Flüchtlingsamt-Chefin Jutta Cordt "Es gibt kein Ende"

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„Es gibt kein Ende. Ich werde nie sagen, dass wir hier fertig sind“

Aber?

Nun, wo der Druck ein wenig nachgelassen hat, wollen wir zum alten Verfahren zurückkehren, wo beides in einer Hand liegt.

Wahrscheinlich gib es kaum einen Konflikt auf dieser Welt, der nicht eines Tages als Fall auf den Tischen in Nürnberg landet. Gerade weil es BAMFler immer mit existenziellen Fragen zu tun gehabt haben, weil hier Verwaltungsvorgänge aus Lebensdramen erwachsen, dürfte es den Alteingesessenen schwergefallen sein, den neuen Excel-Geist der Effizienz, von Mehrwertschaffung (ja, das Wort kursiert) zu akzeptieren.

2015 entschied das BAMF über 283.000 Anträge. 2016 waren es dann 696 000. Trotzdem sitzt das Amt noch immer auf rund 435.000 unerledigten Fällen. Cordt gibt selbstbewusst das Versprechen ab, bis zum Ende des Frühjahrs die Altfälle im Wesentlichen erledigt zu haben. Dem Amt und ihr geht es da nicht anders als Angela Merkel: Seit die Balkanroute dicht ist und das Türkei-Abkommen wirkt, schaffen es immer weniger Flüchtlinge an die deutschen Grenzen; die Realpolitik hat Atempausen geschaffen. Endlich ist jetzt etwas Zeit da.

Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU

Jeder Mitarbeiter, der durch die Torbögen des Foyers läuft, kann in einer Ecke am schwarzen Brett die Belege lesen. Auf schnöden DIN-A4-Blättern voller Zahlen und Diagrammen steht das Leistungs-EKG des Amtes. Die Zahl der Entscheidungen wurde alleine 2016 von rund 40.000 pro Monat auf mehr als 80.000 verdoppelt. Und die Zahl der neuen Anträge ist seit Oktober rapide gefallen, auf derzeit unter 20.000.

Alles gut? Mitnichten. Cordt wollte immer in die öffentliche Verwaltung, schon als Jura-Studentin. Nur einen einzigen Abstecher hat sie in ihrer Karriere gemacht: Kurz nach der Jahrtausendwende arbeitete sie für die Geschäftsstelle der Hartz-Kommission. Diesen Sound des Forderns und Förderns kann man manchmal noch nachklingen hören.

Sie arbeiten intern an einem Projekt „BAMF 2020“. Was verbirgt sich dahinter?

Diese Behörde ist ziemlich durchgeschüttelt worden. In Zukunft wollen wir so organisiert sein, dass wir agieren und nicht reagieren, egal, wie die Lage da draußen ist.

In der Forderung nach völlig offenen Grenzen sind sich radikale Linke und Ultraliberale einig. Die einen träumen von weltweiter Solidarität, die anderen von der totalen Effizienz. Beides sind fatale Illusionen.
von Ferdinand Knauß

Was bedeutet das konkret?

Wir arbeiten an einem Leitbild, das künftig unsere Ziele und Werte dokumentiert. Dazu gehört zuallererst, dass wir es zu unserer Aufgabe machen, Menschen Gewissheit zu geben – so schnell wie möglich, aber so gründlich wie nötig –, ob sie eine Bleibeperspektive haben oder eben nicht. Dazu gehört zweitens, dass wir die Integration besser organisieren müssen: Berechtigte sollen nicht länger als sechs Wochen auf den Beginn ihres Integrationskurses warten. Auch die Suche nach Arbeit muss höchste Priorität haben.

Integration ist das eine. Viele Bürger fragen sich spätestens nach dem Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag aber auch, was mit denen passiert, die ausreisen müssten.

Deshalb müssen wir drittens unseren Teil dazu beitragen, dass Menschen, die keine Bleibeperspektive in Deutschland haben, das Land auch wieder verlassen, idealerweise freiwillig. Mit dem Programm Starthilfe Plus setzen wir schon früh im Asylverfahren an und informieren über die Möglichkeiten einer freiwilligen Rückkehr.

Politiker sind Menschen, und die machen Fehler - das sagt Finanzminister Schäuble rückblickend über die Flüchtlingspolitik. Er regt einheitliche Sozialstandards der EU-Länder an.

Frau Cordt, Sie sind passionierte Läuferin. Wenn Ihre Arbeit hier ein Marathon wäre, welchen Kilometer hätten Sie dann erreicht?

Ich laufe zwar gerne, um den Kopf frei zu kriegen, aber Marathon nun nicht. Und ehrlich gesagt: Es gibt kein Ende. Ich werde nie sagen, dass wir fertig sind. Stillstand ist nie gut. Es gilt, sich immer für die Menschen, für die wir da sind, weiterzuentwickeln.

Das Büro von Jutta Cordt wirkt auch noch immer so, als sei sie gestern erst eingezogen. Bis auf den Schreibtisch und ein eingebautes Bücherregal ist der Raum leer. Cordt wirkt nicht unglücklich über diese Askese.

Als der Fotograf dort einige Porträtbilder von ihr macht, bittet er sie, einen Moment aus dem Fenster zu sehen. In dieser Position verharrt Cordt nur kurz, kaum mehr als einen Augenblick dauert es, bis die Fotos gemacht sind. So lange wie eben, sagt sie dann leise, fast ein wenig irritiert, so lange habe ich hier noch nie einfach rausgeschaut.

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