Fragen, auf die Politiker wie Bürger Antworten finden müssen, damit die gewaltige Aufgabe gelingen kann. „Langfristig wird Deutschland deutlich von Zuwanderung profitieren“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Zuwanderer werden einen wichtigen Beitrag leisten, damit dieses Land seinen Wohlstand und seine Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern kann.“ Aber dazu bedürfe es eines „gezielten Investitionsprogramms“, meint der Ökonom, „das jedoch weiterhin fehlt“.
Sollten in diesem Jahr tatsächlich 800.000 Flüchtlinge oder gar mehr um Asyl in Deutschland bitten, dürfte allein deren Integration zehn Milliarden Euro kosten, prognostiziert das Münchner ifo Institut. Übertrieben ist das keineswegs: Allein die Kommunen kalkulieren mit bis zu 14.000 Euro pro Jahr und Flüchtling für die Unterbringung, das wären dann schon mehr als elf Milliarden. Rund eine Milliarde geben Länder und Kommunen gerade pro Monat aus, taxiert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Das entspräche zwölf Milliarden Euro im Jahr. Und diese Kosten dürften nur der Anfang sein. Damit die Flüchtlinge nicht nur untergebracht, sondern langfristig erfolgreich integriert werden, ist viel mehr nötig. Vor der Integration stehen zunächst einmal Investitionen an.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
1. Ohne Bildung ist alles nichts
In Berlin-Mitte haben sie die ersten Schritte schon hinter sich. „Hallo, wie geht es dir“ – geschenkt. In Raum 128 der Volkshochschule (VHS) verteilt Jennyffer Puhle Modekataloge an die Schüler des Deutschkurses für Flüchtlinge. „Wie findest du die Hose?“, fragt Abakar sein Gegenüber. „Die finde ich hässlich“, sagt Khaled.
Die Lernatmosphäre ist entspannt. Viele der jungen Flüchtlinge im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind seit weniger als einem Jahr in Berlin. Sie sind wissbegierig, es herrscht konzentrierte Ruhe. Mit dem Deutschkurs beginnt für sie ein Prozess persönlicher Aufbauarbeit. Deutschland ist nun ihre neue Heimat.
Zumindest soll sie es werden, schließlich wird es Jahre dauern, bis sie voll integriert sind und am Gesellschaftsleben teilhaben. Immerhin: Deutschland hat aus früheren Migrationswellen gelernt. Bislang wurde Flüchtlingen ohne Duldungsstatus der Zugang zur Bildung verwehrt. Nun kann jeder zumindest Deutsch lernen. Allein Berlin vervierfachte den Topf für Sprachkurse in diesem Jahr auf 1,2 Millionen Euro. Wer dauerhaft bleibt, muss zudem Integrationskurse besuchen und den Sprachabschluss B1 nachweisen – „das Seepferdchen der deutschen Sprache“ nennt Michael Weiß, Chef der VHS Berlin-Mitte, das.
„Wir dürfen uns keine Illusionen machen“, meint Bildungsökonom Ludger Wößmann von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Erwachsene lernen nicht so schnell wie Kinder.“ Und selbst wenn sie die Grundzüge der deutschen Sprache beherrschten, „hängt ein Job stark von den beruflichen Qualifikationen ab“. Unter den Neuankömmlingen gebe es eine große Anzahl von Analphabeten, so Wößmann.