Fernsehkritik Heißer Brei mit Martin Schulz

Als Solo-Gast in Anne Wills Talkshow zeigte sich der SPD-Kanzlerkandidat kraftstrotzend. Und es gab ein paar Hinweise, dass der Wahlkampf gegen die „sozialdemokratisierte“ Bundeskanzlerin spannend werden könnte.

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Martin Schulz, designierter Kanzlerkandidat der SPD, am 29.01.2017 im Gespräch mit Moderatorin Anne Will während der ARD-Talksendung

Düsseldorf War es „Ehrgeiz, Machthunger oder Selbstüberschätzung“, die Martin Schulz bewegt haben, für den Bundeskanzler-Posten zu kandidieren? So lautete eine der ersten Fragen Anne Wills an den Sologast ihrer Talkshow am Sonntagabend. „Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich mich selbst nicht der Selbstüberschätzung bezichtige“, antwortete der designierte Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende der SPD. Und was in der einstündigen ARD-Sendung dann noch folgte, überraschte ebenfalls so gut wie gar nicht.

So brachte Schulz, der am selben Sonntag vor hunderten Sozialdemokraten seine Antrittsrede gehalten und auch bereits eine „Was nun, Herr Schulz?“-Sondersendung im ZDF absolviert hatte, alle Schlüsselbegriffe seines frisch angelaufenen Wahlkampfs auch bei Anne Will souverän unter.

Natürlich äußerte er wiederholt die Selbsteinschätzung, dass er nicht „um den heißen Brei herum“ rede. Es waren knapp zehn Minuten vergangen, da hatte er „die hart arbeitende Mitte des Landes“, von der er als Zielgruppe des SPD-Wahlkampfs gerne und oft spricht, gleich doppelt erwähnt. Und keine weiteren zehn Minuten waren vergangen, da hatte er auch von denen, „die sich an die Regeln halten“ und um deren Bedürfnisse der Staat sich stärker kümmern müsse, gleich dreimal geredet. Gegen die, die sich an die Regeln nicht halten, müsse der Staat vorgehen, zum Beispiel auch gegen „Leute, die auf einem Bahnhofsvorplatz unsere Frauen angreifen“, sagte er später noch.

An plastischen Beispielen für Menschen, die für die hart arbeitende Mitte stehen, herrschte ebenfalls kein Mangel. Vom „Bäckermeister um die Ecke“, aber auch von „Menschen, die die kleine und mittlere Unternehmen führen“, und von vielen seiner Nachbarn aus dem nordrhein-westfälischen Würselen sprach der SPD-Mann.

Martin Schulz hatte bei der kraftstrotzenden Selbstdarstellung leichtes Spiel, weil die Interviewerin das viele, was in der vergangenen Woche über Schulz gesagt und geschrieben worden war, erwartbar durchdeklinierte. Der SPD-Mann sah seine Herkunft aus einer Kleinstadt in der Provinz erwartungsgemäß als weiteren Beleg dafür, dass er die Sorge der hart arbeitenden Mitte verstehe.

Und die Europapolitik, der er sich seit den 1990er Jahren widmet, und die deutsche Innenpolitik, von der er nach Ansicht einiger Kritiker weniger verstehe, ließ er nicht auseinanderdividieren. Schließlich werde die Innenpolitik in EU-Mitgliedsstaaten zu einem großen Teil aus Brüssel beeinflusst.

Wichtiges Motiv im SPD-Wahlkampf wird es sein, die Verantwortung für die aktuelle Bundesregierung mit dem Argument von sich zu weisen, dass die SPD dort ja nur „Juniorpartner“ ist. Auch das demonstrierte das Nicht-Regierungsmitglied Schulz häufig. Ein überzeugenderes dramaturgisches Element als die überflüssige Idee, ihn einen Auszug aus Sigmar Gabriels vergangene Woche viel diskutiertem „Stern“-Interview vorlesen zu lassen, war ein kurzer Filmbeitrag aus Essen-Altendorf, in dem per Straßenumfrage der SPD allerhand harte Vorwürfe gemacht wurden.

Einer dort befragten Gewerkschafterin würde Schulz gerne „Schau mir in die Augen“ sagen, sagte er nach dem Beitrag – so als hätte er sie bereits im Publikum sitzen sehen – und sie dann bitten, im September SPD zu wählen, damit diese in der nächsten Regierung stärkste Partei werde. Zwar verzichtete Anne Will darauf, die Gewerkschafterin in die Zweierrunde zu bitten und das In-die-Augen-Schauen-Experiment tatsächlich durchzuführen. Dass es Schulz einstweilen gut gelingt, enttäuschte ehemalige Sozialdemokraten einzunehmen, wurde jedenfalls deutlich.

Ein paar überraschendere, allerdings hypothetische Fragen á la „Wollen Sie die SPD kernsanieren oder renovieren?“ hatte die Moderatorin auch vorbereitet. Ob Schulz denn „gefühlt oder faktisch“ der bessere SPD-Kandidat als sein Vorgänger als Parteivorsitzender, Sigmar Gabriel, sei, lautete noch so eine. Solche Fragen nahm Schulz als Steilvorlagen auf, um sich als „Typ mit Gefühl“, der verstehe, wie es den Menschen gehe, zu zeigen – und als maximalen Gegensatz zur regierenden Bundeskanzlerin.

Mitunter zeigte Schulz schlagfertig, dass er außer langen Bögen auch Pointen („Dass Angela Merkel sozialdemokratisiert ist, weiß ja jeder“) und kurze Sätze kann: „Durch die CSU“, antwortete er knapp auf die Frage „Wo ist Angela Merkel verwundbar?“.

Beim späten Thema der Unterschiede zwischen Merkel und Schulz hat Anne Will leider kaum nachgehakt. Wirft Schulz der Kanzlerin einen Mangel an der „Empathie“, die er für sich reklamiert, vor? Und hilft Empathie einem Regierungschef wirklich?

Bedeutet Schulz' Hinweis auf die internationale Steuerflucht, durch die seiner Einschätzung nach den EU-Mitgliedsstaaten jährlich rund 2.000 Milliarden Euro verloren gingen, dass er der aktuellen schwarz-roten Bundesregierung vorwirft, zu wenig dagegen zu tun.

Und wie verhielte sich das zu seiner bisherigen Tätigkeit als Präsident des Europäischen Parlaments und Kooperation mit EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker? Ob der gewiefte Europapolitiker Schulz glaubt, dass eine deutsche Bundesregierung in der EU viel resoluter agieren könnte und müsste als es die Merkel-Regierung tut, wäre eine tatsächlich spannende Frage.

Doch als es darum ging, neigte sich die Anne-Will-Show ihrem Ende zu – und zeigte bloß noch Potenzial auf, Schulz künftig in Widersprüche oder zumindest kontroverse Gespräche zu verwickeln als es am Sonntagabend zu sehen war.

Dieses Potenzial werden andere Interviewer gewiss zu heben versuchen. Talksendungen gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schließlich mindestens genug. Und die Lust und Zeit, sich darauf einzulassen und im heißen Brei der Talkshows kräftig mitzumischen, hat Martin Schulz offenkundig.

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