Fake News Die Jäger der falschen Nachrichten

Falschmeldungen im Netz sind ein lukratives Geschäft. Weltweit jagen Freiwillige den Lügen hinterher. Haben sie überhaupt eine Chance? Ein Besuch bei den Jägern der Fake News im Netz.

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Falsche Nachrichten wie diese überschwemmen das Netz.

Einmal sind die Wahrheitssucher von Mimikama selbst auf eine Lüge reingefallen. Im Januar 2016 geht auf Twitter das Gerücht um, dass in Berlin ein Flüchtling erfroren sei. Nach kurzer Zeit schreibt ein Helfer auf Facebook: Ja, der 24-jährige Syrer ist tot. Andre Wolf veröffentlicht die Meldung.

Doch am Abend stellt sich heraus, dass der Helfer gelogen hatte. Seitdem haben Andre Wolf und das Team von Mimikama (Suaheli für: „Gefällt mir“) ein Prinzip: kein Artikel ohne offizielle Stellungnahme der Behörden, selbst wenn das viel Zeit kostet und Zeit im Internet eigentlich nie vorhanden ist.

Denn Wahrheit ist das Wichtigste im Job von Andre Wolf. Der 39-Jährige ist Fake-Jäger. Er überprüft Nachrichten und Bilder, die millionenfach geteilt werden: Donald Trump tot nach Herzattacke. Burka-Pflicht für deutsche Frauen. Flüchtlinge erhalten Bordellgutscheine.

Alle zehn Minuten gibt das E-Mail-Postfach von Wolf einen Ton von sich, mittlerweile bekommt er bis zu 150 Hinweise pro Tag. Mimikama ist die größte deutschsprachige Plattform, die solche Falschmeldungen untersucht und entlarvt und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam macht. Der Verein hat rund 20 Helfer und finanziert sich über Spenden und Werbeanzeigen. „Würde meine Frau nicht arbeiten, könnte ich das nicht machen“, sagt er.

Es sind nicht nur Idealisten wie Wolf, die neuerdings gegen die Lügen im Netz ankämpfen. Seit einigen Wochen wollen auch die Mächtigen der Internetwelt den Kampf um die Wahrheit aufnehmen. Facebook etwa plant, Falschmeldungen mit Hinweisen zu kennzeichnen. Google sperrte 200 Fake-News-Seiten aus dem Werbesystem. Und in Brüssel analysiert eine elfköpfige EU-Einsatzgruppe Propaganda und Lügen aus Russland. Auf „Disinformation Review“ entlarvt sie Geschichten wie jene von den 700.000 Deutschen, die wegen Merkels Politik das Land verlassen haben.

Nur: Wer entscheidet in Zukunft, was wahr ist und was falsch? Sind es ehrenamtliche und idealistische Fake-Jäger wie das Team von Mimikama? Die Internetgiganten? Oder sollte nicht die Politik etwas gegen die Lügen im Netz tun? Die Grenzen zwischen Wahrheit, Meinungsfreiheit und Propaganda werden derzeit neu ausgehandelt – Ausgang noch völlig offen.

Andre Wolf

Falschmeldungen hat es dabei schon immer gegeben. Neu aber ist die Wucht, die die Lügen entfachen, sobald sie sich wie Digital-Tsunamis aufgebauscht haben. Im vergangenen Dezember etwa stürmt ein junger Mann mit einer Pistole eine Pizzeria in Washington – er hatte bei Twitter verfolgt, dass Hillary Clinton dort einen Kinderpornoring betreibe. Eine von Tausenden Falschmeldungen, die plötzlich zur Klaviatur des US-Wahlkampfs gehörten. „Papst unterstützt Donald Trump“, „George Soros hat Wählerstimmen gekauft“, „Hillary Clinton liefert Waffen an den ‚IS‘ “.

Vor allem Anti-Clinton-Lügengeschichten verbreiteten sich vor der Wahl. Viermal häufiger als jene Falschmeldungen, die Trump verleugneten, wie Forscher der Universität Stanford ermittelten. Das könnte die Wahl mitentschieden haben.

Die Fälscher selbst sind oft unpolitisch

Dabei sind die Fälscher selbst oft unpolitisch. Die meisten wollen nur Klicks generieren. Denn das Geschäft mit den Lügen lohnt sich und ist simpel: Ihre Macher gestalten eine Seite, die aussieht wie ein Nachrichtenportal. Dann erfinden sie Inhalte. Je emotionaler, je spektakulärer, je beängstigender, desto mehr Menschen klicken die falschen Nachrichten an. Und je mehr Klicks, desto mehr Geld: Die Werbeflächen um die Falschmeldungen lassen sich lukrativ vermarkten.

So hat in den USA ein junger Mann binnen weniger Tage 5000 Dollar verdient, nachdem er eine Fake-Meldung über gefundene ausgefüllte Wahlzettel veröffentlichte. In Mazedonien hat sich das digitale Lügen zu einer kleinen Industrie entwickelt, von der zahlreiche Menschen im US-Wahlkampf lebten.

Was für einige ein einträgliches Geschäft ist, vergiftet den politischen Diskurs. Je mehr Falschmeldungen kursieren, umso zerbrechlicher das Vertrauen in die Medien und desto fragwürdiger Informationen insgesamt. Die offene Gesellschaft schlägt dann schnell um in eine misstrauische Gesellschaft. Nur eine gesunde Demokratie kann den Zusammenhalt wieder kitten.

Doch die Demokratie ist in Gefahr, wenn selbst ihre obersten Vertreter sie verdrehen. So bezeichnete Donald Trump in seiner ersten Pressekonferenz den Sender CNN als Fake-News-Channel und verweigerte dem Reporter eine Antwort. Einen Tag nach seiner Inauguration warf er den Medien vor, falsche Besucherzahlen berichtet zu haben, und bot der Bevölkerung „alternative Fakten“ an. Noch nie seien so viele Menschen dabeigewesen wie bei ihm. Dabei zeigen Aufnahmen der Amtseinführung Obamas von 2009 deutlich mehr Menschen auf dem Kapitol als die Bilder vom 20. Januar 2017.

So spalten die Falschmeldungen die Gesellschaft, auch in Deutschland. Als im Jahr 2015 Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wurde das Problem der Fake-News erstmals offensichtlich. Im ganzen Land gab es Nachrichten über Diebstahl, Belästigung oder Hygieneprobleme. Die Leipzigerin Karolin Schwarz hat daher vor einem Jahr eine interaktive Landkarte entwickelt: hoaxmap.org.

Hier markiert sie Falschinformationen über Asylsuchende – mit Quelle zum Gegenbeweis. Über 450 Lügen sind quer über die Deutschlandkarte markiert; die Zahl hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Allein in Bayern gab es 92 Gerüchte, die sich allesamt als falsch herausstellten. Manchmal reicht dafür eine einfache Internetsuche. In anderen Fällen fragen die Wahrheitsmacher bei Behörden nach, um zu erfahren: Nein, Flüchtlinge bekommen keine Bordellgutscheine. Knifflig wird es jedoch bei aktuellen Ereignissen.

Die Wahrheitssuche erfolgt oft mit einfachen Mitteln

Im vergangenen Dezember wird der Mörder einer Studentin gefasst. Wenige Stunden später taucht ein Zitat der Grünen-Politikerin Renate Künast auf: Sie soll der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt haben, dass man den kriminellen Flüchtling schützen müsse. An diesem Tag sitzt Andre Wolf in der Wiener Dachgeschosswohnung, in der die Zentrale von Mimikama untergebracht ist. Sein E-Mail-Postfach hat sich schon mehrfach gemeldet; etwas Größeres scheint die Runde zu machen.

Da wird das Bild von Künast und dem polarisierenden Zitat bereits im Newsfeed Tausender Menschen angezeigt. Wolf ruft in München bei der „SZ“ an. Das Zitat ist gefälscht. Wolf sucht die Stelle, wo es erstmals auftaucht.

Oft funktioniert das mit ganz einfachen Mitteln: In der Suchmaschine stellt er ein, dass die Ergebnisse mindestens 24 Stunden alt sein sollen, dann älter als 48 Stunden – bis es irgendwann nur noch ein Suchergebnis gibt: die erste Erwähnung. Ein Rechtsradikaler hatte die Aussage erfunden und auf Facebook platziert – der idealen Plattform für sensationelle Lügengeschichten.

Denn die Menschen lesen nicht nur, sie teilen auch. Selbst wer nur „Gefällt mir“ klickt oder kommentiert, sorgt dafür, dass eine Meldung auch bei den Freunden angezeigt wird.

Lange hat Facebook seine kommerziellen Interessen vor die der Nutzer gestellt. Nach massiven Protesten will das Netzwerk jetzt nicht länger als Schmuddelecke des Internets gelten. Nutzer sollen etwa künftig melden können, wenn ihnen etwas dubios erscheint. In Deutschland wird der Rechercheverbund Correctiv die gemeldeten Inhalte prüfen und im Zweifel mit einem Fake-Hinweis kennzeichnen. Doch die Kriterien dafür sind noch nicht bekannt – und bereits umstritten. Denn die Wahrheitsverzerrung wird immer vielschichtiger.

So wie die Nachricht vom 3. Januar auf der rechten US-Plattform Breitbart: Ein Mob von 1000 Flüchtlingen habe in Dortmund Deutschlands älteste Kirche angezündet. Die Meldung wurde allein auf Facebook über 17.000 Mal geteilt. Zwei Tage hält die Polizei mit einer Richtigstellung dagegen: Während des Silvester-Feuerwerks verfing sich eine Rakete in einem Baustellennetz an der Kirche. Keine Brandstiftung, sondern ein typischer Silvester-Unfall.

Die Falschmeldung hatte einen wahren Kern. Extreme Zuspitzung, angereichert mit erfundenen Details, generiert Klicks. Über 45 Millionen Menschen lesen monatlich Nachrichten auf Breitbart, doppelt so viele wie etwa beim „Wall Street Journal“. Der Chef der Plattform, Stephen Bannon, ist nun Chefstratege im Weißen Haus.

Breitbart will nach Deutschland - da wartet schon Schmalbart

Breitbart hat angekündigt, nach Deutschland expandieren zu wollen. Ihre Gegner erwarten sie schon: Mitte Januar kommen im Berliner Betahaus, wo sich sonst Start-up-Menschen treffen, rund 200 Wahrheitssucher zusammen, um sich Gegenmaßnahmen zu überlegen. „Schmalbart“ lautet der ironisch gemeinte Projektname, es soll Lügen von Breitbart und anderen Fake-News-Plattformen sichtbar machen.

Der Publizist und Digitalberater Christoph Kappes hat die Initiative gegründet. „Wir wollen die Demokratie stärken“, sagt er. Ursprünglich wollte er gemeinsam mit Gleichgesinnten das Portal in der Freizeit betreiben. Doch die Resonanz war riesig. Hunderte wollen mitmachen – Wissenschaftler, Aktivisten, Journalisten, Rentner und Lobbyisten.

Eines der Projekte, das Schmalbart nun angehen möchte, ist eine Faktenbank. Wer zu einem umstrittenen Thema Fakten und eben keine Gerüchte sucht, soll sie hier finden. Sauber recherchiert und gut belegt. „Die Suche nach Fakten kann anstrengend und mühsam sein“, sagt ein Aktivist, Ende 20, in einer der Diskussionsrunden. „Haben wir nicht genau dafür Journalisten?“ Ein anderer sagt: „Die Menschen vertrauen Journalisten eben nicht mehr, genauso wie sie vielen Politikern nicht trauen.“ Und so wird an diesem Samstag klar, dass Schmalbart nicht alle Probleme lösen wird.

Für jeden Wahrheitsmacher hat die Lüge eine andere Dimension: Die Idealisten von Schmalbart oder Mimikama sehen den gesellschaftlichen Konsens bedroht, die EU-Truppe von „Disinformation Review“ bekämpft politische Propaganda, und die Techriesen sehen ihre Geschäftsmodelle in Gefahr. Dabei gibt es auch die Möglichkeit, alle Ziele miteinander zu verbinden.

Im September 2016 hat die gebürtige Australierin Jenni Sargent das First Draft Partner Network gegründet. Hier will sie alle zwei Monate Internetakteure mit Journalisten und Nichtregierungsorganisationen an einen Tisch bringen. Sie sollen einheitliche Methoden zum Faktencheck entwickeln, ethische Standards für die Veröffentlichung von Videos diskutieren oder Plattformen schaffen, wo sie gemeinsam Falschinfos identifizieren.

Rund 80 Mitglieder haben sich bereits angeschlossen. Facebook und Twitter sind ebenso dabei wie CNN, die ARD oder Amnesty International.

„Die sozialen Netzwerke entwickeln sich zu so etwas wie Verlagen. Deshalb sollten sie bei der Verifizierung von Videos und Fotos helfen“, sagt Sargent. „Das ist neu für sie. Sie können viel von den traditionellen Medienhäusern lernen, etwa, was ethische Grundsätze angeht“, fügt sie hinzu.

Zudem zeigt etwa Facebook den Nutzern, wie sie selbst Fake News erkennen. Denn es gibt durchaus Indizien für Netz-Lügen: Etwa, dass eine Seite wie eine Nachrichtenplattform aussieht, aber von Pornowerbung flankiert wird. Oder dass die Quelle unbekannt ist und eine obskure Domain hat. Letztlich entscheiden die Nutzer, ob sich eine Lüge weiterverbreitet. „Im Internet ist jeder ein Sender“, sagt Fake-Jäger Wolf. Die wichtigste Regel im Kampf um die Wahrheit steht deshalb auf der Mimikama-Facebook-Seite: „Zuerst denken, dann klicken.“

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