FDP und die Bürgerrechte Eine riskante Strategie

Die FDP präsentiert sich als „Anwalt der Bürgerrechte“ und spricht sich auch in Zeiten des Terrors gegen immer mehr Überwachung aus. Damit hebt sie sich von anderen Parteien ab. Doch die Strategie ist nicht ohne Risiko.

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„Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit, die in Berlin abhanden gekommen ist, wollen wir nach der Bundestagswahl zurückholen.

Berlin Auf neun Seiten haben FDP-Chef Christian Lindner, die ehemalige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum aufgelistet, wie die Große Koalition in der zurückliegenden Legislaturperiode die Bürgerrechte eingeschränkt hat. Gleich zu Anfang wird dort die Ausweitung des Staatstrojaners genannt – eine Maßnahme, die Union und SPD erst vergangene Woche final beschlossen haben. Sie soll die Möglichkeiten zur Überwachung von Messenger-Diensten wie WhatsApp massiv vergrößern. Außerdem auf der „Giftliste“: Die Vorratsdatenspeicherung, das neue Speichern von Fluggastdaten sowie das noch in der Abstimmung befindliche Gesetz gegen Hasskommentare.

Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit sei in Berlin abhanden gekommen, schimpfte Lindner auf der Pressekonferenz am Montagmorgen.

Als „Anwalt der Bürgerrechte“ positioniert die FDP sich schon lange. Damit hebt sie sich im Wahlkampf stark von Union und SPD ab. In Zeiten ständiger Terrorbedrohung ist es für die regierenden Parteien schier zum Reflex geworden, auf mehr Überwachung zu setzen, entsprechend viele Maßnahmen wurden in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung scheint fast alles möglich – Hauptsache, der Wähler hat das Gefühl, dass sich etwas ändert, damit er sicher ist. Die Strategie der FDP ist deswegen im Hinblick auf die Verteidigung der Bürgerrechte zwar durchaus lobenswert, aber auch riskant.

Zum einen ist es fraglich, wie sehr die Liberalen tatsächlich ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden und an der Verteidigung der Bürgerrechte festhalten können, sollten sie nach der Bundestagswahl mitregieren. Wer keine Regierungsverantwortung hat und dem Bürger im schlimmsten Fall auch nicht erklären muss, warum ein Terroranschlag nicht verhindert werden konnte, kann immer viel kritisieren und im Zweifel vor das Bundesverfassungsgesetz ziehen. Wer jedoch vor die Angehörigen der Opfer treten muss, wer die Verantwortung für die Sicherheit der Deutschen auf seinen Schultern trägt, denkt am Ende vielleicht über manche Dinge anders als aus der Perspektive der außerparlamentarischen Opposition.

Ein erstes Beispiel dafür sieht man in Nordrhein-Westfalen. Stichwort Schleierfahndung: Dort hat die FDP mit der Union zwar nur eine Schleierfahndung light eingeführt, es darf also nur zeitlich und örtlich begrenzt gefahndet werden und zudem muss ein konkreter Anlass vorliegen. Das ändert aber nichts an dem grundsätzlichen Eingriff in das Leben der Bürger: Im bevölkerungsreichsten Bundesland können demnächst Menschen einfach festgehalten und auf ihre Personalien überprüft werden. Zudem haben sich Union und FDP darauf verständigt, die Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen auszuweiten.

Sich als Verfechter der Bürgerrechte gegen mehr Überwachung auszusprechen, ist auch aus einem zweiten Grund riskant. In Umfragen äußern die Deutschen immer wieder ihre Sorge, dass das Land nicht ausreichend vor Terroranschlägen geschützt ist. Mehr Videoüberwachung nehmen viele in Kauf, solange es der Sicherheit dient. Bei diesen Wählern könnte der FDP ihr Bekenntnis zu weniger Überwachung mehr schaden als nützen.

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