
Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat vor der Bundestagswahl also doch noch sein Erfolgserlebnis: Das Gesetz, das die Suche nach einem Endlager regeln soll, wird verabschiedet. Doch ist die Sache mit der Einigung von heute tatsächlich erledigt? Mitnichten. Denn der Kompromiss von Bund und Ländern ist so faul, dass alle Beteiligten jetzt schon Bauchschmerzen haben dürften.
Rückblick: Im April einigte sich Minister Altmaier mit den Länderchefs, allen voran Stephan Weil (SPD) aus Niedersachen, die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll völlig neu zu beginnen. Eine Kommission soll die Bedingungen der Suche festlegen. Die Kosten sollen die Energieversorger übernehmen. Mehrfach fiel das Wortpaar „historischer Durchbruch“. Was Altmaier und Co. dabei übersahen: die Details.
Schon die erste Hürde löste einen Streit aus, der das neue Gesetz fast zu Fall gebracht hätte. Wohin mit den 26 Castor-Behälter, die noch in den Wiederaufbereitungsanlagen im Ausland lagern? Das Zwischenlager Gorleben scheidet laut Vereinbarung aus. Alternative Standorte sind die Lagerhallen auf den Grundstücken der AKW. Doch die Energieversorger wehren sich bis heute, die Behälter aufzunehmen. Nicht einmal unter den Ländern fanden sich drei, die bereit sind, 26 Castoren innerhalb ihrer Grenzen zu akzeptieren. Eine Lösung gibt es bis heute nicht, die Entscheidung darüber soll nun um ein halbes Jahr verschoben werden.
Die lange Suche nach einem Atommüllendlager
Am 11. November 1976 bringt der niedersächsische Wirtschafts- und Finanzminister Walther Leisler Kiep (CDU) laut eigenen Aufzeichnungen Gorleben ins Spiel. Zuvor waren die Salzstöcke Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst (alle Niedersachsen) favorisiert worden.
Die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) beschließt, in Gorleben an der Grenze zur damaligen DDR ein nukleares Entsorgungszentrum zu gründen. Ein transparentes Auswahlverfahren fehlt - die Hoffnung ist auch, dass der arme Kreis Lüchow-Dannenberg durch Investitionen der Atomindustrie einen Aufschwung erfährt.
Tiefbohrungen beginnen, um den Salzstock auf seine Eignung als Atommüllendlager zu erkunden.
Die Bauarbeiten für das oberirdische Zwischenlager Gorleben starten. Es liegt nur einige hundert Meter entfernt vom Salzstock.
Die Erkundung des Salzstocks unter Tage beginnt. SPD und Grüne werfen der Regierung von CDU-Kanzler Helmut Kohl vor, politischen Einfluss bei der Durchsetzung von Gorleben genommen zu haben. 2010 wird dazu ein Bundestags-Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Von massiven Protesten begleitet, trifft im oberirdischen Zwischenlager der erste Castor-Behälter mit Atommüll ein.
Nach dem Regierungswechsel richtet Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) ein. Er soll Ideen für ein neues Suchverfahren entwickeln.
Im Atomkonsens vereinbart die rot-grüne Bundesregierung mit den Stromversorgern den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Erkundung in Gorleben wird bis spätestens 2010 ausgesetzt.
Trittin legt einen Entwurf für ein Standortauswahlgesetz vor: In einem bundesweiten Verfahren sollen neben Gorleben auch andere Standorte untersucht werden. Die Neuwahl lässt den Plan scheitern.
Nach der Wahl vereinbart die große Koalition, das Problem „zügig und ergebnisorientiert“ zu lösen. Während die Union an Gorleben festhält, fordert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ein neues Auswahlverfahren. Es gibt keinen Fortschritt.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister in der seit 2009 amtierenden schwarz-gelben Bundesregierung, teilt die Aufhebung des Erkundungsstopps mit. Gorleben habe weiter „oberste Priorität“.
Am 30. Juni 2011 beschließt der Bundestag den Atomausstieg bis 2022. Über Gorleben hinaus sollen andere Endlager-Optionen geprüft werden. Bayern und Baden-Württemberg zeigen sich offen für eine neue Suche.
Bei zwei Spitzentreffen von Bund und Ländern gibt es Fortschritte. Eine Einigung scheint zum Greifen nahe.
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird für den CDU-Spitzenkandidaten Röttgen zum Debakel. Er wird von Kanzlerin Angela Merkel entlassen. Nachfolger wird Peter Altmaier (CDU).
SPD und Grüne werfen Altmaier vor, eine Lösung zu verzögern - aber beide Parteien lähmen selbst den Prozess, weil sie uneinig sind, was den künftigen Umgang mit Gorleben betrifft.
Am 27. September 2012 weist Merkel vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss Vorwürfe zurück, sie habe in ihrer Zeit als Umweltministerin in den 1990er Jahren versucht, Gorleben als Endlager durchzudrücken.
Am 20. Januar 2013 gewinnt Rot-Grün die Landtagswahl in Niedersachsen, SPD und Grüne in Hannover wollen ein Aus für Gorleben durchsetzen.
Am 24. März 2013 gelingt Altmaier ein vorläufiger Durchbruch: Bis 2015 soll eine aus 24 Personen bestehende Enquetekommission Grundlagen und Vergleichskriterien für die Suche erarbeiten. Gorleben soll im Topf bleiben - Niedersachsen setzt aber auf ein rasches Ausscheiden. In einem Suchgesetz soll festgelegt werden, dass am Ende zwischen den beiden besten Optionen entschieden wird. Atommülltransporte in das Zwischenlager Gorleben soll es vorerst nicht mehr geben.
Das zweite und noch viel größere Problem: Selbst wenn sich die Länder einig wären, die Entscheidung liegt in letzter Konsequenz ausschließlich bei den Energieversorgern. Sie haben schließlich eine bestehende Einlagegenehmigung für Gorleben. Sie müssen von sich aus beim Bundesamt für Strahlenschutz beantragen, die Castoren aus Sellafield und La Hague lagern zu dürfen. Im Frühjahr – beim „historischen Durchbruch“ – waren die Energiebosse darüber pikiert, dass mit ihnen vorher nicht gesprochen wurde. Dass daran auch viel Geld hängt – allein für die Erkundung des Salzstocks Gorleben wurden bislang 1,6 Milliarden Euro ausgegeben – hat ihre Motivation in der Sache nicht gesteigert.
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So wird nun also ein Gesetz verabschiedet, bei dem die Grundbedingung für sein Zustandekommen einfach ausgeklammert wird. Das ist alles – nur kein Erfolg. Ohne Einigkeit unter den Ländern und Zugeständnisse der Energieversorger ist es wertlos. Altmaier hat erneut den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. An dieser Vorgehensweise der halbausgegorenen Initiativen ist schon seine Strompreisbremse und der Fracking-Vorstoß gescheitert. Ein so brisantes Thema wie die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Deutschland braucht aber ein Höchstmaß an Geschlossenheit und Sensibilität.