Festspielhaus Baden-Baden „Ohne Corona-Hilfen gäbe es uns nicht mehr“

Quelle: Christian Grund/Gerd Kittel

Das Festspielhaus Baden-Baden ist ein Unikat: Vor der Pandemie kostete der Spielbetrieb kein Steuergeld. So soll es auch künftig wieder sein. Die Verantwortlichen setzen dafür auf das Prinzip Familienunternehmen. Teil 2 von „Nächster Halt: Aufbruch“. Unsere Serie zur Bundestagswahl.

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Wer in der Spielzeit 2018/2019 ins Theater oder in die Oper ging, dessen Besuch kostete im Schnitt 141,15 Euro Steuergeld. Pro Besuch. Mit gut 2,7 Milliarden Euro haben Bundesländer und Gemeinden ihre öffentlich getragenen Theater und Orchester insgesamt bezuschusst, zeigen Zahlen des Deutschen Bühnenvereins. Die Häuser deckten nur knapp 18 Prozent ihrer Betriebsausgaben durch eigene Einnahmen ab.

Auftritt Benedikt Stampa. Stampa stürmt zur Tür herein, streckt einem den Ellenbogen entgegen, faltet seinen zwei Meter langen Körper in einen Sessel, nimmt die Maske ab und knöpft sein Sakko auf. Er streckt sich: die übliche Mattheit nach einer Mahlzeit. Er komme gerade vom Mittagessen mit einem Förderer, sagt er entschuldigend, in einem guten französischen Restaurant. Mit Geldgebern am Tisch zu sitzen, gehört zu Stampas Arbeitsalltag. Seit 2019 leitet der Intendant gemeinsam mit Geschäftsführerin Ursula Koners das Festspielhaus Baden-Baden. Es ist mit 2500 Plätzen das größte deutsche Opernhaus – und eine Ausnahme noch dazu: Der Spielbetrieb wird privat finanziert und kostet kein Steuergeld.

Bundesweit stammt nach Statistiken des Deutschen Bühnenvereins nur ein Prozent der Theaterfinanzierung aus privaten Quellen. Dass Stampas Festspielhaus von öffentlichen Kassen weitgehend unabhängig ist, hat vor allem fünf Gründe:

1. Die Netzwerkpflege

Entlang der Front des Festspielhauses stehen gut sichtbar Sockel mit Plaketten, in die die Namen wichtiger Stifter eingraviert sind. Private Förderer wie Stampas Mittagstermin unterstützen das Festspielhaus Baden-Baden jedes Jahr mit mehr als zehn Millionen Euro – bei einem Etat von etwa 25 Millionen Euro. Zu den bekanntesten Stiftern gehören dm-Gründer Götz Werner und die Holding des Familienkonzerns Oetker.

„Bei allem, was wir tun, denken wir unsere Geldgeber mit“, bekennt Geschäftsführerin Ursula Koners. Noch auf dem Heimweg, den sie meist zu Fuß gehe, treffe sie oft jemanden, der das Haus fördere. Dann sei natürlich ein kurzer Plausch angesagt. Das ist der inoffizielle Teil. Der offizielle: Das Festspielhaus beschäftigt allein vier Mitarbeiter, die sich ausschließlich um bestehende Sponsoren und Stifter kümmern – und recherchieren, wen sie zusätzlich für den Kreis gewinnen könnten.

Die Gefahr, dass Förderer ihr bevorzugtes Programm gleich mitbestellen, quasi einmal Wagners Nibelungen pro Großspende, bestehe nicht. Wichtiger als die Frage, wer auf der Bühne auftrete, sei Sponsoren, welche Besucher und Zuschauerinnen nach Baden-Baden kommen, teilt Koners mit: „Dann überlegen wir, was wir gemeinsam tun können, um den Markentransfer hinzubekommen.“

Natürlich lässt sich das nicht eins zu eins kopieren. Öffentliche Theater- und Opernhäuser sollen Kunst in die Breite der Gesellschaft tragen – und haben schlicht ein anderes Finanzierungsmodell. Aber was spräche dagegen, wenn der Kulturbetrieb sich etwas engagierter dafür rüstete, dass es in Zukunft auch einmal geringere staatliche Budgets geben könnte?

Allerdings ist auch das Festspielhaus Baden-Baden nicht ganz unabhängig von Steuergeld. Die Immobilie gehört der Stadt, sie trägt die Kosten des Gebäudes. Das Land Baden-Württemberg hat das Opernhaus im vergangenen Jahr mit vier Millionen Euro unterstützt, um abzumildern, dass aufgrund der Pandemie die Einnahmen fehlen. „Ohne Corona-Hilfen gäbe es uns nicht mehr“, gibt auch Intendant Stampa zu.

2. Die Geschäftsfelder

Zum Opernhaus gehören ein Reisebüro und ein Callcenter. Auch die Gastronomie unterhält die gemeinnützige Betriebs-GmbH selbst. Ein Großteil der Mitarbeiter ist fest angestellt und bleibt lange im Unternehmen. Als Festspielhaus kommt man in Baden-Baden allerdings ohne eigenes Ensemble aus – an staatlichen Häusern ein großer Kostenfaktor.

Immer wieder erschließt das Festspielhaus zudem neue Geschäftsfelder. So bietet es seit einigen Jahren Unternehmen an, ein kulturelles Bildungsprogramm für deren Mitarbeiter zu entwickeln. „Wir haben eine hohe Wertschöpfungstiefe“, fasst Ursula Koners, ganz Managerin, zusammen.

Nächster Halt: Aufbruch

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Diese Aktivitäten subventionierten nicht den Spielbetrieb, erläutert die Geschäftsführerin, die Gastronomie etwa betreibe man kostendeckend. Aber sie zahlten darauf ein, Besucher zu binden – etwa, indem Mitarbeiter und Zuschauerinnen sich gut kennen. Mit den Angeboten für Unternehmen erreiche man außerdem neue Zielgruppen. „Wir müssen in allen Bereichen Wachstum anstreben“, sagt Koners, „und dabei die Kunst und deren Bedeutung für alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche herausstellen.“ 

3. Das Prinzip Familienunternehmen

Wenn das mehr nach einem Wirtschafts- als nach einem Kulturbetrieb klingt, ist das gewollt: Bevor sie nach Baden-Baden wechselte, leitete Ursula Koners an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen das Institut für Familienunternehmen. Intendant Stampa und sich selbst vergleicht sie mit Fremdgeschäftsführern in einem Familienunternehmen

Weitere Ähnlichkeiten, die Koners ausmacht: Auch das Festspielhaus sei regional verankert – und wolle internationale Strahlkraft entfalten. „Und natürlich haben wir unendlich viele Digitalisierungsthemen in unseren Arbeitsabläufen“, ergänzt sie.

Der Stiftungsrat wiederum wirke analog zu einer Gesellschafterversammlung. „Dass wir gezwungen sind, schneller zu diskutieren und mehr Leuten Rechenschaft abzugeben, macht uns innovativer“, glaubt Intendant Stampa.

Seit 2019 leitet Intendant Benedikt Stampa gemeinsam mit Geschäftsführerin Ursula Koners das Festspielhaus Baden-Baden. Quelle: PR

Historisch betrachtet seien große Opernhäuser in ihren Ursprüngen private Unternehmen gewesen. Seine Rolle unternehmerisch zu verstehen, kokettiert er, sei ihm lieber als das, was er die typisch deutsche Intendantenposition nennt: „Der Intendant kommt gleich nach Gott. Und alle folgen ihm.“

4. Die Mitarbeiter 

Das Festspielhaus Baden-Baden sei näher am Markt als andere Häuser, das erkennen auch Wettbewerber an. Über die Jahre haben die Vermarktungsleute des Hauses 35 Kundengruppen definiert. Man wisse, wie oft jemand wann im Jahr welche Aufführungen, Plätze und Preiskategorien wähle – und das, obwohl es keine Abonnements gibt. „Die Frage ist: Wartet die Kultur passiv, dass die Menschen kommen? Oder macht sie ihnen Angebote?“, sagt Stampa.

Trotzdem, gesteht der Intendant ein, sei auch in Baden-Baden das Publikum nicht besonders divers: zwischen 55 und 65, weiß, akademische obere Mittelschicht. Kaufmännisch betrachtet sei der Markt gerade brillant: Die Babyboomer verfügten über das Geld, um Tickets zu kaufen, und bald, wenn sie in Rente gehen, auch über noch mehr Zeit, es auszugeben. Die nächste Generation zu erreichen, ist und bleibt schwieriger.

5. Die Kunst der Pause

Stampa hat den milliardenschweren Klassikmarkt vor der Pandemie als „sehr überhitzt“ empfunden, der Starrummel, der Hang zum Event. Vielen Häusern habe gedroht, in einem ständigen Überbietungswettbewerb ihr Profil zu verlieren. Dazu die Menge an Aufführungen, gerade in Metropolen: „Wer soll 600 Veranstaltungen im Jahr in einem Haus gucken?“, fragt er, und seine Antwort schwingt mit: natürlich niemand.

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Nun hat Stampa den Vorteil, dass ein Festspielhaus, anders als beispielsweise ein Staatstheater, per Definition nicht an (fast) jedem Tag spielen muss. Auch mal Ruhe und Pausen zulassen kann. Er will sich trotzdem weiter spezialisieren und mehr echte Festwochen übers Jahr verteilen – für die Auftretende und Publikum dann mehrere Tage vor Ort bleiben. Das gebe Raum für kulturelle Verbindungen, für Relevanz. Die Stars kämen ja weiterhin.

Mehr zum Thema: Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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