Flüchtlinge in Griechenland "Wenn nur 3000 am Tag kommen, sind wir froh"

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"Wir sind im Rückstand"


Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands in der Flüchtlingskrise?
Deutschland hat in dieser Krise Europa zusammengehalten und dazu beigetragen, dass dieses Europa der Aufklärung nicht ins Mittelalter zurückgefallen ist. Das ist vor allem der Politik von Frau Merkel zu verdanken. Es verdient große Anerkennung, dass Deutschland fast 90 Prozent aller Flüchtlinge aufgenommen hat. Das führt natürlich in Deutschland zu politischen und gesellschaftlichen Spannungen. Aber ich hoffe und wünsche mir, dass sie im europäischen Geist und unter Achtung der Menschenrechte gelöst werden.

Was kann die Türkei tun?
Sie hat die Verpflichtung übernommen, die Flüchtlingsströme zu begrenzen. Das sehen wir bisher zwar nicht. Ich habe aber Respekt vor der Türkei: Sie beherbergt 2,5 Millionen Flüchtlinge, und die Zahl steigt. Als Arzt bin ich allerdings für klare, nüchterne Diagnosen. Die Flüchtlinge und Migranten kommen von der türkischen Küste. Nur dort kann das Problem gelöst werden. Ich klage die Türkei nicht an. Aber Europa muss der Türkei helfen, ihre Verpflichtungen umzusetzen.

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Flüchtlinge vor dem Lageso Quelle: dpa
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Ukrainische Soldaten in der Nähe von Artemivsk Quelle: AP
EU-Kommissionspräsident Juncker (l.), EU-Ratspräsident Tusk (M.) und Luxemburgs Premierminister Bettel in Brüssel Quelle: dpa
Der griechische Premierminister Alexis Tsipras während einer Parlamentsdebatte Quelle: REUTERS
Frankfurter Skyline Quelle: dpa

Wie funktionieren die Hotspots zur Registrierung der Ankömmlinge auf den griechischen Inseln?
Wir sind im Rückstand. Der Hotspot auf Lesbos arbeitet jetzt. Die Zentren auf Chios, Samos und Leros werden Ende Januar voll in Betrieb sein. Die Europäer kritisieren, dass wir hinter dem Zeitplan liegen, und sie haben Recht mit dieser Kritik.

Warum diese Verzögerungen?
Es ist schwer, unter dem ständigen Andrang der Ankömmlinge solche Hotspots aufzubauen, vor allem hinsichtlich der Unterbringung der Menschen. Aufs Lesbos waren wir zweimal fast fertig. Der Hotspot war auf 3000 Ankünfte pro Tag ausgelegt. Dann kamen plötzlich innerhalb von zwei Tagen 17.000 Menschen aus der Türkei, und alles brach wieder zusammen. Wir wurden regelrecht überrannt.

Verstehen Sie die Kritik in Deutschland?
Ja. Aber ich möchte, dass unsere deutschen Freunde die Dimensionen verstehen. Bedenken Sie: Lesbos hat 50.000 Einwohner. Und dann kommen an einem Wochenende plötzlich 17.000 Menschen übers Meer. Wir sprechen hier von kleinen Inseln mit sehr begrenzten Aufnahmemöglichkeiten. Sie sagen vielleicht: Ihr Griechen schafft es nicht, in fünf Monaten 200 Container aufzustellen? Ich gebe zu: Wir haben es nicht geschafft. Dafür trage auch ich Verantwortung. Schuld trägt die Bürokratie, übrigens auch die der EU, und der Umstand, dass wir die schwerste Krise unserer jüngeren Geschichte durchmachen.

Wie können Sie ausschließen, dass unter den Flüchtlingen islamistische Terroristen nach Europa kommen?
Bisher ist die Registrierung an den Hotspots ein in sich geschlossenes System. Wir haben der EU vorgeschlagen, dass die Fingerabdrücke der Ankömmlinge schon bei der Registrierung mit den internationalen Fahndungssystemen wie Europol und Interpol abgeglichen werden, um Verdächtigte oder gesuchte Straftäter identifizieren zu können. Das wird jetzt endlich umgesetzt. Wir werden dann ein viel besseres Bild davon haben, wer zu uns kommt.

Herr Minister, vielen Dank für das Interview.

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