Flüchtlinge in Deutschland In drei Schritten zur gelungenen Integration

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Vorbild aus der Schweiz

Aber eine nachhaltige Lösung wäre das nicht. Der Münchner Ökonom Ludger Wößmann fordert deshalb pragmatische Lösungen: Ausnahmen vom Mindestlohn – analog zu Langzeitarbeitslosen – und ein Aussetzen der Prüfung, ob der Arbeitsplatz, den ein Flüchtling haben möchte, nicht auch mit einem Einheimischen besetzt werden könnte (Vorrangprüfung). Zudem schlägt der Wissenschaftler vor, das Ausbildungssystem neu auszurichten. „Deutschland sollte teilqualifizierende Berufsausbildungen massiv ausweiten, die über ein bis zwei Jahre laufen“, so Wößmann. Die Schweiz habe das erfolgreich vorgemacht.

3. Eine Heimat finden

Hauptsache, ein Bett zum Schlafen und ein Dach über dem Kopf – das ist die Devise, nach der im Moment Flüchtlingspolitik gemacht wird. Angesichts der Rekordzahl von Neuankömmlingen ist das nur verständlich. Erst Nothilfe, dann die Integration. Doch denken wir wirklich schon an diesen nächsten Schritt?

„Auf die Frage, was für die Flüchtlinge nach den Pritschen und Turnhallen kommt, haben wir keine Antwort“, sagt Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln. Mit diesem Eingeständnis der Hilflosigkeit ist sie nicht allein. Dass in Deutschland inzwischen Wohncontainer knapp und begehrt sind, liegt auch daran, dass sie längst nicht mehr nur als Provisorien genutzt werden. „In vielen Städten wurde der Neubau von preisgünstigen Wohnungen versäumt“, sagt Bernd Kniess, Professor für Städtebau an der HafenCity Universität Hamburg, „das rächt sich in der Flüchtlingskrise jetzt gleich doppelt.“ Denn die Renaissance der Städte verknappt den Wohnraum in den Metropolen ohnehin. Erschwingliche Unterkünfte in Ballungszentren sind schon jetzt kaum zu bekommen. In diesem Jahr werden rund 260 000 neue Wohnungen fertiggestellt. Viel zu wenig, glaubt man den Schätzungen des Bündnisses Sozialer Wohnungsbau. Das fordert angesichts der Flüchtlinge nun 400 000 neue Wohnungen pro Jahr.

Was Flüchtlinge dürfen

Doch zusätzlicher Wohnraum ist teuer, und der Bau kostet Zeit. Von der Planung bis zur Fertigstellung dauert es mindestens drei Jahre. Selbst wenn jetzt das Baurecht gelockert würde, kann das den Prozess zwar beschleunigen, eine Lücke zwischen Bedarf und Angebot aber bleibt. Kurzfristig könnte es deshalb durchaus rational sein, Flüchtlinge weniger nach Quote, sondern nach vorhandenem Wohnraum zu verteilen. Nach Zahlen des Forschungsinstituts Empirica stehen in Deutschlands Schwundregionen, insbesondere auf dem Land in Nord- und Ostdeutschland und in Nordrhein-Westfalen, rund 1,5 Millionen Wohnungen leer, davon sind wohl eine Million noch brauchbar. „Das kann aber nur eine Lösung sein, um Engpässe zu überbrücken“, sagt Stadtplaner Kniess. „Die Integration der Flüchtlinge wird nur in den wachsenden Städten gelingen.“ Dort finden die Migranten Gemeinschaften aus ihren Heimatländern, die den Einstieg in die neue Gesellschaft erleichtern. „Insbesondere die Abläufe im Asylverfahren sind für Neuankömmlinge kaum zu verstehen“, sagt Kniess, „da können integrierte Landsleute helfen.“

Zugleich aber liegt in diesen ethnischen Gemeinschaften die größte Gefahr. Was als hilfreiche Unterstützung beginnt, kann in einer abgekoppelten Diaspora enden, wie die Banlieues von Paris oder die Problemviertel Londons belegen. Wo Zuwanderer sich nur mit Zuwanderern umgeben, findet Integration nicht statt.

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