Finanzkrise Die Zukunft des Kapitalismus

Die Finanzkrise stürzt die Weltwirtschaft in eine existenzielle Krise und stellt infrage, was diese Jahrzehnte geprägt hat: freie Märkte, Globalisierung und Demokratisierung. WirtschaftsWoche-Chefredakteur Roland Tichy mit 10 Thesen zum Beginn einer Serie über Ursachen und Folgen.

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Roland Tichy, WirtschaftsWoche-Chefredakteur Quelle: Max Lauenschläger für WirtschaftsWoche

1. Pervertierter Markt

Die Allmachtsfantasien, die in den vergangenen Jahren viele Bankmanager befallen haben, werden nur noch übertroffen durch die Allmacht, die ihnen jetzt zugeschrieben wird: Die Gier und Dummheit der Geldverwalter soll also diese globale Krise ausgelöst haben. Zu viel der Ehre!

Die Ursache der Krise liegt darin, dass die Politik weltweit und in den USA insbesondere die Schuldenmacherei ermöglicht und belohnt hat. Jeder US-Bürger sollte ohne genaueres Ansehen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zum Immobilienbesitzer avancieren und durch Kauf auf Pump die Konjunktur stimulieren. Für dieses Ziel wurden Geld und Kapital künstlich verbilligt, Regularien gelockert und alle Beteiligten animiert, kräftig die Blase aufzupumpen.

Gerne haben die Banken die Einladung angenommen und ihre Schalterhallen zu Spielhöllen umgewidmet, in denen sie ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben. Am Blasebalg des Fegefeuers aber stand eine Geld- und Finanzpolitik, die jetzt Brandstifter sucht. Das Marktversagen muss jetzt korrigiert werden. Und wenn jetzt die Rettung in der Verstaatlichung liegen soll – waren es nicht die deutschen Staats- und Landesbanken, die besonders wüst und gegen Sinn, Verstand und Regel gezockt haben? Das ist Marktwirtschaft pervers.

2. Richtig regulieren statt mehr

Jetzt rufen alle nach Regulierung. Dabei wird seit der Dotcom-Blase auf Teufel komm raus reguliert, allein in Deutschland mit einem Dutzend zusätzlicher Finanzmarktgesetze. An der falschen Stelle. Die Regulierungsfeuerwehr wird bald mit ihrem Löschwasser Beteiligte und Unbeteiligte ertränken, während es ganz woanders lichterloh zu brennen beginnt. Man rette sich vor Politikern, die die Welt retten wollen. Sie fangen gerade wieder an. Nicht mehr, sondern zielgenaue Regulierung ist gefragt.

3. Die Krise geht erst richtig los

Glasnost und Perestroika, der Fall der Berliner Mauer haben die Dreiteilung der Welt in West- und Ostblock und Dritte Welt aufgehoben. Im Zuge der Globalisierung traten mehr als eine Milliarde Menschen in China und Russland in die Weltwirtschaft ein, machten sich Hunderte von Millionen in Indien, Brasilien und anderswo auf den langen Marsch Richtung Demokratie, Kapitalismus und Wohlstand, halbierte sich die Zahl der Armen.

Das Wachstum der Weltwirtschaft droht zu stocken, aus mehr wird weniger. Gigantische Kapitalmengen, die in den Wachstums-und Schwellenländern investiert wurden, fließen zurück in die Herkunftsländer. Die Globalisierung hat weltweit Wohlstand erzeugt – die Rücknahme der Globalisierung wird weltweit Armut produzieren.

Was geschieht, wenn der feine Duft des Wohlstands verweht? Diejenigen, die daran geschnuppert haben, werden sich das nicht gefallen lassen. Soziale Konflikte drohen und wirken krisenverstärkend – in Deutschland aber wohl nicht. Rentner keifen, aber revoltieren nicht, jugendliche Stürmer und Dränger fehlen schon demografisch.

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