




Die finanzielle Schieflage der Kommunen in Deutschland hat sich einer Studie zufolge bis zum Jahr 2011 dramatisch verschärft. Von 2007 bis 2011 sei der Schuldenberg der Städte und Gemeinden von 111 auf 130 Milliarden Euro gewachsen, heißt es in einer Analyse der Bertelsmann Stiftung. Besonders die sogenannten Kassenkredite hätten zugenommen.
Sie lassen sich mit dem Dispositionskredit eines privaten Verbrauchers vergleichen. Sie sind eigentlich kurzfristig für die laufende Geschäftstätigkeit gedacht. Viele Kommunen haben darüber jedoch inzwischen hohe Schuldenberge aufgebaut. So machten die Kassenkredite 2007 mit 29 Milliarden Euro ein Viertel der kommunalen Gesamtschulden aus, Ende 2011 bildeten sie mit 44 Milliarden Euro gut ein Drittel der Schulden. Kassenkredite gelten als Kern der kommunalen Finanzkrise, weil sie ausschließlich der Liquiditätssicherung dienen und nicht für den Bau von Straßen oder Schulen eingesetzt werden. In manchen Ländern lägen die kommunalen Bauausgaben mittlerweile ein Drittel unter dem Bundesdurchschnitt.
Die Situation der Kommunen sei der Stiftung zufolge in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. In Sachsen, dem einzigen Bundesland mit spürbar sinkenden Kassenkrediten, betrage die kommunale Verschuldung durch Kassenkredite 13 Euro pro Einwohner. Am anderen Ende liege das Saarland: Hier seien es 1754 Euro.
Deutsche Schuldenhochburgen
Dem Finanzreport 2013 der Bertelsmann Stiftung zufolge ist Oberhausen die Stadt mit den höchsten Schulden. Auf einen Einwohner kommen 6.870 Euro Miese durch Kassenkredite. Die Stadt schloss Musikhäuser und machte bereits fünf der acht Schwimmbänder dicht.
Auf Platz zwei folgt Pirmasens in Rheinland-Pfalz mit 6.215 Euro Schulden pro Einwohner. Vor allem der Rückgang der Einwohnerzahl macht der Stadt zu schaffen.
In Kaiserslautern liegen die Schulden bei 6.040 Euro pro Einwohner.
Auch wenn sich der Schuldenstand im Vergleich zu 2007 etwas verringert hat - Hagen gehört mit 5.618 Euro Schulden pro Einwohner zu den Schuldenhochburgen. 19 der 30 besonders verschuldeten deutschen Städte liegen in Nordrhein-Westfalen.
Remscheid, ebenfalls NRW-Kommune, hat es mit knapp unter 5.000 Euro Schulden pro Einwohner in die Top 5 geschafft.
Das rheinland-pfälzische Zweibrücken ist mit rund 34.000 Einwohnern die kleinste kreisfreie Stadt Deutschlands und doch eine der Schuldenhochburgen. Auf einen Einwohner kommen 4.230 Euro Schulden durch Kassenkredite.
Wuppertal, berühmt durch seine Schwebebahn, steckt ebenfalls tief in der Miese. Pro Einwohner sind es 4.215 Euro Schulden.
Auf Platz acht folgt Ludwigshafen mit 4.043 Euro Schulden pro Bürger.
Von Platz acht auf neun ist die rheinland-pfälzische Hauptstadt Mainz mit 3.857 Euro Schulden pro Einwohner gefallen.
An zehnter Stelle kommt Essen im Ruhrgebiet (3.766 Euro pro Einwohner). Die Stadt ist laut der Bertelsmann Stiftung mehr als dreimal so hoch verschuldet wie alle bayerischen, sächsischen und baden-württembergischen Kommunen zusammen.
Viele Städte scheinen demnach in einer Abwärtsspirale aus Überschuldung, Abwanderung und sinkender Attraktivität gefangen zu sein. Mehr als die Hälfte der gesamten Kassenkredite deutscher Kommunen entfalle 2011 auf nur 30 Städte und Landkreise. Davon liegen 19 in Nordrhein-Westfalen und keine in einem der östlichen Bundesländer. Die Stadt Essen sei zum Beispiel durch Kassenkredite (2,16 Milliarden Euro) mehr als dreimal so hoch verschuldet wie alle bayerischen, sächsischen und baden-württembergischen Kommunen zusammen. Auch Oberhausen, Pirmasens und Kaiserslautern (6.870, 6.215, 6.040 Euro pro Einwohner) haben eine sehr hohe Schuldenlast durch Kassenkredite.
Oft sei die genaue Höhe des Defizits schwer zu erkennen, weil fast 60 Prozent der Schulden ausgelagert wurden, etwa in Beteiligungen an Versorgungs- oder Wohnungswirtschaftsunternehmen, heißt es im Finanzreport der Bertelsmann Stiftung. "In der Auslagerung stecken Chancen und Risiken, in jedem Fall aber schrumpft die Transparenz für Politik, Bürger und Aufsicht", sagte René Geißler, Finanzexperte und Mitverfasser der Studie.
Um zu verhindern, dass bislang stabile Kommunen in die Verschuldung abrutschen, empfehlen die Autoren, eine kommunale Schuldenbremse in den Kommunalverfassungen zu verankern – ähnlich wie die für die Bundesländer ab 2020. Damit würden die Städte auch verpflichtet, eigene Einnahmepotenziale auszuschöpfen. Dazu zählen die Steuern, deren Höhe die Kommunen selbst festlegen können, etwa die Grund- und Gewerbesteuer. „Steuererhöhungen sind politisch unbequem, aber langjähriger Einnahmeverzicht verschärft die Haushaltskrise", so Geißler.
Geldanlage
Schuldenbremse allein reicht nicht
Doch ein Abbau der Kreditbelastung ist für die hoch verschuldeten und oftmals schrumpfenden Kommunen allein kaum möglich, so der Finanzreport. "Aus der Spirale sinkender Handlungsfähigkeit und wachsender sozialer Probleme führt nur ein gemeinsamer Kraftakt von Bund, Ländern, Kommunen und Bürgern", sagte Kirsten Witte. Einiges sei auf den Weg gebracht. So habe der Bund die Kommunen bei den Sozialausgaben spürbar entlastet. Sieben Bundesländer haben Entschuldungsfonds aufgelegt.
Die schlechte Situation der kommunalen Finanzen dürfte auch die Debatte um den Fortbestand des Solidarpakts weiter befeuern. Die Mittel daraus fließen bereits heute nicht mehr gezielt in den Aufbau Ost, sondern in den allgemeinen Etat des Bundes. Daher gibt es weitere Vorschläge, die Staatseinnahmen von rund 13 Milliarden Euro jährlich weiterhin in den Ausbau der Infrastruktur auch in Westdeutschland zu stecken.