FDP-Parteitag Gegen Merkel zurück in den Bundestag

Bildung, Digitalisierung und Steuern - mit diesen Themen will Christian Lindner die FDP zurück in den Bundestag führen. Und wenn das nicht reicht? Dann setzt der FDP-Chef auf einen Anti-Merkel-Plan.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
FDP-Chef Christian Lindner beim Bundesparteitag der FDP. Quelle: dpa

Christian Lindner schweigt. Zunächst wählte ihn die Partei mit einem guten Ergebnis wieder – 91 Prozent der Delegierten stimmten für zwei weitere Jahre mit Christian Lindner an der Spitze. Am nächsten Morgen stünde seine Rede an, in der ihr für das Wahlprogramm wirbt, das er maßgeblich entwickelt hat. Doch Lindner spricht nicht, er überlässt seiner Generalsekretärin Nicola Beer das Wort.

Lindner versteht das als Statement an die Presse, wie er am Vortag erklärt. Da steht eigentlich nur ein profaner Rechenschaftsbericht auf der Agenda, den Lindner aber zu seiner eigentlichen Rede ummünzt. „Die FDP ist keine One-Man-Show“, sagt Lindner. Dass Beer anstatt seiner die Hauptrede halten darf, soll das beweisen. Doch stimmt das? Ist die FDP die Partei der vielen Köpfe?

Da gibt es seinen selbstbewussten und schlagfertigen Stellvertreter Wolfgang Kubicki aus Kiel, der am nächsten Sonntag als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein zur Wahl steht und liefern muss. Da gibt es Alexander Graf Lambsdorff, den versierten Außenpolitiker aus dem Europäischen Parlament, der in den Bundestag wechseln will. Und da gibt es Katja Suding aus Hamburg, die sich in der Bildungs- und Familienpolitik einen Namen macht.

Ja - es gibt Köpfe neben Christian Lindner. Nur ist keiner so profiliert wie er, meint Werner Bruns von der Rheinischen Fachhochschule Köln. „Lindner trägt die Partei“, sagt der Politikwissenschaftler. Er trägt sie nicht nur. Beinahe in Eigenregie will er sie in den Bundestag zurückführen.

Lindners Plan: Zunächst tritt er als Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen an, wo er ein zweistelliges Ergebnis für die Liberalen holen will. Danach bewirbt er sich als erster Mann für Berlin. „Er muss in Nordrhein-Westfalen und in Berlin antreten. Sonst wird es nichts mit dem Comeback“, meint Bruns. Nur wenn er in NRW ein überragendes Ergebnis holt, hat die FDP genug Rückenwind für Berlin – so der Gedanke. Nach der Bundestagswahl, sagt Lindner auf dem Parteitag, wolle er alles dafür tun, dass wieder mehr Köpfe mit der FDP verbunden werden. Es ist ein Eingeständnis, dass die FDP doch die Partei des einen Mannes ist, die Partei von Christian Lindner eben.

Als er vor vier Jahren den Vorsitz übernahm, stand er vor einer Richtungsentscheidung. Entweder würde er die FDP zu einer euroskeptischen Partei umbauen und versuchen die AfD zu verdrängen. Oder er würde es nochmal mit dem klassischen Ansatz probieren. Er widerstand dem Populismus und arbeitete vielmehr an einem neuen Image für die Altherren-FDP, die mehr mit Sexismus und Steuersenkungen für Reiche und Hoteliers verbunden wurde als mit Wirtschaftskompetenz.

von Marc Etzold, Katharina Matheis, Christian Ramthun, Christian Schlesiger

Wirtschaftskompetenz will die Partei fortan vor allem über drei Themen ausstrahlen: Bildung, Digitalisierung und Finanzen. „Wir können mit dem Zustand unseres Bildungssystems nicht zufrieden sein“, sagt Christian Lindner. Er will am Bildungsföderalismus rütteln. 16 Kultusminister in 16 Bundesländern, die 16 unterschiedliche Bildungssysteme pflegen – das will Lindner ändern. „Wir müssen am Kooperationsverbot etwas verändern.“ Kurz: Der Bund soll mehr Mitspracherecht in der Bildungspolitik erhalten.

Glasfaser für alle und Kritik an Merkel


Die digitale Fortentwicklung Deutschlands sieht Lindner vor allem im Breitbandausbau. Der Bund soll beispielsweise seine Anteile an der Deutschen Telekom verkaufen und im Gegenzug flächendeckend Glasfaserkabel in Deutschland verlegen. Auch Union und Grüne sind für diesen Vorschlag. Und obwohl Lindner weiß, dass ihm das Steuerthema gefährlich werden kann – schließlich hatte die FDP ihre große Steuerreform in ihrer Regierungszeit zwischen 2009 und 2013 nicht umsetzen können – setzt er weiterhin darauf. „Wir werden nicht nur einen Steuerwahlkampf machen. Aber wir lassen uns das Thema nicht nehmen“, sagt Lindner.

Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen

Bildung, Digitalisierung, Finanzen – dieser Mix aus bekannten, wiederentdeckten und eher neuen liberalen Themen soll die Partei zurück in den Bundestag bringen. Wer hat schon etwas gegen eine Partei, die sich für bessere Schulen und eine bessere digitale Infrastruktur einsetzt? Das kann funktionieren. Nur um sicher zu gehen, dass die Liberalen die richtigen Themen in den Fokus rücken, kommen sie im September – eine Woche vor der Bundestagswahl – noch einmal in Berlin zu einem Parteitag zusammen. Dort soll es einen Feinschliff geben – und wenn nötig will Lindner öffentlichkeitswirksam auf aktuelle Entwicklungen reagieren können.

Was, wenn sich die Flüchtlingskrise bis dahin wieder verschärft? Immerhin war das das Thema, mit dem Lindner und die FDP im vergangen Jahr wieder an Profil gewannen und bundesweit wahrgenommen wurden. Da sagte er Sätze wie: „Merkels Flüchtlingspolitik war falsch und in Teilen chaotisch.“ Oder: „Frau Merkel hat eine illiberale Politik gemacht, als sie regellos die Grenzen geöffnet und nicht wieder geschlossen hat.“ Und: „Frau Merkel muss ihre Entscheidung aus dem September (2015) korrigieren, damit Deutschland nach den Dublin-Regeln wieder alle Flüchtlinge aus sicheren Drittländern an der Grenze abweist.“

Für diese harte politische Haltung in der Flüchtlingskrise hat sich vor allem Wolfgang Kubicki stark gemacht. Es war der Stellvertreter, der den Vorsitzenden davon überzeugte. Das Kalkül: Denjenigen eine politische Heimat geben, die mit Merkels Flüchtlingspolitik nichts anfangen können, aber nicht die AfD wählen wollen. Die FDP also als AfD light in der Flüchtlingsfrage. „Lindner ist hier schon ein Hardliner“, meint FDP-Experte Werner Bruns. „Anders als die AfD aber im Rahmen des Rechtsstaates.“

Sollte die FDP es zurück in den Bundestag schaffen, will Lindner sofort eine der schärfsten parlamentarischen Waffen anwenden, die es gibt. Er will einen Untersuchungsausschuss einrichten. Gegenstand: Die Flüchtlingskrise und die Entscheidungen der Kanzlerin im Herbst 2015.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%