Am heutigen Sonntag kann das kleine Bremen zum Vorbild für die ganze Bundesrepublik werden – zumindest aus Sicht der FDP. In der Hansestadt tritt die parteilose Unternehmerin Lencke Steiner als Spitzenkandidatin für die Liberalen an. Traditionell hat die FDP in Bremen einen schweren Stand. Doch diesmal sind die Aussichten gut: In den Umfragen liegt die Partei bei sechs Prozent.
Schafft die 29-Jährige den Einzug in die Bremische Bürgerschaft, soll davon ein Signal für das Wiedererwachen der FDP auch bundesweit ausgehen. Frisch, jung, offen – diese Richtung hat FDP-Chef Christian Lindner vorgegeben. Sein Credo: „Wir wollen den Einzelnen groß machen, nicht den Staat.“
Helfen soll dabei ein Netzwerk von Unternehmern, welches die Partei in den vergangenen Monaten aufgebaut hat. Alles beginnt im Spätsommer 2013, damals lädt die FDP zu einem Spendendinner ein. Unter den Gästen ist auch Familienunternehmerin und Neumitglied Marie-Christine Ostermann. An dem Abend kommt ihr eine Idee. Sie will, dass die Gäste nicht nur Geld, sondern auch Inhalte beisteuern.
Einige Wochen später fliegt die FDP aus dem Bundestag. Der personelle und inhaltliche Neuanfang unter Christian Lindner kommt Ostermann entgegen. Sie wird Schatzmeisterin in Nordrhein-Westfalen. Im Dezember 2014 gründet sie dann das Netzwerk „Liberale Agenda 2025“. Sie weiß: Nicht jeder, der mit der FDP sympathisiert, will sofort der Partei beitreten. Dennoch möchte sie „Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur“ binden, „die der Partei Glaubwürdigkeit zurückgeben können“.
Eine dieser insgesamt 80 Persönlichkeiten ist Roland Oetker, Neffe des Bielefelder Backmittel-Unternehmers. Er engagiert sich im FDP-nahen Netzwerk, weil sich nach der verlorenen Bundestagswahl sein „Beschützerinstinkt“ zu Wort gemeldet hat. „Eine liberale Stimme im Bundestag ist wichtig“, sagt er. Drastischer formuliert es Ludwig Georg Braun, langjähriger Vorstandsvorsitzender und mittlerweile Aufsichtsratschef des Medizingeräteherstellers B.Braun. „Die Freiheit des Einzelnen ist in Gefahr“, warnt er. Für Braun ist die FDP derzeit die einzige Partei, die nicht für sozialdemokratische Politik eintritt.
Oetker und Braun sind bekannte Namen, die jeder in der Wirtschaft kennt – beide sind aber keine Überraschung. Oetker ist seit über vier Jahrzehnten in der Partei aktiv, ebenso Ludwig Georg Braun. Drei Mal entsandte die FDP Braun nach Berlin, um Horst Köhler, Christian Wulff und Joachim Gauck ins höchste Staatsamt zu wählen.
In der Schule soll Wirtschaft unterrichtet werden
Soll die FDP von gestern die Inhalte von morgen erarbeiten? Die Unterstützer verweisen auf Parteilose im Netzwerk, etwa Start-up-Unternehmer Benjamin Rohé, der mit 17 seine erste Firma und danach mehrere Technologie- und Digital-Startups gründete. „Vom Börsengang bis zur Pleite habe ich alles mitgemacht“, sagt er. Derzeit baut Rohé ein Beratungszentrum für Gründer in Berlin auf. Studiert hat der heute 34-Jährige nie. Er ist überzeugt: „Nur wer scheitert, entwickelt sich weiter.“ Gescheitert ist die FDP. Nun arbeitet sie an der inhaltlichen Erneuerung. Das Netzwerk hat zu diversen Themen Vorschläge unterbreitet.
Beispiel Europäische Union: Die EU soll künftig finanziell und politisch eingeschränkt werden. Subventionen wie im Agrarbereich müssten zurückgeführt werden. Eine eigene EU-Steuer lehnt das FDP-Netzwerk ab. Dass Deutschland andere Länder ko-finanziert soll ebenfalls verhindert werden. „Für einen Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene fehlt die demokratische Legitimierung.“ Eine Politische Union sei nicht realistisch.
Zweites Beispiel – Bildung: Junge Menschen sollen eine „Bildungscard“ mit einem persönlichen Bildungsbudget erhalten, mit dem sie ihre Ausbildung selbst steuern und sich für beziehungsweise gegen bestimmte Angebote entscheiden können. Unternehmen sollen zudem in die Ausstattung von Schulen investieren können. Und das Fach „Wirtschaft“ gehört nach Vorstellung des Netzwerks künftig in den Stundenplan.
Für FDP-Chef Lindner sind die Inhalte des Netzwerks „sehr nah an dem, was wir in der FDP diskutieren“. Welche Forderungen er sich letztlich zu Eigen machen wird, will er noch nicht verraten. „Wir setzen auf wirtschaftliche Vernunft, wollen jedem den Zugang zum besten Bildungssystem der Welt verschaffen und sind offen für Fortschritt.“ Linder bleibt bewusst vage. Ein Parteiprogramm soll erst in den nächsten zwei Jahren bis zur Bundestagswahl ausformuliert werden. Führt die parteilose Unternehmerin Lencke Steiner die FDP in Bremen tatsächlich zum Erfolg, könnten junge Kräfte wie Ostermann, Rohé und sie das künftige Programm maßgeblich prägen.
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