"Fleischfabrik Deutschland" Anton Hofreiter – ein Grüner mit Beißhemmung

Der Fraktionschef der Ökopartei, Anton Hofreiter, stellt sein Buch „Fleischfabrik Deutschland“ vor. Trotz aller Schelte für Megaställe und Billigwurst mag er die Verbraucher nicht kritisieren, die ihr Fleisch beim Discounter kaufen.

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Altmaier und Hofreiter stellen Buch vor Quelle: dpa

Anton Hofreiter hat kürzlich ein Steak in einem Restaurant in Berlin-Mitte verspeist, es war wohl beim gemeinsamen Essen mit Peter Altmaier. Der Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag legt Wert darauf, dass das Rind vorher artgerecht auf der Weide gehalten worden sei.

Der Chef des Bundeskanzleramtes, CDU-Mann Altmaier, bestätigt: „Ich habe schon manches Filet mit Toni Hofreiter verspeist.“ Am Dienstag will er Hofreiters neues Buch „Fleischfabrik Deutschland“ vorstellen, eine Abrechnung mit der Massentierhaltung. Altmaier, der bekannt dafür ist, mit allen und jedem zu reden im politischen Berlin, legt Wert darauf, dass sein Auftritt kein Vorgriff auf eine schwarz-grüne Koalition im Bund sei. Er hätte auch eine Einladung von SPD-Chef Sigmar Gabriel oder FDP-Chef Christian Lindner angenommen.

Die beiden Männer auf dem Berliner Podium kennen sich schon länger und duzen sich. Altmaier lobt, das Buch greife wichtige Themen auf, „über die wir in den nächsten Wochen und Monaten werden diskutieren müssen“. Milchkrise, das Pflanzenschutzmittel Glyphosat, die Produktion in immer größeren landwirtschaftlichen Betrieben. Es gebe einige Gemeinsamkeiten zwischen ihm, dem CDU-Politiker und dem Fraktionschef der Ökopartei. Altmaier deutet auf den eigenen Bauchumfang und den etwas geringeren von Hofreiter.

Die zehn größten Bio-Mythen
Mythos 1: Bioprodukte sind gesünderZwar gibt es Studien, die belegen, dass ökologische Lebensmittel mehr Vitamine und Nährstoffe enthalten – doch andere Untersuchungen widersprechen hier. Daher gibt es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Bio mit „gesünder“ gleichzusetzen ist. Anders sieht das bei der Pestizidbelastung aus: Hier schneiden Bio-Lebensmittel in der Regel wesentlich besser ab.  Quelle: Welt.de Quelle: dpa
Mythos 2: Bioprodukte sind teurerDer Mehraufwand, etwa für artgerechte Tierhaltung, muss bezahlt werden: 30 bis 100 Prozent kosten Bio-Produkte im Durchschnitt mehr. Doch in vielen Bereichen ist der Preisunterschied zwischen Produkten aus ökologischer und denen aus konventioneller Landwirtschaft kaum noch spürbar – erst recht, seitdem es auch immer mehr Bio-Ware in den Discountern gibt. Bei Obst und Gemüse, etwa bei Karotten oder Äpfeln,  ist der Preisunterschied oft schon verschwunden. Deutlich spürbar bleibt er jedoch bei Fleisch. Quelle: dpa
Mythos 3: Bio-Produkte sind transparentDas stimmt so nicht. Die Vielzahl an unterschiedlichen Siegeln, vom deutschen über das europäische Bio-Siegel bis zu Demeter oder Bioland, ist für Verbraucher kaum zu überschauen – zumal bei allen Kennzeichnungen unterschiedliche Richtlinien gelten. Anbauverbände wie Demeter stellen in der Regel die strengsten Anforderungen, das europäische Bio-Siegel bietet hingegen nur den Mindeststandard.    Quelle: dpa
Mythos 4: Bio ist ein NischenproduktDas galt nur in den Anfangsjahren. 2013 kletterten die Umsätze der Bio-Branche um stattliche 7,2 Prozent auf 7,55 Milliarden Euro, meldet der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Im Öko-Barometer des Bundesernährungsministeriums heißt es, dass inzwischen drei von vier Verbrauchern beim Lebensmitteleinkauf auch nach ökologisch hergestellter Ware greifen. Dabei sind die Konsumenten vor allem junge Verbraucher unter 30 Jahren. Für Gerald Herrmann, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Organic Services, keine Überraschung: „Die jungen Generationen sind vielfach damit aufgewachsen, für sie ist Bio selbstverständlich geworden." Quelle: dpa
Mythos 5: Bio ist bei Bauern beliebtLandwirte, die Bio-Landbau betreiben wollen, haben mit vielen Hürden zu kämpfen. Zum Beispiel mit dem Flächenproblem: Durch die Subventionierung von Energiemais für Biogasanlagen, die durch das EEG festgelegt ist, können sich viele Öko-Betriebe die teuren Pachtpreise nicht mehr leisten. Zudem gibt es Umstellungsfristen von zwei bis drei Jahren, in denen die Landwirte zwar ökologisch produzieren, ihre Ware aber nur zu den Preisen für konventionelle Ware verkaufen dürfen. Quelle: dpa
Mythos 6: Bio ist regional und nachhaltigDie Nachfrage nach Bio-Produkten wächst schnell – die Größe der Anbaufläche und die Zahl der Bauern können da hierzulande nicht mithalten. Deutschland fehlen Tausende Biobauern. Dadurch wird viel importiert: Jede dritte Bio-Kartoffel stammt aus dem Ausland, bei Möhren, Äpfeln und Gurken ist es etwa die Hälfte. Besonders krass ist es bei Bio-Tomaten und –Paprika, sie stammen zu 80 beziehungsweise über 90 Prozent aus allen Ecken der Welt. Wie nachhaltig eine Bio-Kartoffel aus Ägypten, die intensiv bewässert werden muss, dann noch ist, ist äußerst fraglich. Quelle: dpa
Mythos 7: Bio-Produkte enthalten keine ZusatzstoffeDas kann man pauschal so nicht sagen. Insgesamt 50 der knapp 320 zugelassenen Zusatzstoffe wie Aromen oder Konservierungsmittel sind nach der EU-Öko-Verordnung auch für Bio-Lebensmittel zugelassen, sofern das Produkt ohne diese Zusätze nicht hergestellt oder haltbar gemacht werden kann. Quelle: dpa

Nach dem gemütlichen Einstieg des Unionsmanns wird Hofreiter schärfer. Er geißelt die Tierhaltung auf deutschen Höfen. Unmengen an Tierfutter werde importiert, oft aus Soja, das in Ländern wie Brasilien unter fragwürdigen Bedingungen angebaut werde. Die Tiere in den Ställen ließen jedes Jahr so viel Gülle ab, dass ein damit beladener Güterzug einmal um die Erde reiche. Ein geschlachtetes Huhn bringe dem Bauern nur noch zwei Cent Gewinn. „Die Menschen essen seit Jahren weniger Fleisch in Deutschland, wir produzieren aber immer mehr.“ Die subventionierte Ware werde dann zum Beispiel nach Westafrika exportiert und ruiniere die Viehzüchter dort.

Verbraucher wollen Bullerbü - und kaufen billig

Hofreiter schlägt den ganz großen Bogen, er verknüpft die industrielle Landwirtschaft mit der Handelspolitik und dem Schwund der ökologischen Vielfalt. Verloren geht dabei etwas die Rolle, die Landwirte und Verbraucher in Deutschland spielen. Hier die Bauern, die stetig produktiver werden müssen, die weniger und größere Höfe bewirtschaften, dort die Privatleute, die Bullerbü-Bauernhöfe verlangen, vor allem aber billig kaufen.

Würstchen, Leberwurst, Schnitzel - Hauptsache kein Fleisch
Currywurst so ganz ohne Fleisch. Und sogar mit derselben Currysauce wie das Original. Meist werden die Ersatzprodukte aus Soja, Tofu oder Seitan hergestellt. Vegetarisch und nicht vegan ist dieses Produkt deswegen, weil Weizeneiweiß, Hühnereiklar und Milchzucker enthalten ist. Vegetarisch muss aber nicht immer gesünder sein: Der Fett- und Kaloriengehalt liegt bei der vegetarischen Currywurst höher, als bei der fleischhaltigen Originalvariante. Schmecken tuts trotzdem. Quelle: Meica
Es gibt nicht nur vegetarische Bratwürstchen, sondern sogar Veggie-Bratwürste mit Käse. Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten ist nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren um 88 Prozent gestiegen. Quelle: Meica
Man glaubt es kaum, aber ... Quelle: Alberts
.. Auch das ist kein Fleisch. Es ist sogar ein komplett veganes Produkt aus so genannten Lupinen. Als heimische Alternative zu Soja wurden Lupinen vor einigen Jahren groß gefeiert. Die Produkte aus der eiweißreichen Hülsenfrucht halten allerdings nur zögerlich Einzug in den Supermarkt. Quelle: Alberts
Bockwurst mit Kartoffelsalat ist bei den deutschen sehr beliebt. Diese vegane Variante der Bockwurst ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Jedenfalls äußerlich. Quelle: meetlyke
Innerlich besteht diese fleischartige Wurst aus Seitan. Ein Produkt aus Weizeneiweiß aus der traditionellen japanischen Küche. Sozusagen eine Imitation von Fleisch durch Gluten. Quelle: meetlyke
Der Klassiker zur Brotzeit darf natürlich nicht fehlen: Die Fleischwurst. Die vegetarische Variante wartet hier allerdings mit deutlich weniger Kalorien auf als die traditionelle Geflügel-Fleischwurst derselben Marke. Die Veggie-Fleischwurst kommt bei 100 Gramm auf 155 Kilokalorien, wohingegen die Geflügel-Variante auf glatte 238 Kilokalorien pro 100 Gramm kommt.

Der Obergrüne weiß, dass seinen Wählern das Essen und die Natur am Herzen liegen. Dass  Landwirtschaft und Ernährung das große Thema für die Ökopartei sein könnten, das früher die Energiewende war. Doch er darf seine Sympathisanten nicht gängeln, der Veggie Day, der Kantinentag ohne Fleisch auf dem Menü war im letzten Wahlkampf ein Eigentor. Und mit den Bauern sollte er es sich auch nicht verscherzen, schließlich will er sie auf seine Seite ziehen.

Also lässt Hofreiter sein Buchpremieren-Publikum etwas ratlos zurück. „Wir dürfen den einzelnen Landwirt nicht alleine lassen“, sagt er nur. Die Bauern hätten keine Schuld am Irrsinn. „Es ist auch nicht verboten, bei Aldi ein billiges Schweineschnitzel zu kaufen. Natürlich ist Bio wünschenswert.“

Bloß keine Verbraucherschelte. Und wer ist für den Wandel zuständig? „Das ist Aufgabe der Politik“, bleibt Hofreiter recht allgemein. Im Buch fordert er zum Beispiel eine Kennzeichnung von Fleisch wie bei Eiern, damit Massentierhaltung sichtbar werde. Außerdem will er kleinere Ställe erzwingen und einschränken, wieviel Gülle auf Feldern ausgebracht werden darf.

von Kathrin Witsch, Henryk Hielscher

Altmaier merkt süffisant von der Seite an, eigentlich sei das gar keine Handlungsanleitung für Deutschland, dieses Buch. Es gehe gleich um den ganzen Planeten. Und wäre er Deutschlehrer, dann würde er sagen: „Toller Titel, falsches Buch oder umgekehrt: tolles Buch, falscher Titel.“ Der beleibte CDU-Mann versucht immer wieder, das Publikum auf seine Seite zu ziehen, auf die des liberalen Genussmenschen, der aber moralische Maßstäbe an seine Nahrung stellt.

Er habe noch nie ein Problem mit Wörtern wie Fleisch- oder Wurstfabrik gehabt, sagt Altmaier noch. Er esse eben gern. Eine seiner schönen Kindheitserinnerungen sei, dass er mit seiner Mutter zum Metzger einkaufen ging. „Dort habe ich immer ein Stück Fleischwurst bekommen. Ganz umsonst und zwei Finger dick.“

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