FDP Die Angst vor dem Mitregieren

Die Liberalen feiern wieder Erfolge – und das ist ein Problem. Die FDP schwankt zwischen der Reinheit der Lehre und Regierungsverantwortung. Parteichef Christian Lindner muss vor der Bundestagswahl drei Probleme lösen.

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FDP-Chef Christian Lindner will die Partei mit einem neuen Verständnis von Marktwirtschaft zurück in den Bundestag führen. Quelle: dpa

Christian Linder spricht gerne übers Scheitern – auch über sein persönliches. Anfang März ist der FDP-Chef zu Gast bei der „Fuckup-Night“ an der Goethe-Universität in Frankfurt. Hier tauschen sich gestrauchelte Gründer darüber aus, was sie künftig besser machen wollen. „Ich habe zwei Unternehmen gegründet“, erzählt Lindner im reichlich vollen Hörsaal, „das eine war erfolgreich, das andere lehrreich.“ Der Spruch zieht immer, die Pointe sitzt, das Publikum lacht. Christian Lindner, das juvenile Kommunikationstalent. 1997 gründete er eine Werbeagentur, im Jahr 2000 dann Moomax, ein Internetunternehmen, das Onlineshopping vereinfachen sollte. Kurze Zeit später platzte die Dotcom-Blase. Moomax machte schlapp. Und Lindner in der Politik mobil.

Klar, dass er die Geschichte seiner unternehmerischen Havarie heute ausbeutet. Der Schiffbruch ist eine beliebte Leitmetapher des liberalen Geistes: Man geht nicht an ihm zugrunde, sondern deutet ihn zur Erfahrung einer abenteuerreichen Biografie um – und macht sich auf zu neuen Ufern.

Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen

Lindner annonciert am Beispiel seiner selbst „Ärmel hoch“-Optimismus und dauernden Gründergeist, Lebensmut und Gestaltungswillen: Wer fleißig ist und an sich glaubt, der scheitert nicht, der kommt zurück. Natürlich meint Lindner damit nicht nur sich selbst, sondern auch seine Partei. Auch die ist schließlich mal gescheitert, ziemlich grandios sogar: Vor zweieinhalb Jahren flog die FDP aus dem Bundestag, danach setzte es saftige Niederlagen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen – und mancher Beobachter sprach schon lustvoll vom Ende des organisierten Liberalismus in Deutschland. Doch irgendwie, mit Promi-Chic, Neo-Design und rhetorischem Wahlkampfelan gelang den Lindner-Liberalen die Trendwende: zunächst noch etwas laut, oberflächlich und dezidiert feminin in Hamburg und Bremen, vor drei Wochen dann mit kühlem Kalkül und viel Parteizentralen-Verstand in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Ist die Zeit des Scheiterns also vorbei – und die FDP zurück im politischen Machtspiel? Oder sind die Liberalen nur Zweit-Profiteure einer Flüchtlingspolitik, die der Protestpartei AfD viele Wähler beschert hat – und der PROtestpartei FDP immerhin einige? Wie viel Kraft verdanken die Lindner-Liberalen bereits einem erweiterten Freiheitsbegriff, der mehr meint als die Protektion der Begüterten und die schiere Opposition gegen grünlinke Bevormunder? Und vor allem: Was braucht die FDP jetzt mit Blick auf die Bundestagswahlen 2017: eine Phase der oppositionellen Profilschärfung, um die Reinheit der liberalen Idee zu pflegen – oder eine Regierungsbeteiligung in Rheinland-Pfalz, um mit Ministerämtern die mediale Präsenz zu erhöhen – und um an der Seite von Rot-Grün einer jederzeit machtopportunistischen CDU zu bedeuten: Auch wir können anders? Auf drei Fragen vor allem müssen die Liberalen in den nächsten Wochen Antworten finden:

1. Will die FDP als liberale Partei Erfolge feiern - oder als eine Art AfD light?

Christian Lindner verspricht sich von den Wahlerfolgen „Rückenwind für die Bundestagswahl“, das ist alles – und er ist klug genug, jede Siegerpose zu vermeiden, die der FDP als Rückkehr zum Hochmut ausgelegt werden könnte. Auch hält Lindner so glaubhaft wie wortgewaltig Distanz zur AfD. Andererseits sind die Liberalen – zumal in Abwesenheit einer bürgerlichen Opposition im Bundestag – programmatisch aufgerufen, die Euro- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf zu kritisieren: Viele Wähler, denen das völkische Geraune der AfD fremd ist und die der Bundeskanzlerin dennoch einen Denkzettel verpassen wollten, haben (mal wieder) FDP gewählt.

Lindner widerstand dem Populismus, ein politisches Meisterstück

Zur Erinnerung: Es gab eine Zeit, in der so mancher Libertäre unter den Liberalen die FDP zur Anti-Euro-Gruppe umbauen wollte – vor drei, vier Jahren, als man bei „Krise“ noch an Zypern, Griechenland und immer neue Rettungspakete dachte. Wäre es etwa nach dem früheren FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler gegangen, hätte die FDP damals mit der Losung „ordnungspolitische Reinheit vor europapolitischer Genscher-Nostalgie“ das Entstehen der AfD verhindern müssen. Die mitregierende Rösler-FDP jedoch lavierte, entschied sich zur Unentschiedenheit – und machte die AfD stark.

In der sogenannten Flüchtlingskrise wiederum drohte die FDP von der AfD marginalisiert zu werden. Dass Lindner dennoch der Versuchung des Populismus widerstand und sich beharrlich weigerte, Stimmen am rechten Rand abzugreifen, ist ihm daher nicht nur hoch anzurechnen, sondern auch sein erstes großes, politisches Meisterstück. Lindner markierte die FDP inmitten einer rettungslos aufgeheizten Debatte als kühle Stimme der oppositionellen Vernunft: „pro Einwanderung, pro Integration und pro Sicherung der europäischen Außengrenzen“, resümiert FDP-Vorstand Karl-Heinz Paqué zufrieden – „und zwar aus eigener Kraft und nicht zu Erdoğans Gnaden“.

Zwei Jahre nach dem Bundestags-Aus ist der Relaunch der FDP weit fortgeschritten. Parteichef Christian Lindner findet: Die Partei ist so frei wie nie zuvor. So sehen sich die neuen Liberalen.
von Dieter Schnaas

Tatsächlich führte der FDP-Chef einen beinharten Wahlkampf gegen Angela Merkel, gegen ihre „gesinnungsethischen Träumereien“ und gegen den „deutschen Sonderweg“. Aber er ließ dabei jederzeit erkennen, dass sein Wahlkampf sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern gegen die Bundesregierung richtete. Jederzeit? Sagen wir: fast immer. Aus Sorge, im Strudel der Debatte unterzugehen, und im Kampf um mediale Aufmerksamkeit erlag auch Lindner zuweilen einer illiberalen Rhetorik der Abschottung, der Staatsräson und des nationalen Alleingangs. Die brisante Frage der Abgrenzung zur AfD ist also noch lange nicht erledigt für die FDP. Aber sie ist vorerst gelungen: Die FDP, so die Botschaft, begreift Deutschland weiterhin als Zuwanderungsland für Fachkräfte und Zufluchtsstätte für Schutzsuchende. Nur braucht es dafür endlich ein Einwanderungsgesetz und kontrollierte Verfahren. Der Unterschied zur AfD in einem Satz? Für Lindner ganz simpel: „Die AfD mobilisiert Abstiegsängste, wir mobilisieren Chancen.“ Die Nachwahlbefragungen geben ihm recht: Während für AfD-Wähler die Flüchtlingspolitik im Mittelpunkt stand, schenkten FDP-Wähler der Lindner-Partei vor allem wegen der Themen „Wirtschaft“ und „Arbeit“ Vertrauen; die Flüchtlingspolitik nahm in der Reihe der Gründe für die Wahlentscheidung nur die vierte Stelle ein.

2. Geht es der FDP um Portenz und Posten - oder um Positionen und Prinzipien?

Das größte Problem der FDP ist ihre mangelnde Sichtbarkeit, ihre fehlende institutionelle Verankerung, ihr prekäres Personaltableau. Die Liberalen sind – von Lindner abgesehen – in Talkshows und Zeitschrifteninterviews praktisch nicht existent. Die FDP stellt keine Bundespolitiker, keinen einzigen Landesminister. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kann die Partei nun wieder Regierungsverantwortung übernehmen. Aber soll sie das auch? Marco Buschmann, Bundesgeschäftsführer und Lindner-Vertrauter, hält es für richtig, dass die Partei zögert. „Wir dürfen nie wieder den Eindruck erwecken, der FDP gehe es nur um Posten und Dienstwagen.“ Für Buschmann ist das eine der wichtigsten Lehren aus dem Bundestagswahl-Debakel 2013.

Ausgerechnet in Baden-Württemberg allerdings scheint die FDP eine Riesenchance zu verspielen: Nirgends sonst sind die Grünen so wirtschaftsfreundlich, liberal und ideologiefern ... Nirgends sonst könnte eine Politik der moderaten Lösungen leichter gelingen als an der Seite von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ... Nirgends sonst hat sich die CDU ihre Oppositionsrolle besser verdient ... – kurz: Nirgends sonst wäre eine Ampel aus Sicht der FDP plausibler. Doch als dritte Kraft an der Seite von Grün-Rot? Wenn es stimmt, dass „in einem Dreierbündnis eine klare liberale Handschrift“ erkennbar sein muss, so Karl-Heinz Paqué, dann haben die Liberalen allein in Rheinland-Pfalz eine Mitregierungsperspektive – als zweitstärkste Kraft vor halbierten Grünen. Doch die innerparteilichen Widerstände gegen eine Ampelregierung sind gewaltig. Hasso Mansfeld etwa, Unternehmensberater aus Bingen und liberaler Internetaktivist, „weiß nicht, ob ich das noch mittragen könnte“. Allein in der Fundamentalopposition gegen alle grün-moralische Gängelung, so Mansfeld, habe sich die FDP stabilisieren können. Opposition sei Pflicht, so Mansfeld.

Die FDP will dem Vulgärliberalismus abschwören

3. Mit welcher politischen Strategie strebt die FDP zurück in den Bundestag?

Die Planspiele im Thomas-Dehler-Haus sind bestechend einfach: Die FDP ist zurück in den Medien ... Die Journalisten sind der großen Koalition müde ... Viele Deutsche glauben wieder, dass es eine liberale Kraft im Bundestag braucht ... – und das alles übersetzt sich in Erfolge bei den kommenden Landtagswahlen in Berlin, im Saarland und in Schleswig-Holstein.

Aktuelle Umfragen zeigen: So kann es gehen. Der choreografische Höhepunkt der Erfolgsserie wäre dann die Landtagswahl im Mai 2017 in Nordrhein-Westfalen; eine Art Krönung des Spitzenkandidaten Christian Lindner, der als FDP-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag seine Bühne hat und auf ein zweistelliges Ergebnis spekuliert: „Wenn die FDP unter meiner Führung ein starkes Ergebnis erhält“, so sagt er es selbst, „ist das ein Signal für die ganze Bundesrepublik.“

Landtagswahlergebnisse der FDP seit 2013

Lindner will die FDP zunächst in NRW zum Erfolg führen und anschließend im Bund als Spitzenkandidat antreten, so viel steht fest. Er glaubt an seine landespolitische Zugkraft – und hat seine bundespolitische Zukunft klar im Blick.

Das ist kühn, aber auch dringend nötig, denn Parteistratege Buschmann glaubt, dass die FDP nur reüssieren kann, wenn sie Haltung zeigt. Auch inhaltlich. Die Partei will keinen „Vulgärliberalismus“ repräsentieren, nicht wider den Staat und die Grünen polemisieren, sondern als optimistische Kraft wahrgenommen werden – als Partei, die den Menschen was zutraut. Lindner spricht von einer „Can-do-Mentalität“, einem „Update“ für Deutschland, einer „inhaltlichen Aktualisierung“ der FDP.

Der kuriose Wahlkampf der FDP Bremen
Der Wahlkampf der FDP Bremen ist voll auf die Spitzenkandidatin Lencke Steiner zugeschnitten. (Foto: FDP Bremen)
Sie soll "eine neue Generation Bremen" verkörpern. (Foto: FDP Bremen)
#dasdingrocken - ist ein gerne genutzter Hashtag der Bremer FDP. Wie frech die Kampagne konzipiert ist, soll offenbar die pinke Zunge unterstreichen. (Foto: FDP Bremen)
Die Wahlkampagne erinnert stark an die Wahl in Hamburg im Februar. (Foto: FDP Bremen)
Hier hatte sich Spitzenkandidatin Katja Suding mit provokanten Plakaten ins Gespräch gebracht. (Foto: dpa)
Im Februar posierten die Bremer FDP-Spitzenkandidatin Lencke Steiner (l-r), Hamburgs FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding und die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer für die Zeitschrift "Gala" - in Anlehnung an die Hollywood-Heldinnen "Drei Engel für Charlie". Nur ging es hier nicht um Charlie, sondern um Christian ... (Foto: dpa)
Gemeint ist Parteichef Christian Lindner. Doch wie viel Klamauk ist erlaubt? "Mit inhaltsleeren Kampagnen ließen sich keine Wähler gewinnen. 99% der Wähler der Freien Demokraten in Hamburg haben gesagt, ihnen fehle ohne die FDP eine starke marktwirtschaftliche Stimme. Deshalb sind wir zwar kreativer als andere, aber bei uns werden Köpfe nur zusammen mit den Themen Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur plakatiert", sagte Linder der WirtschaftsWoche. (Foto: FDP Bremen)

Die Partei habe jetzt wieder ein „konsequenteres Verständnis von Marktwirtschaft“ – und ist damit anschlussfähig für alle Koalitionen. So wollen die Liberalen beispielsweise staatliche Bankenrettungen verbieten – eine Position, die in allen Parteien Anhänger findet.

Gleichwohl, einer Ampelkoalition im Bund erteilt der FDP-Chef vorerst eine klare Absage: „Es gibt so gut wie keine inhaltlichen Schnittmengen.“ Lindner und Toni Hofreiter, der Chef der Grünen-Fraktion, gemeinsam in einer Regierung? Nein, sagt Lindner, „daraus könnte nichts werden“.

So gerne er im Moment auch über das Straucheln spricht – ins Scheitern verliebt sei er nicht.

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