Annalena Baerbock möchte Deutschland „in eine gute Zukunft führen“, Armin Laschet „Zukunft gestalten“. Olaf Scholz tritt an „aus Respekt vor Deiner Zukunft“. Doch wie sieht eine zukunftsfähige Finanzpolitik eigentlich aus? Die Antwort galt in Deutschland lange als gesetzt: Damit man auch in Zukunft handlungsfähig sei, solle man mit möglichst wenig Krediten auskommen, das Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt die 60-Prozent-Marke nicht überschreiten.
Die 60 Prozent haben allerdings gar keine ökonomische, sondern eine historische Begründung: Auf diesem Niveau lag die durchschnittliche Schuldenquote in der Europäischen Gemeinschaft in den frühen Neunzigerjahren.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Zahl, die finanzpolitische Zukunftsfähigkeit garantieren soll, Umständen entsprungen ist, die längst der Vergangenheit angehören: So überschritt die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Oktober 1990 die Neun-Prozent-Marke. Heute liegt sie im Bereich um minus 0,2 Prozent. Das bedeutet: Anleger bezahlen den Bund mittlerweile für das Privileg, seine Anleihen halten zu dürfen. In dieser besonderen Situation fällt die Schuldenquote, obwohl der Staat neue Schulden aufnimmt, da das Wirtschaftswachstum – Krisenjahre ausgenommen – weit über der Anleiherendite liegt.
Zukunftsfähigkeit lässt sich heute also nicht mehr ablesen an der Verschuldung, sondern die Herausforderungen liegen woanders: Der Zuschuss zur Rentenversicherung macht bereits jetzt knapp ein Drittel des Bundeshaushalts aus, Tendenz steigend. Über alle Sicherungssysteme hinweg betrachtet, stehen fünf erwerbstätigen Personen drei gegenüber, die auf Transferleistungen angewiesen sind. Das kostet viel Geld. Eine zukunftsfähige Finanzpolitik sollte daher zuallererst darauf abzielen, dass so viele Menschen wie möglich Arbeit haben. Die deutsche Schuldenbremse macht allerdings genau das Gegenteil: Sie nimmt die Vergangenheit als Maßstab dessen, was möglich ist.
Sobald Menschen also nur in dem Maß erwerbstätig sind, wie es schon früher der Fall war, gilt die Wirtschaft unter der Schuldenbremse als ausgelastet. In der Folge muss der Staat die Konjunktur durch Sparen bremsen – analog zur Geldpolitik, die die Zinsen anzieht, wenn sie eine Überhitzung der Wirtschaft befürchtet. Genau das aber kostet Wohlstand: Frauen verharren dann weiterhin bei einer sehr viel niedrigeren Erwerbsbeteiligung als Männer. Und knapp sechs Millionen Menschen arbeiten unnötig Teilzeit.
Während wir uns also auf der einen Seite berechtigte Sorgen um Renten und Sozialausgaben machen, leisten wir uns andererseits, dass der Arbeitsmarkt nicht seinen Teil zur Lösung beiträgt. Und das, obwohl im Gegensatz zu den Neunzigern zunehmender Fachkräftemangel herrscht und wir unsere Wirtschaft mit Hochgeschwindigkeit umbauen müssen, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Ein erster Schritt in Richtung zukunftsfähiger Finanzpolitik wäre daher, die Definition eines voll ausgelasteten Arbeitsmarkts unter der Schuldenbremse in Richtung dessen zu verändern, was möglich ist, anstatt die Arbeitsmarktverhältnisse der Vergangenheit schlicht fortzuschreiben.
Die Zukunftsfähigkeit der Finanzpolitik hängt zweitens davon ab, wie das Geld ausgegeben wird. Oft heißt es, Investitionen seien gut, konsumtive Ausgaben schlecht. Das Problem: Eine produktive Wirtschaft bedarf Investitionen in Humankapital. Nach der Bundeshaushaltsordnung gelten diese aber nicht als Investition, im Gegensatz zum Bau von Straßen oder dem Kauf von Maschinen.
Eine Neudefinition des Investitionsbegriffs ist jedoch schwierig: Oft lässt sich nicht unabhängig vom Kontext beurteilen, ob eine Ausgabe in der Zukunft einen ökonomischen Return erbringt oder nicht. Beim Kitaausbau hängt dies zum Beispiel davon ab, ob Mütter infolge verbesserter Betreuungsangebote in Zukunft mehr arbeiten oder nicht – was neben dem Ausbau von vielerlei anderen Faktoren, etwa der wirtschaftlichen Lage, abhängt.
Eine ernsthafte und zukunftsgewandte Finanzpolitik sollte daher aufhören, Ausgaben in holzschnittartige Kategorien zu zwingen, und sich stattdessen vielmehr an Zielen orientieren, die es zu erreichen gilt. Beispielsweise, dass möglichst viele Kinder in der ersten Klasse Deutsch sprechen oder zentrale Technologien einer nachhaltigen Wirtschaft in Deutschland entwickelt und kommerzialisiert werden.
Neben den oben beschriebenen Maßnahmen gehört zu einer solchen Finanzpolitik auch ein effektives Warnsignal, das frühzeitig erkennt, wenn sich die Finanzierungskonditionen des Staates verändern. So frühzeitig, dass die Finanzpolitik sich nicht wieder über zehn Jahre an Rahmenbedingungen orientiert, die bereits lange Geschichte sind.
Es ist bei dieser Bundestagswahl einfacher denn je, zu erkennen, welche der Aspirantinnen und Aspiranten auf das Kanzleramt es wirklich ernst meinen mit „Zukunft gestalten“. Denn eine klare Grundvoraussetzung dafür ist eine neue Weichenstellung bei den Staatsfinanzen. Weg von der Parole „Schulden verhindern“, hin zu einer zielgerichteten Finanzpolitik, die eine langfristig produktive, voll ausgelastete Wirtschaft ermöglicht. Wer dies nicht anpackt, atmet den Geist der Neunziger.
Mehr zum Thema: Der Wahlkampf ist in vollem Gange. Aber welche Partei verfügt über das wirtschaftspolitisch ambitionierteste Konzept und die klügsten Vorstöße für Deutschland? Fünf Topökonominnen und -ökonomen durchleuchten die Programme.Fünf Topökonominnen und -ökonomen durchleuchten die Programme.