Eine Woche nach Entdeckung Tausender toter Fische in der Oder ist die Ursache für das massenhafte Sterben weiter unklar. Die EU-Kommission hat unterdessen den Behörden in Deutschland und Polen bei den Untersuchungen Unterstützung angeboten. „Wir sind bereit, mit allen Mitteln zu helfen bezüglich Expertise und Informationenaustausch mit anderen Ländern, um Antworten und Lösungen zu finden“, sagte eine Kommissionssprecherin am Dienstag in Brüssel. Man sei mit den Behörden beider Länder in Kontakt.
Allein die polnische Feuerwehr hat nach eigenen Angaben bislang fast hundert Tonnen toter Fische aus dem Grenzfluss und einem kleineren Fluss geborgen, der keine Verbindung zur Oder hat. Auch in Brandenburg sammelten Helfer die Fischkadaver an der Oder ein. Die verendeten Tiere werden in speziellen Verbrennungsanlagen vernichtet. Über die in Deutschland eingesammelten Mengen gab es keine Angaben.
Am Nachmittag sprach EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Man müsse Verschmutzungen so früh wie möglich und auch besser erkennen und koordiniert auf länderübergreifende Fälle reagieren, schrieb er danach auf Twitter. Sinkevicius habe auch mit der polnischen Umweltministerin Anna Moskwa telefoniert, sagte ein Sprecher.
Fischsterben durch giftige Stoffe in Deutschland
Aus dem Kleinen und Großen Jasmunder Bodden auf der Ostseeinsel Rügen werden rund 31 Tonnen tote Fische geborgen. Warum sie starben, ist unklar. Experten schließen Sauerstoffmangel und eine Fischseuche als Ursache aus. Die Umweltschutzorganisation WWF vermutet eine Vergiftung in Folge mehrerer Faktoren.
In einem See bei Penzlin (Mecklenburg-Vorpommern) sorgen nicht geklärte Abwässer für ein Fischsterben; der Stickstoff- und Phosphorgehalt ist deutlich erhöht.
Durch eine Panne in einer Zuckerfabrik in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) gelangen mehr als 100.000 Liter Alkohol in die Peene und töten rund 18 Tonnen Fische.
Bei Löscharbeiten auf einem Mühlengelände im baden-württembergischen Kirchberg an der Jagst wird Ammoniumnitrat und Löschwasser in den Fluss geschwemmt. Zehn- bis Hunderttausende Fische sterben.
Tausende Fische werden in einem Bach nahe dem niederbayerischen Essenbach durch ausgelaufene Bierhefe vergiftet.
Nach einer missglückten Reinigungsaktion an einem Klärbecken gelangt mit Brandkalk versetztes Wasser in den Essener Baldeneysee und löst ein Fischsterben aus.
Wegen eines defekten Ventils fließen 100 Liter Pflanzenschutzmittel in einen Bach bei Hildesheim (Niedersachsen) und töten Hunderte Forellen.
Gülle von einem Bauernhof bei Duderstadt (Niedersachsen) verseucht die Hahle. Tausende Fische verenden.
Nach einem Unglück im Hamburger Hafen läuft aus einem beschädigten Tankschiff Schwefelsäure aus. Zahlreiche Fische sterben.
Mindestens 100.000 Liter Gülle aus einer gebrochenen Leitung verseuchen einen Bach bei Gerolstein (Rheinland-Pfalz) und lösen ein Fischsterben aus.
Bei einer der größten Umweltkatastrophen in Deutschland fließen beim Löschen eines Brandes beim Schweizer Pharmakonzern Sandoz giftige Chemikalien in den Rhein und färben ihn rot. Der Aalbestand wird auf einer Strecke von mehr als 400 Kilometern ausgelöscht, Tausende andere Fische und Lebewesen sterben.
Das Brandenburger Landesumweltamt hat inzwischen erste Laborergebnisse ausgewertet. Die am Montagabend vom Landeslabor Berlin-Brandenburg in einer ersten Tranche übermittelten Ergebnisse hätten keine besonders hohen Werte für Metalle wie Quecksilber gezeigt, hieß es am Dienstag vom Ministerium. Eine einzelne Ursache für die Umweltkatastrophe lasse sich nicht erkennen.
Auf der Webseite des Landesumweltamts lässt sich ablesen, dass sich die Werte im Fluss vom 7. August an dramatisch veränderten. So schnellten der Sauerstoffgehalt, der pH-Wert, die Trübung und andere Werte schlagartig nach oben, während die Menge von Nitrat-Stickstoff deutlich abfiel.
Auch südlich der Hafenstadt Stettin sind mittlerweile nach Angaben polnischer Behörden in Kanälen, die mit der Oder verbunden sind, tote Fische gefunden worden. Dies bedeute, dass sich die verseuchten Wassermassen auf Stettin zubewegten, sagte der Chef der Gebietsadministration für die Woiwodschaft Westpommern, Zbigniew Bogucki, am Dienstag.
Nördlich von Stettin liegt das Stettiner Haff. Die Oder mündet in das Haff, das mit rund 900 Quadratkilometern etwa doppelt so groß ist wie der Bodensee. Es gehört zu zwei Dritteln zu Polen. Von dort verlaufen Wasserverbindungen zur Ostsee.
Die Tourismusbranche in der Haff-Region im östlichen Mecklenburg-Vorpommern blickt mit Sorge auf das Fischsterben. „Es ist eben noch eine Situation, in der sehr vieles unklar ist“, sagte der Geschäftsführer des Landestourismusverbands, Tobias Woitendorf. Die Landesregierung in Schwerin rät vorsichtshalber vom Baden im Stettiner Haff ab. Gesundheitliche Risiken könnten bislang nicht ausgeschlossen werden. Auch vom Angeln, Fischen und der Wasserentnahme haben Behörden abgeraten.
Der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), sagte am Dienstag: „Bislang wurden im deutschen Teil des Stettiner Haff keine toten Fische gesichtet“. Nach seinen Informationen stehe die Welle mit Fischkadavern noch vor Stettin. Im Moment setze man alles daran, dass kein toter Fisch im Stettiner Haff ankommt. Wasseruntersuchungen im Haff hätten bisher keine Auffälligkeiten ergeben. Ohne Kenntnis des Auslösers handele es sich um die „sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen“, gab er zu bedenken. Es könne auch passieren, dass etwaige Schadstoffe im Haff so verdünnt würden, dass sie nicht mehr nachzuweisen seien.
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