Es ist viel geschrieben worden im Vorfeld dieses FDP-Bundesparteitags am Samstag in Berlin. Die Themen der FDP seien auserzählt, kommentierten die einen. Die Partei müsste jetzt zeigen, welche Art von Opposition sie im Bundestag sein wolle, analysierten die anderen. Der Streit um den richtigen Umgang mit Russland, so war auch zu lesen, beschädige zudem das Verhältnis von Christian Lindner und Wolfgang Kubicki.
Alles übertrieben, hatte Lindner stets beteuert und einen „Arbeitsparteitag“ angekündigt. Einen mit inhaltlichen Debatten, mit 80 Anträgen und 156 Änderungsanträgen, und einem schmissigen Slogan, der all das zusammenbindet: Innovation Nation. Und doch ist es bei solchen Parteitagen ja immer so: Am Ende zählt nur die Rede des Vorsitzenden.
Entsprechend voll war der Saal, als Lindner ans Rednerpult trat, entsprechend schnell war er wieder leer, als der begeisterte Applaus der Delegierten verklang. In den eineinhalb Stunden dazwischen nutzte Lindner seine Chance, der Partei einige Leitlinien mitzugeben, die über den Parteitag hinaus Bestand haben können. Im Ton oft mitreißend, insgesamt allerdings deutlich zu lang, ließ Lindner kein aktuelles Thema aus. Immer nach dem Motto: Nach der Erneuerung der FDP ist vor der Erneuerung der FDP.
Linder bewies dabei einmal mehr, warum ihn der Bundesverband der Redenschreiber kürzlich für seine Auftritte im Bundestagswahlkampf auszeichnete. In jeden Abschnitt seiner Rede hatte er sich einen zitierfähigen Satz geschrieben, eine prägnante Punchline, wie sie die "Tagesschau" gerne sendet. Das klingt dann so: „Ein Land, dass sich mehr mit Karl Marx beschäftigt als mit Blockchain, ist dabei, den Anschluss zu verlieren.“
Was bleibt nach dieser Rede, sind vor allem Lindners Antworten auf zwei zentrale Fragen. Zum Verhältnis der FDP zu Europa. Und zu ihrer Rolle als Oppositionsfraktion im Bundestag.
Die vier wichtigsten Baustellen der FDP
Gerade einmal knapp 22 Prozent der mehr als 63.000 Parteimitglieder sind Frauen (Stand Jahreswechsel). Parteichef Christian Lindner hat vor Kurzem eine Debatte darüber angeschoben, wie die Partei weiblicher werden kann. Eine Quote scheint dabei keine Option: Viele FDP-Frauen sind dagegen.
Ob die Partei heute noch einmal 10,7 Prozent der Stimmen wie bei der letzten Bundestagswahl bekommen würde? Es würde jedenfalls knapp. In Umfragen bewegt sich die Partei in der Regel zwischen 8 und 10 Prozent. Was aber auch noch besser ist als manches Wahlergebnis seit der Jahrtausendwende.
Die Freien Demokraten, das schien lange vor allem Christian Lindner zu sein. Vor der Bundestagswahl plakatierte die Partei vor allen den Chef, lässig und in Schwarzweiß. Doch um als politische Kraft wahrgenommen zu werden, braucht es mehr als eine Führungsfigur. Die normale parlamentarische Arbeit bietet nun aber auch den Fachpolitikern eine Bühne.
Die FDP kam seit ihrer Gründung 1948 nie an die Werte der großen Volksparteien Union und SDP heran - war aber ein gefragter Koalitionspartner. Doch auch die „Großen“ verlieren Stimmen, mit der AfD sitzt eine neue Partei im Bundestag. Dreierkoalitionen werden damit immer wahrscheinlicher. Das bedeutet, dass die FDP nicht allein mit der Union regieren können muss, wenn sie es denn will. Die Partei streckt ihre Fühler auch zu den Grünen aus. Zwar hat sie noch im November eine Jamaika-Koalition mit CSU, CDU und Grünen platzen lassen. Doch für die Zukunft geben die Liberalen sich betont offen.
Lindner positionierte die FDP wie schon in den vergangenen Wochen erneut als eindeutig pro-europäische Partei. Zu Beginn klang seine Rede gar, als habe er die Jamaika-Verhandlungen nie beendet, als sei er aktueller FDP-Außenminister. Iran und Syrien, Trump und Macron – der FDP-Parteichef rief die Krisen und Akteure der Weltpolitik nacheinander als Zeugen auf, um zu begründen, dass es auf die Krise des Multilateralismus nur eine Antwort geben könne: Europa.
Lindner forderte mehr Europa, etwa bei Polizeiarbeit und Verteidigung, um sofort danach deutlich zu machen, wo die FDP weiterhin die Grenze zieht: bei einer gemeinsamen Fiskalpolitik. Ein Europäischer Währungsfonds müsse „im Dienste der finanzpolitischen Eigenverantwortung stehen“. Es ist diese Gratwanderung mit der die FDP im Spannungsfeld von AfD und Großer Koalition punkten will.
Innenpolitisch machte Lindner deutlich, wie er sich die Rolle der FDP in der Opposition vorstellt: kritisch, aber konstruktiv. Keine Kritik ohne Gegenvorschlag: Bürgergeld statt Hartz IV, Midlife-BaföG statt bedingungslosem Grundeinkommen. Noch sind das nur Schlagworte, aber immerhin erste Ideen, die die FDP-Fraktion im parlamentarischen Alltag mit Inhalten füllen muss.
Im zweiten Drittel seiner Rede, immer dann, wenn Lindner sich im Kleinklein der Sachpolitik zu verlieren drohte, brachte er einen jener liberalen Klassiker, die immer gut ankommen bei den Delegierten. „Nicht ein Leben im Wohlfahrtsstaat, sondern der Stolz auf die eigene Leistung ist erfüllend.“ Es ist immer die Kombination aus fortschrittlich klingenden Politikvorschlägen und gut dosierten Streicheleien für die liberale Seele, die Lindner bei seinen Parteifreunden so beliebt macht.
Was bleibt nach dieser Rede, ist allerdings auch die Vehemenz, mit der sich Lindner am bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und der CSU abarbeitete. Bayern drohe mit dem geplanten Polizeiaufgabengesetz die "Schwelle vom Rechtsstaat in den Polizeistaat zu überschreiten“. Söders Wahlkampfaktion mit den Kreuzen sei gescheitert.
Lindners scharfe Kritik an Söder machte deutlich, wo die FDP in diesem Jahr die größte Gefahr sieht: bei der Landtagswahl in Bayern im Oktober. Und so hat mit dieser Rede auf dem Bundesparteitag auch der nächste Wahlkampf bereits begonnen.