FDP Michael Theurer ist der neue Brüderle

FDP-Chef Lindner redet viel über die Digitalisierung - was Traditionswähler verstört. Michael Theurer als neuer Mittelstands-Versteher soll sie nun besänftigen.

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FDP: Peter Theurer soll neuer Mittelstands-Versteher sein. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Mann könnte es sich jetzt leicht machen und den jungen Leuten genau das sagen, was sie hören wollen, gewissermaßen zu den T-Shirts sprechen, die sich im lichtdurchfluteten Coworking Space in Berlin-Mitte versammelt haben. Er müsste nur sagen, dass Digitalisierung die Chance schlechthin für Deutschland sei. Dass unser Land dringend Gründer brauche, die sich unerschrocken auf den Weg in neue Zeitalter machen.

Aber er sagt nichts dergleichen, im Gegenteil: Michael Theurer, Landeschef der Freien Demokraten in Baden-Württemberg, mahnt zur Vorsicht und klingt dabei so robust wie einst Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD): „Wir dürfen nicht zulassen, dass der digitale Tsunami unseren deutschen Mittelstand wegfegt.“ Der digitale Wandel lasse sich nicht aufhalten, gibt er zu. Aber doch durchaus gestalten: „Dafür müssen wir endlich Regeln entwickeln.“

Theurer, 50, Halbglatze, spricht diese Worte in gemütlichem Schwäbisch. Und das ist nicht der einzige Kontrast zum geschliffenen Hochdeutsch seines Parteichefs Christian Lindner. Der hat die FDP als politisches Start-up programmiert. Lindner ließ Plakate mit dem Slogan „German Mut“ drucken und spricht gerne von einem „Update“ für Deutschland. Digitaler Wandel ist für Lindner vor allem ein Zukunftsversprechen – und das hat sich für ihn ausgezahlt. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hat seine Partei triumphiert, in bundesweiten Umfragen liegt sie mittlerweile wieder klar über der Fünf-Prozent-Hürde.

Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen

Wie passt das zu Theurers Worten? Sehr gut, findet er selbst und hat mit Lindner die Arbeitsteilung genau besprochen. Die geht so: Der FDP-Chef spricht über das Wachstum von morgen, Theurer über das von heute, erwirtschaftet von Familienunternehmen und Kaufleuten. „Wir dürfen die klassischen Mittelständler nicht aus den Augen verlieren“, sagt er. Schließlich seien viele von denen besorgt, ihr Geschäftsmodell könne durch die Digitalisierung wegbrechen: „Ich scheue mich nicht, diese Ängste zu artikulieren.“

Also umarmt Theurer die moderne FDP, deswegen ist er auch zu diesem Termin nach Berlin-Mitte gekommen. Aber er will zugleich in eine Rolle schlüpfen, die verwaist ist, seit die FDP im Herbst 2013 aus dem Bundestag flog: die Rolle von Rainer Brüderle. Ein Vierteljahrhundert lang hatte sich der Pfälzer für die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen eingesetzt. Erst als Landesminister in Rheinland-Pfalz, später als Bundeswirtschaftsminister in Berlin. Brüderle war eine Identifikationsfigur.

„Die Mittelständler kamen mit mir gut klar, weil ich ihre Sprache gesprochen habe“, erinnert sich Brüderle, 71, der in der Lindner-Partei keine Rolle mehr spielt – und sich immer noch nicht ganz davon erholt hat, dass ihm von einer Berliner Reporterin im Jahr 2013 eine plumpe Anmache („Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“) unterstellt wurde.

Aber Brüderle macht sich weiter Gedanken um seine Partei. Ein aalglatter Unternehmensberater, davon ist er überzeugt, falle bei traditionellen Anhängern der Liberalen durch: „Wir brauchen Typen, die den richtigen Ton für Mittelständler treffen.“

Das weiß auch Lindner. Umso mehr, weil andere bekannte Gesichter seiner neuen Führungsriege – etwa der Innenpolitiker Wolfgang Kubicki und der Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff – eher nicht für Wirtschaftskompetenz stehen.

Deswegen setzt der Parteichef nun auf Theurer, er soll Lindners neuer Brüderle werden. Die passende Biografie bringt Theurer mit: Sein Vater war Apotheker, der Großvater hatte eine Drogerie, der Urgroßvater eine Glaserei. Mit 27 wurde Theurer jüngster Oberbürgermeister Deutschlands. 14 Jahre lang stand er an der Spitze von Horb am Neckar, rund 50 Kilometer von Stuttgart entfernt. In seiner Amtszeit stieg die Beschäftigungsquote um 25 Prozent, er verwaltete ein kleines Wirtschaftswunder.

Der Job wird schwierig

Eine Erfolgsgeschichte, die auch Hans Georg Näder beeindruckt. Näder leitet in dritter Generation die Otto Bock Firmengruppe, einen Hersteller von Medizintechnik und Prothetikprodukten aus dem niedersächsischen Duderstadt. Viele Jahre lang war er CDU-Mitglied, vor zwei Jahren erst wechselte er zur FDP. Näder ist ein Lindner-Fan, gerade erst hat er den Liberalen 100.000 Euro gespendet – und damit deren Aufwärtstrend auch beim Geldeinsammeln zementiert (siehe Grafik).

Doch Näder, 55, sagt zugleich: „Der wirtschaftliche Sachverstand in der Parteiorganisation kann gern noch breiter werden und tiefer gehen.“ Deswegen schätzt er Leute wie Theurer, wünscht sie sich sozusagen als Anwälte des Mittelstandes in der FDP.

Wie schwierig dieser Job sein kann, musste Theurer – im Hauptberuf Europaabgeordneter in Brüssel – Ende April beim Parteitag der Lindner-Liberalen in Berlin erfahren. Da brachte sein eigener Landesverband einen Antrag ein, um ausländische Apothekerketten zu verbieten – und scheiterte krachend. Die Parteispitze will den Medikamentenmarkt liberalisieren.

Spenden für die FDP insgesamt und Großspenden.

Theurer hatte sich in den Wochen zuvor immer wieder die Argumente vor allem älterer Apotheker angehört. Etwa von jener 61 Jahre alten Dame, die seit knapp 20 Jahren eine Apotheke in Bad Dürrheim zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb betreibt, mittlerweile mit zehn Mitarbeitern. Andrea Kanold fährt häufig bis zu 30 Kilometer am Tag, um Kunden ihre Medikamente direkt nach Hause zu bringen. Ihre Sorge: Wenn immer mehr ausländische Versandhändler in den Markt drängen, die Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente gewähren, kann sie diesen Service nicht mehr leisten.

Theurer war gespalten. Theoretisch weiß er, dass es auf Dauer keine Schutzzonen für Apotheker geben kann. Dennoch wollte er in dem Streit vermitteln. Er setzte sich für eine Übergangsphase ein, in der ausländische Versandhändler verboten werden sollten.

Aber seiner Partei war das marktwirtschaftliche Prinzip wichtiger – schon aus Eigeninteresse. Denn auf keinen Fall möchte die FDP wieder als Partei dastehen, die vor allem für ihre eigene Klientel sorgt. Wie rasch der Wähler das abstraft, musste die Partei erfahren, als sie 2009 zu Beginn der schwarzgelben Koalition Steuersenkungen für Hoteliers durchsetzte, von denen einzelne große Spenden an die Partei getätigt hatten. Es war der Anfang vom Ende der Liberalen – und soll sich nie wiederholen.

Das heißt aber auch einen täglichen Zwiespalt für den neuen Brüderle, der sich auch im Coworking Space in Berlin-Mitte nachvollziehen lässt. Da fragt einer der jungen Gründer Theurer zu den Geschäftsmodellen von Airbnb und Uber, die Wohnungen beziehungsweise private Autofahrten vermitteln. Warum Deutschland diese innovativen Plattformen so streng reguliere? Aus seiner Stimme klingt Empörung.

Mittelstands-Beauftragter Theurer findet das aber ganz und gar nicht empörend. „Wer gewerbemäßig Ferienwohnungen vermietet, muss die gleichen Standards einhalten wie ein Hotelbetreiber“, erwidert er. „Warum sollten Hotels Hygienevorschriften einhalten, Anbieter auf Airbnb aber nicht?“ Theurers These: Nicht die Digitalisierung allein mache Unternehmen wie Airbnb groß, sondern zu lasche Regeln für die Internetriesen. „Das ist ein unfairer Wettbewerb“, sagt Theurer.

Von Mittelständlern hätte er dafür wohl Applaus bekommen, bei den jungen Gründern regt sich keine Hand. Darum schiebt Theurer nach, es sei schon toll, wie rasch sich durch den digitalen Wandel mit etwas Risiko hohe Gewinne erwirtschaften ließen. Da gucken die jungen Gründertypen wieder interessierter. 100 Prozent Brüderle geht in der neuen FDP halt nicht mehr.

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