FDP-Wahlerfolge Erst feiern, dann Gratwanderung

Die FDP scheint ihren Coronakurs gefunden zu haben Quelle: imago images

Die FDP ist wieder gefragt. Nach den guten Ergebnissen bei den Landtagswahlen betont Parteichef Lindner offensiv die Eigenständigkeit seiner Partei. Eine ziemlich mutige Strategie.

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Es gibt Wahlen, bei denen stehen einige Gewinner schon vorher fest. Und so konnte sich die FDP ein paar Tage darauf vorbereiten, gestärkt aus diesen ersten Landtagswahlen im Superwahljahr 2021 hervorzugehen. Parteichef Christian Lindner hatte intern im Vorfeld extra dafür geworben, jetzt lieber mal den Ball flach zu halten. Keine Fehler bitte, bloß keinen Übermut angesichts sogar mal zweistelliger Umfragewerte. Nichts sollte, ein gutes Jahr nach dem liberalen Sündenfall von Erfurt, die wiedergewonnene Freiheit von negativen Schlagzeilen gefährden – und damit den doppelten Wahlerfolg.

Wer in den Tagen vor diesem Wahlsonntag mit führenden FDP-Politikern sprach, konnte fast den Eindruck bekommen, Lindner, der sonst so bescheidwissende Polit-Entrepreneur, habe Bescheidenheit zur neuen liberalen Leitkultur erklärt. Und tatsächlich: Angesichts des wohl besten FDP-Ergebnisses in Baden-Württemberg seit mehr als 50 Jahren betonte Landeschef Michael Theurer am Wahlabend erst einmal brav in jede Kamera, wie demütig ihn das mache. Für die grün-gelbe Wunschkoalition des Ökoliberalen Theurer reichte das Ergebnis zwar nicht, aber, immerhin, eine Regierungsbeteiligung der selbst ernannten Mittelstandspartei im Weltmarktführerländle ist nicht ausgeschlossen.

Auch in Rheinland-Pfalz lief alles fast so wie erwartet. Leichte Verluste zwar, die Ampelkoalition mit SPD und Grünen aber wurde bestätigt. Auch das ein Erfolg, zumal Spitzenkandidatin Daniela Schmitt gezeigt hat, dass in der männerdominierten FDP auch Frauen führen können – wenn man sie denn lässt.

Es läuft für Lindner und seine Liberalen. Und nach diesem Südwest-Wahlsonntag läuft es noch ein bisschen mehr. Auf den FDP-Parteichef wartet nun die schmeichelhafte Debatte, ob nicht am Ende er der nächste Kanzlermacher wird. Das tut sicher gut, aber Vorsicht bleibt geboten: Allzu oft folgte bei der FDP auf kurzfristige Euphorie rhetorische Überheblichkeit. Und was heute als strategisch kluger Weg erscheint, kann in ein paar Wochen schon beliebig wirken. Oder sich als Fehler erweisen.

Man sollte also sortieren: Was folgt aus den Wahlergebnissen für die neue Eigenständigkeit der Partei? Wie stabil startet die FDP in den Bundestagswahlkampf? Aber langsam: Wer jetzt Farbenspielchen wagt zu möglichen Koalitionen der nächsten Bundesregierung, malt ja nicht auf einem weißen Blatt Papier.

Es ist immer noch die Pandemie, die nicht nur den Rahmen setzt, sondern ständig wechselnde Schattierungen gleich mit. Bis zur Bundestagswahl ist es noch lange hin – und selten lag alles so skizzenhaft, so unfertig dar wie in dieser fragilen Coronanormalität.

Deshalb Pandemie first, Farbenspiele second.

Die Liberalen haben ihren Coronakurs gefunden, für den Moment. Die Partei der Bürgerrechte und der wirtschaftlichen Freiheit bringt beides zugleich in Stellung gegen die nicht enden wollende Lockdownpolitik von Bund und Ländern – und schafft das so überzeugend, dass man fast vergisst, dass sie in drei Ländern mitregiert. Die FDP erinnert derzeit täglich daran, dass der Staat andauernde Grundrechtseingriffe stetig begründen muss. Dass Grundrechte eben keine Privilegien sind, deren Gewährung Bürgerinnen und Bürger zu Dankbarkeit verpflichtete. Nein, der Dank gebührt hier der FDP.

Zum Problem allerdings könnte diese Politik für die FDP werden, wenn sich die Einschränkungen durch den Staat mit besonders guten Argumenten begründen lassen. Ein Blick in die wegen der britischen Virus-Mutation wieder stark steigenden Infektionszahlen liefert ein solches Argument. Nun fordert die FDP mit ihrem Stufenplan keinesfalls Öffnungen losgelöst von Inzidenzwerten. Aber sie nimmt ganz bewusst auch andere Faktoren in den Blick, etwa die Belastung der Krankenhäuser und die Umstände der Infektionen. Sie will regional differenziert vorgehen, verlangt gute Hygienekonzepte.

„Schon heute wäre es möglich, mit Masken und den entwickelten Hygienekonzepten zum Beispiel im Handel und in Teilen der Gastronomie verantwortungsvoll zu öffnen“, sagte Parteichef Linder kürzlich und warnte zugleich vor den gesundheitlichen Gefahren der Mutation. Das wirkt dann doch zumindest für jene wenig überzeugend, die seit einem Jahr nach der Virologen-Weisheit leben, jeder Kontakt sei ein potenzieller Treiber der Pandemie. Die liberale Anhängerschaft jedoch scheint den Mut zu mehr Öffnungen auch im Angesicht steigender Infektionszahlen zu honorieren. Noch.

Mehr impfen, mehr testen, und beides schnell, fordert die FDP, sieht auch darin eine Grundvoraussetzung für weitere Lockerungen. Da kann niemand ernsthaft widersprechen. Doch rettet das die Republik jetzt noch vor einem rasanten Anstieg der Infektionen bis Ostern? Nein, denn das Missmanagement der Bundesregierung hat dazu geführt, dass es so schnell weder mehr Impfungen noch eine umfassende Teststrategie geben wird. Jetzt also mehr Tests und Impfungen zu fordern, um die dritte Welle abzumildern, ist in etwa so, als schlüge man alternative Kraftstoffe für Flugzeuge vor, um Klimaziele einhalten zu können – gute Idee, kommt aber zu spät.

Was aber, wenn das denen auffällt, die mit der FDP sympathisieren?

Wenn Lindner etwa die, zugegeben, wenig hilfreiche Öffnungsstrategie von Bundesregierung und Ministerpräsidenten dann noch als „Fata Morgana“ kritisiert, nährt das weiter den Eindruck, da wolle einer unbedingt Öffnungen sehen. Freiheit um jeden Preis? Auch in einer Situation, in der sich die politisch Verantwortlichen de facto für eine späte Durchseuchungsstrategie entschieden haben, ist es, vorsichtig ausgedrückt, gewagt auch nur den leisesten Eindruck einer Koste-es-was-es-wolle-Politik zu erwecken.

Wohl keine Partei will mit dem Image der Öffnungspartei in den Bundestagswahlkampf starten, wenn zeitgleich auf den Intensivstationen die 20-Jährigen liegen. Ob die FDP im Spätsommer mit ihrem Freiheitskampf glänzt, wird auch davon abhängen, ob den Regierenden gegen die Durchseuchung mehr einfällt als Glaube, Liebe und Hoffnung.

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