Feuerkatastrophe in London Gefährliche Dämmstoffe?

Der verheerende Großbrand in einem Londoner Wohnturm löst in Deutschland eine Diskussion über die Brennbarkeit von Dämmmaterialien aus. Die Sicherheitsanforderungen an die Fassadendämmung sind hierzulande aber hoch.

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Die Brandursache ist noch unklar. Quelle: dpa

Berlin Bislang ist unklar, weshalb es zu dem Brand in dem Londoner Wohnturm kam und warum sich das Feuer so schnell ausgebreitet hat. Nichtsdestotrotz löst das Feuer auch hierzulande Fragen über die Brennbarkeit von Dämmstoffen aus. Gebäudefassaden werden gedämmt, um die Energiebilanz von Häusern und Wohnungen zu verbessern – ein wichtiger Baustein in der Klimapolitik der Bundesregierung. Immer wieder gibt es aber den Verdacht, dass von den Materialien eine hohe Brandgefahr ausgeht.

„Hauseigentümer und Mieter dürfen nicht die Versuchskaninchen der Baustoffindustrie sein“, so kommentierte der Chef des Eigentümervereins Haus & Grund, Kai Warnecke, am Donnerstag die Brandkatastrophe in London. Es liege die Vermutung nahe, dass eine polystyrolähnliche Fassadendämmung ein wesentlicher Grund für das rasche Ausbreiten des Brandes war. Deshalb sei der Einsatz von Polystyrol zur Dämmung von Gebäudefassaden sofort auszusetzen.

Das Bundesumweltministerium (BMUB) widerspricht. In Deutschland müssten aufgrund bestehender Brandschutzvorschriften, die bauordnungsrechtlich von den Ländern eingeführt wurden, hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden, heißt es in einem Papier, das anlässlich der Brandkatastrophe in London erstellt wurde. Bei Einhaltung der Vorschriften „kann es nach menschlichem Ermessen zu einer derartigen Katastrophe nicht kommen“.

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht keine Sicherheitslücken. Zwar setzt sich die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation seit Jahren für den Einsatz von Naturdämmstoffen ein. Das erfolgt jedoch vor allem aus Gründen des Umweltschutzes – nicht aus Sicherheitsaspekten. „In Deutschland gelten für Dämmstoffe strenge Vorschriften, um die Brandgefahr zu minimieren“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner dem Handelsblatt.

Es gibt in Deutschland eine Vielfalt eingesetzter Dämmstoffe – die im Wesentlichen unter die drei Kategorien synthetische Dämmstoffe wie Polystyrol, mineralische Dämmstoffe wie Steinwolle und Naturdämmstoffe wie Holzfasern oder Schilf fallen. Materialien, die bei der Fassadendämmung eingesetzt werden, dürfen entweder gar nicht brennbar sein (wie etwa Steinwolle) oder nur schwer entflammbar (wie etwa Holz).

Dämmplatten aus Polystyrol, die leichter entflammbar sind, müssen mit Flammschutzmitteln behandelt werden, bevor sie an Fassaden aufgebracht werden dürfen. Bei Hochhäusern dürfen in Deutschland ab einer Höhe 22 Metern nur noch nicht brennbare Dämmmaterialien eingesetzt werden – quasi als doppelte Sicherheit: bis zu dieser Höhe können Menschen noch mit einer Drehleiter der Feuerwehr gerettet werden.

Die Deutsche Umwelthilfe hält weiter an der Notwendigkeit fest, Fassaden zu dämmen. „Um die Klimaschutzziele zu erreichen, brauchen wir die Wärmedämmung“, sagt Müller-Kraenner. „Und da haben alle in Deutschland eingesetzten Dämmstoffe ihre Berechtigung. Naturdämmstoffe haben jedoch einen besseren CO2-Fußabdruck und lassen sich später auch umweltgerecht entsorgen.“


Kampf um deutsche Normen

In der Regel bricht ein Brand im Inneren eines Hauses, meist in einer Wohnung aus. Um zu vermeiden, dass der Brand auf die Fassade übergreift, wenn Fenster geöffnet werden, wird in Deutschland bei Fassadenöffnungen wie Fenstern häufig ein so genannter Sturzschutz eingesetzt. Das bedeutet, dass an den Rändern der Fenster ein Streifen von nichtbrennbarem Dämmstoffmaterial angebracht wird.

An der Fassade selbst kommen horizontal verlaufende so genannte Brandriegel aus Mineralwolle zum Einsatz, um zu verhindern, dass das Feuer auf höhere Geschosse überspringt und weitere Räume in Brand setze. Der bauliche Brandschutz ist in Deutschland Teil des Bauordnungsrechts, dem auf Länderebene die Landesbauordnungen zugrunde liegen. Der Bund stellt eine Musterbauordnung als Orientierung zur Verfügung, die jedoch nicht in allen Bundesländern gleichermaßen übernommen wurde.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie bekräftigte noch einmal seine Forderung, dass die in Deutschland üblichen hohen Anforderungen an Gebäudesicherheit und Bauproduktesicherheit unbedingt erhalten bleiben müssten. Der Verband verfolgt derzeit mit Sorge, dass die EU-Kommission in Deutschland harmonisierte europäische Normen durchsetzen wolle, die vielfach den bislang gültigen Anforderungen in Deutschland nicht gerecht würden.

Dies betreffe unter anderem auch den Nachweis des Glimmverhaltens von Wärmedämmstoffen, der künftig nicht mehr auf dem bisherigen Niveau geführt werden müsse, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Michael Knipper. Bislang habe sich der Gesetzgeber in Deutschland immer dem Vorsorgeprinzip verpflichtet gefühlt.

Brandkatastrophen wie in London seien mit Blick auf den Einsatz nicht-brennbarer Dämmstoffe ab einer Höhe von 22 Metern, automatischer Sprinkleranlagen, Feuerwehraufzügen sowie druckluftbelüfteter Sicherheitstreppenhäusern kaum vorstellbar. Um so wichtiger sei es, so Knippers Forderung, sich dem Trend zur Senkung von Sicherheitsanforderungen an Bauwerke und Bauprodukte entgegenzustellen.

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