Dabei stauen sich die Autos am Neckartor, der am stärksten belasteten Einfallstraße nach Stuttgart, auch in diesem Frühsommer wie eh und je, die Hauswände haben nichts von ihrer gleichmäßigen Rußschwärze verloren. Trotzdem nahmen die allermeisten Stuttgarter diese Situation, die viele Grünen-Politiker und Umweltschützer, aber auch die Europäische Kommission und alle bisher dazu urteilenden Gerichte für unhaltbar erachten, mit einem erstaunlichen Gleichmut hin. Der Feinstaub, den keiner je zu Gesicht bekam, regte auch niemanden auf. Doch unter dieser oberflächlichen Ungerührtheit verlieren nicht nur die Stuttgarter, sondern die deutschen Autofahrer an sich offenbar nach und nach das Vertrauen in ihren alten Lieblingsmotor.
In den Zulassungszahlen zeigt sich das jetzt schon. So wurden im April deutschlandweit rund 20 Prozent weniger Dieselfahrzeuge verkauft als im Vorjahr. In Stuttgart ging der Absatz zuletzt sogar fast doppelt so stark zurück wie im Bundesschnitt. Hier sinken sogar die Wiederverkaufswerte für Dieselautos.
In Stuttgart hatte man sich ein paar Tage vor dem Elefantentreffen eine hierarchische Ebene tiefer getroffen und am Ende verkündet, nach technischen Möglichkeiten zur Umrüstung von Diesel-Pkws zu suchen. Die entscheidenden Fragen, wer diese Umrüstungen bezahlen könnte und was das Bundesland oder gar die Stadtverwaltung dabei überhaupt zu melden hätten, wurde gar nicht gestellt. Ähnlich realitätsblind hatte die örtliche Öffentlichkeit kurz zuvor schon die Pläne für die Umsetzung der Fahrverbote aufgenommen. So wird die Stadt wohl nicht pauschal alle Straßen im Kesselareal der Innenstadt für Dieselfahrzeuge sperren, sondern sich auf elf ausgewählte Routen beschränken. Die Reaktion: Allgemeine Erleichterung, wird vielleicht doch alles nicht so schlimm.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Also: Bleibt erst mal alles beim Alten. „Ich kämpfe jetzt dafür, dass es am Ende vernünftige Ausnahmeregeln für Betriebe geben wird, die auf den Diesel angewiesen sind“, stellt CDU-Mann Kotz sich selbst und allen anderen in Aussicht. Er findet: Nicht nur die Firmentransporter sollten davon erfasst werden, sondern auch die Limousine des Chefs. „Oder soll ich mir immer eine Leiter aufs Dach spannen, wenn ich zur Baustelle fahre?“ Warum dann allerdings der Bosch-Mitarbeiter noch auf die Tram umsteigen sollte, bleibt unklar.
Sollte das Verwaltungsgericht den Luftreinhalteplan im Juli billigen, werden elf Straßen ab Januar immer dann gesperrt werden, wenn die Luftbelastung hoch ist – ein faktisches Fahrverbot für die Innenstadt. Wie all die anderen Entwarnungen entpuppt sich also auch diese als Placebo. Aber über solche ist eben nicht nur bekannt, dass sie keine Wirkstoffe enthalten; sondern auch, dass sie mitunter mehr bewirken als ein echtes Präparat.
So hat sich Handwerksmeister Kotz dagegen entschieden, sich auf die Fahrverbote vorzubereiten, was ihn mit allen anderen hier verbindet. Klar hat er mal durchgerechnet, ob es sich lohnen könnte, die Flotte elektrisch zu betreiben. „Aber das ist wirklich noch viel zu teuer“, sagt Kotz. Auch die Überlegung, einen Wagen mit Ausrüstung dauerhaft in der Innenstadt zu platzieren, gab es. „Aber dafür ist der Anteil unserer Kunden in der City dann doch zu niedrig.“
Es sind eher die kleinen Schritte, an denen sie im Schwäbischen tüfteln, um dieses vergleichsweise große Problem zu lösen. Womöglich zu klein, verglichen damit, dass der Dieselmotor auf sein Ende zusteuert, sollten diese Schritte nicht zum Ziel führen. Denn warum andere von Feinstaub geplagte Städte wie Düsseldorf, Hamburg oder München noch Dieselfahrzeuge passieren lassen sollten, wenn selbst die deutsche Dieselhauptstadt das nicht tut, darauf haben auch die findigen Schwaben keine Antwort.