückzieht. Anderswo ziehen die Alternativschulen Kinder an, weil sie auch denen eine Chance geben, die mit dem Leistungsdruck des staatlichen Systems nicht klarkommen. Das erklärt zum Beispiel die verhältnismäßig große Verbreitung der Schulen im Pisa-Wunderland Bayern, wo die strengen und bindenden Lehrerempfehlungen vielen Kindern den Weg aufs Gymnasium versperren und es zugleich wenig Alternativen innerhalb des Systems gibt.
Noch funktioniert das Miteinander
NRW-Ministerin Löhrmann bleibt erstaunlich gelassen angesichts des rapiden Wachstums der privaten Konkurrenz. „Privatschulen sind eine Ergänzung zu den staatlichen Schulen, sie bringen neue Ideen in das gesamte System“, sagt die grüne Schulministerin. Manche ihrer Kollegen sehen den Trend mit deutlich mehr Skepsis: In Thüringen und Sachsen kappten die Landesverwaltungen jüngst die Zuschüsse für private Schulen, wurden aber vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen. Den Boom der privaten Bildung sieht Löhrmann vor allem als Zeichen wachsenden Verantwortungsbewusstseins: „Die Eltern von heute treffen für ihre Kinder sehr bewusste Entscheidungen, was die Schulwahl angeht. Sie wollen nichts dem Zufall überlassen.“
Vielleicht liegt diese Gelassenheit auch an Löhrmanns persönlicher Geschichte. Als Kind war sie selbst auf einem privaten Mädchengymnasium, erinnert sich gern daran zurück. „Ich habe eine schöne Schulzeit gehabt“, sagt Löhrmann, „es war aber auch nicht viel anders als an einer normalen Schule – abgesehen davon, dass es dort nur Mädchen gab.“ Genau diese Selbstverständlichkeit predigt Löhrmann auch für den Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Schulen. „Privatschulen haben die Möglichkeit, schneller Dinge auszuprobieren“, sagt Löhrmann, „wir müssen deshalb die Offenheit bewahren, gute Ideen von dort an staatliche Schulen übernehmen zu können.“
Keine signifikanten Unterschiede
So seien gerade im Grundschulbereich viele Ideen aus den Montessorischulen auch an staatlichen Stellen umgesetzt worden. In einigen Bundesländern, darunter NRW, gibt es sogar staatliche Grundschulen, die ganz nach dem Montessorikonzept unterrichten. Der Anteil der Schüler an Privatschulen ist mit 8,7 Prozent entsprechend geringer als anderswo, dabei ist die öffentliche Förderung in NRW so üppig wie sonst nirgends.
„Es ist nicht belegt, dass private Schulen per se besser sind als staatliche Schulen“, sagt Löhrmann. Als Beleg zieht sie den von der Bertelsmann Stiftung vergebenen Deutschen Schulpreis heran, bei dem regelmäßig staatliche Schulen die Preise abräumen.
Zumindest wenn man die Leistungen der Schüler als Maßstab nimmt, trifft das zu. So preist die Alternativschulleiterin Rasfeld den Notenschnitt ihrer Abiturienten, der mit 2,0 deutlich über dem bundesweiten Schnitt liege. Der reicht von 2,17 in Thüringen bis zu 2,61 in Niedersachsen. Der Schnitt allein sagt aber nicht allzu viel aus. „Vergleicht man die Pisa-Ergebnisse von Privatschülern mit denen von öffentlichen Schulen, so lassen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen“, so Bildungsforscher Köppe.
Zwar schneiden die Privatschüler im Durchschnitt leicht besser ab, sobald man den Einfluss des elterlichen Einkommens und Bildungsstands herausrechnet, verflüchtigt sich dieser Vorsprung jedoch umgehend.
Dennoch kann der Wechsel auf eine private Schule im Einzelfall zu deutlichen Verbesserungen führen. Gerade für Kinder, die mit dem Leistungsdruck oder der Konformität einer staatlichen Schule nicht klarkommen, bietet sich ein Wechsel an. Und in einer Hinsicht schneiden die Privatschulen auch in Vergleichsuntersuchungen durchgehend besser ab: bei der Zufriedenheit von Eltern und Schülern.
An der Freien Schule Anne-Sophie in Berlin Zehlendorf macht Daniela Lange dem ersten Schultag zügig ein Ende. Die Hitze staut sich im Raum, die Konzentration lässt nach. Ein Punkt ist Lange aber noch wichtig. Was sie denn das nächste Mal besser machen könne, fragt sie in die Runde.
Die Kinder gucken sich etwas ratlos an, zucken mit den Schultern. Zögerlich meldet sich ein Junge: „Können wir jetzt gehen?“, fragt er. Das Beste ist immer noch der Unterrichtsschluss – egal, ob an privaten oder staatlichen Schulen.