FDP-Generalsekretär Wissing über Olaf Scholz „Er hat zu wenig geliefert, um Deutschland wieder attraktiver zu machen“

Volker Wissing, 51, ist seit fast einem Jahr Generalsekretär der FDP. Von 2016 bis Mai 2021 war er in der rheinland-pfälzischen Landesregierung (SPD, Grüne, FDP) von 2016 bis Mai 2021 Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie stellvertretender Ministerpräsident. Der promovierte Jurist arbeitete vor seiner politischen Karriere als Richter und Staatsanwalt. Quelle: dpa

Volker Wissing, Generalsekretär der FDP, kritisiert im Interview Union und SPD als Reformverweigerer, hält sich die Koalitionsoption nach der Wahl aber offen und beharrt auf Soli-Abbau samt Steuerreform.

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WirtschaftsWoche: Wenn Sie die phänomenale Wiederauferstehung der SPD in den Wahlumfragen sehen, die von grottigen 14 Prozent gestartet sind und nun bei 23 Prozent mit der Union gleichziehen, müssen Sie da nicht vor Neid erblassen?
Volker Wissing: Dazu besteht für mich gar kein Anlass. Die FDP ist von knapp fünf Prozent auf stabile 12, 13 Prozent geklettert. Das erfüllt mich schon ein wenig mit Zufriedenheit. Vor allem haben wir Freidemokraten uns im Gegensatz zur SPD und auch zur Union von Grund auf erneuert und unsere politische Agenda aktualisiert. Dabei haben wir Themen wie Modernisierung, marktwirtschaftliche Transformation, Digitalisierung und Klimaschutz eine deutlich höhere Priorität eingeräumt.

Worauf führen Sie im Vergleich dazu die neue Stärke der SPD in diesem Wahlkampf zurück?
Der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz hat es geschickt geschafft, sich als staatsmännische Person zu inszenieren, die über den Dingen steht. Das hat aber mit dem Zustand der SPD nichts zu tun, deren Wahlprogramm nach wie vor von einer tiefen Staatsgläubigkeit und Forderungen nach höheren Steuern durchzogen ist. Auch halten sich die SPD-Funktionäre mit Saskia Esken an der Spitze extrem zurück in diesem Wahlkampf. Das geht bis zur Selbstverleugnung. Und natürlich hängt die relative Stärke der SPD in den Umfragen mit dem schwachen Abschneiden der Union und ihres Spitzenkandidaten Armin Laschet zusammen.

Gleichwohl sieht es so aus, als müsste die FDP in der nächsten Legislaturperiode entweder mit der Union oder mit der SPD als größerem Koalitionspartner regieren. Welcher der beiden Parteien trauen Sie mehr Kraft zur Modernisierung des Landes zu?
Beide Parteien haben eine wenig überzeugende Bilanz zu bieten. Die Union war in den vergangenen 16 Jahren leider ein Totalausfall in Sachen Reformen. Und die SPD hat davon zwölf Jahre lang mitregiert.

von Dieter Schnaas

Gilt das auch für den amtierenden Bundesfinanzminister und Vizekanzler Scholz?
Absolut. Nehmen wir nur den Wirecard-Skandal. Der hat bei mir ein Déjà-Vu-Erlebnis ausgelöst. Im Jahr 2008 geriet die Hypo Real Estate im Zuge der Weltfinanzkrise in eine dramatische Schieflage, was auch mit einer unzureichenden Finanzmarktaufsicht zusammenhing. Bei der Wirecard-Pleite gab es ebenfalls ein Versagen der Finanzmarktaufsicht. Da gab es mehr Wegsehen als Aufsicht. Und man fragt sich, was der Bundesfinanzminister da geleistet hat. Offenbar nicht viel.

Wie sehen Sie insgesamt die Bilanz von Scholz als Finanzminister?
Dass er die Finanzaufsicht lange nicht richtig in den Blick genommen hat, ist schon ein großes Versäumnis. Aber auch in seinen anderen Zuständigkeitsbereichen hat er sich viel zu wenig gekümmert. Der Zoll war und ist ein Sanierungsfall, wenn ich mir nur die Bekämpfung von Geldwäsche und Schwarzarbeit anschaue. Schlecht aufgestellt sind wir auch bei den steuerlichen Rahmenbedingungen. Dafür verdanken wir ihm eine Bonpflicht für Bäckereien. Da stellt sich schon die Frage, ob dieser Finanzminister die richtigen Prioritäten gesetzt hat.

Was stört Sie an Scholz‘ Steuerpolitik?
Dass er zu wenig geliefert hat, um den Standort Deutschland wieder international attraktiver zu machen. Die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung ist viel zu schwach, um Innovationen in der Wirtschaft voran zu bringen und forschende Unternehmen anzuziehen. Dabei wissen wir doch, dass Forschung und Entwicklung gleichbedeutend mit den Arbeitsplätzen von morgen sind. Auch die Transformation zu Digitalisierung und mehr Klimaschutz sind nur mit Hilfe unserer Wirtschaft zu stemmen und nicht gegen sie.

Aber für Digitalisierung und Klimaschutz sind doch inzwischen alle Parteien.
Ja, aber das kann doch nicht die Politik allein erledigen. Der Staat weiß doch nicht, welche Innovationen am besten sind. Genau das aber gibt er vor, wenn er zum Beispiel allein den Elektroantrieb fördert und alle anderen Antriebstechnologien beiseite lässt. Vielmehr brauchen wir agile, innovative und risikobereite Unternehmer, die am Ende für digitale und umweltfreundliche Lösungen sorgen, die sich die meisten von uns heute nicht einmal vorstellen können.

von Max Haerder, Christian Ramthun, Daniel Goffart

Und was müsste der Bundesfinanzminister hier tun?
Er müsste steuerliche Rahmenbedingungen schaffen, Privatinitiative fördern statt zu behindern. Es muss eine F&E-Förderung geben, die den Namen auch verdient und Start-ups anzieht. Man sollte den unternehmerischen Forscher- und Entwicklungsdrang auch durch bessere Abschreibungen und Verlustverrechnungsmöglichkeiten stärken. Hier haben weder Herr Scholz noch sein Vorgänger Wolfgang Schäuble von der CDU geliefert.

Aber mit einer von beiden Parteien müssten Sie koalieren. Mit welcher könnte die FDP die Vorstellungen, die Sie gerade skizziert haben, am besten umsetzen?
Das wird gewiss schwierig. Weder die Union noch die SPD sahen sich in den vergangenen Jahren in der Lage, für eine Steuerreform zu sorgen. Von daher wird es auf uns und unsere Stärke ankommen. Wir haben inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal, wenn es um marktwirtschaftliche Finanzpolitik geht.

Das klingt nicht nach einer eindeutigen Festlegung zugunsten der Union.
Wir arbeiten in NRW sehr gut mit der CDU in der Landesregierung zusammen. Wir arbeiten aber auch in Rheinland-Pfalz gut mit der SPD zusammen.

Aber auf Bundesebene gibt es andere Themen, insbesondere die Steuerpolitik. Und da hat die CDU die Liberalen gleich mehrfach auflaufen lassen. In der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 ließ Sie der große Partner regelrecht verhungern und gönnte Ihnen keine Steuersenkungen. 2017 scheiterten die Jamaika-Verhandlungen wohl vor allem daran, dass die CDU der FDP eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags verweigerte…
…und nicht die Grünen, die mit am Tisch saßen. All das haben wir nicht vergessen und daher sage ich, dass wir mit allen demokratischen Parteien sprechen werden, die über die Umsetzung unserer Kernforderungen reden wollen.

Was ist für Sie ein absolutes „muss“ um sich an der nächsten Bundesregierung zu beteiligen?
Was die völlige Abschaffung des Soli und eine Steuerreform betrifft, ist die FDP völlig unflexibel. Eine Aufweichung der Schuldenbremse und Steuererhöhungen schließen wir aus.

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Aber müsste die Staatsverschuldung nicht steigen bei Steuersenkungen?
Dieses Argument lasse ich nicht gelten. Das kommt immer, um Steuerentlastungen zu verhindern. Aber dann ist offenbar jede Menge Geld für milliardenschwere Mehrausgaben vorhanden. Also, wir sind ganz klar für eine Einhaltung der Schuldenbremse und darüber hinaus für eine neue Priorisierung des haushaltspolitischen Spielraums. Wir müssen gerade in diesen schweren Zeiten mit den genannten Herausforderungen zunächst alles für umweltverträgliches Wirtschaftswachstum tun. Dazu gehört für uns auch eine Senkung der Steuerbelastung für Unternehmen. Das Ziel sind 25 Prozent, was je nach Haushaltslage notfalls in Stufen umzusetzen wäre. Wichtig sind uns klare Ziele und Vereinbarungen, um Deutschland nach 16 Jahren Stillstand wieder fit zu machen.

Mehr zum Thema: Eine Umfrage sieht erstmals die SPD vorn: Der Präsident des Familienunternehmerverbands Reinhold von Eben-Worlée über die Stärken und Schwächen von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz - und seine Sorge vor Kevin Kühnert.

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