Flüchtlingsgipfel Schaffen wir das am Arbeitsmarkt?

Besonders im Handwerk könnte Zuwanderung ein zentrales Mittel gegen den Fachkräftemangel werden. Quelle: dpa

Beim heutigen Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt wird vor allem ums Geld gestritten – und um die Frage, ob Migration begrenzt werden soll. In den Hintergrund rückt die Integration derer, die schon hier sind – und noch kommen werden. Der Arbeitsmarkt-Check.

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„Wenn wir auf den Staat warten würden“, sagt Ulrich Temps, als er über die Integration von Geflüchteten in seinem Unternehmen spricht, „dann wären wir nicht einen Zentimeter weitergekommen.“ Es ist ein hartes Urteil. Eines, das aber dabei hilft zu verstehen, warum sich der niedersächsische Malerbetrieb mit knapp 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so sehr bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt engagiert.

Denn Temps packt an, hat dieses Thema „zur Chefsache“ gemacht, wie er sagt. 2016 hat die Firma am Hauptsitz in Neustadt am Rübenberge ein Schulungs- und Ausbildungszentrum errichtet und zwei pensionierte Gymnasiallehrer in Teilzeit eingestellt. Das zahlt sich aus: Mittlerweile arbeiten etwa 30 bis 40 Menschen mit Fluchthintergrund bei ihm. Er sagt: „Jeder Cent, den wir hier investieren, ist gut und richtig.“

Eine Erfolgsgeschichte aus dem Herzen Deutschlands. Eine, die mit Blick auf den Arbeitsmarkt gerne gesehen ist. Denn Arbeitskräfte werden hierzulande gebraucht – aufgrund des demografischen Wandels immer dringender. Knapp zwei Millionen Stellen sind unbesetzt. Laut einem Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren Ende 2019 etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die bereits fünf Jahre in Deutschland waren, erwerbstätig. Bei denen, die zum Untersuchungszeitraum erst vier bis fünf Jahre in Deutschland aufhielten, etwas weniger waren es 46 Prozent.

Es sind Zahlen, die zeigen, dass die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt schon gut klappt, aber es auch noch Potenzial gibt, das es zu heben gilt. Das weiß auch Unternehmer Ulrich Temps. Deshalb nimmt er vieles lieber selbst in die Hand und hat zum Beispiel auch eine Volljuristin in Teilzeit eingestellt, die sich um die Behördengänge kümmert und die Migranten dabei unterstützt.

Für Temps lohnt sich dieser Aufwand. Er erzählt, er habe sich schon vor zehn Jahren mit der Demografie in seinem Unternehmen beschäftigt. „Da habe ich einen halben Herzinfarkt bekommen.“ Würde der Betrieb nichts dagegen unternehmen, wäre man spätestens in 20 Jahren „nicht mehr überlebensfähig“.

Herbert Brücker, Bereichsleiter am IAB, geht davon aus, dass sich die Zahl der erwerbstätigen Geflüchteten noch weiter erhöht hat. Er schätzt, dass über 55 Prozent der 2015 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten arbeiten, bei den 2014 geflohenen über 60 Prozent. Gute Werte, meint der Arbeitsmarktforscher. „Es gibt zwar noch einen Abstand zu den im Durchschnitt 70 Prozent in Deutschland, aber wir nähern uns an.“

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Ebenfalls positiv: Im Verhältnis zu den Berufsabschlüssen der Geflüchteten sei das Niveau der ausgeübten Arbeit hoch. 60 Prozent seien inzwischen als Fachkräfte oder noch höher qualifizierten Berufen beschäftigt, sagt Brücker. Und: die geringfügige Beschäftigung und die Zahl der Praktika nehmen ab, Vollbeschäftigung und Arbeitsstunden zu. Dadurch müssten Kommunen auch finanziell weniger für die Geflüchteten aufkommen.

Brücker sagt, man sehe einen „Integrationsverlauf“. Einen, der aber auch dauert und bei dem Zeit verloren gegangen sei – zum Beispiel bei der Registrierung und dem Asylverfahren. Auch habe man Sprachkurse zum Teil erst sehr spät angeboten. Die Auswirkungen seien bis heute spürbar, meint Brücker. „Das verhält sich wie mit der Arbeitslosigkeit. Je länger das dauert, desto schwerer wird es.“

Aufenthaltserlaubnis für geflüchtete Ukrainer gilt nur bis März 2024

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine kamen erneut eine große Zahl von Schutzsuchenden nach Deutschland. Das Statistische Bundesamt hat errechnet, dass im Jahr 2022 rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine hierher flohen. Rechnet man die Fortzüge heraus, dann sind es immer noch etwa 962.000 Menschen. Die Nettozuwanderung war damit größer als die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak in den Jahren 2014 bis 2016.

Wie deren Integration in den Arbeitsmarkt funktioniert, zeigt eine Studie von vier Partnerorganisationen, darunter das IAB und das Sozio-ökonomische Panel. Dabei kam heraus, dass bereits 17 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter zum Befragungszeitraum einer Arbeit nachging. 80 Prozent von diesen Menschen übte eine Fachkraft-, Spezialisten- oder Expertentätigkeit aus. Unter den nicht erwerbstätigen Ukrainerinnen und Ukrainer gaben vier von fünf Befragten an, eine Arbeit in Deutschland aufnehmen zu wollen. Im Vergleich zu den Niederlanden ist das aber noch gering. Dort hat das niederländische Statistikamt errechnet, das im November 2022 bereits fast jeder zweite Geflüchtete aus der Ukraine erwerbstätig war.

Hat Deutschland also nicht dazugelernt? „Ein paar Sachen gehen schneller und einfacher“, meint Herbert Brücker vom IAB. Zum Beispiel die Aufnahme in Sprachprogramme. „Das wird sich auszahlen, auch wenn es kurzfristig die Beschäftigungsquote dämpft.“ Klar ist aber auch: Geflohene Ukrainerinnen und Ukrainer müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Eine Ausnahme, die „den Gesamtprozess beschleunigt und Rechtssicherheit schafft“, sagt Brücker. Dadurch konnten sie auch schnell in die Grundsicherung wechseln und damit die Förderstrukturen der Jobcenter nutzen.

Ein Problem gebe es aber: Die Aufenthaltserlaubnis für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer gilt nur bis März 2024. „Da muss Klarheit geschafft werden. Ansonsten sind Unternehmen zurückhaltender beim Einstellen.“

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Brücker plädiert dafür, die genannten Hindernisse auch in Zukunft weiter abzubauen. Dazu gehöre auch, bei der Verteilung von Geflüchteten miteinzubeziehen, wie strukturschwach eine Region ist. „Ist die Arbeitslosigkeit ein Prozentpunkt höher als im Bundesschnitt, nimmt dort die Beschäftigungswahrscheinlichkeit Geflüchteter, die schon fünf Jahre in Deutschland sind, um vier Punkte ab.“

Ob eine Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt funktioniert, häng aber auch stark davon ab, inwiefern sich die Unternehmen darauf einlassen. Eine Befragung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) zeigt, dass 2019 knapp jedes vierte Unternehmen angab, Geflüchtete zu beschäftigten oder das seit 2016 getan zu haben. Das sind in Summe etwa 429.000 Firmen.

Gleichzeitig gibt es aber auch Hemmnisse, Geflüchtete einzustellen und zu beschäftigen. Unternehmen nannten in der Studie den hohen Betreuungsaufwand, eine fehlende Rechtssicherheit für Unternehmen sowie die Einschätzung, dass vorhandene öffentliche Förderangebote nicht zum Bedarf der Unternehmen passen, deutlich häufiger als Einstellungs- und Beschäftigungshemmnis als bei der ersten Befragung 2016.

Im Malerbetrieb von Ulrich Temps optimiere man seit 2016 die Integrationsprozesse fortlaufend. Inzwischen arbeiten dort auch sieben Geflüchtete aus der Ukraine. Dafür wurden bereits im 2022 Sprachkurse für die ukrainischen Geflüchteten eingerichtet und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeschrieben, die russisch oder ukrainisch sprechen, damit sich diese einbringen können. „Die deutsche Sprache ist enorm wichtig, das ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Temps.

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Dass sich dieser Aufwand lohnt, zeigt er an einer Zahl – dem Durchschnittsalter der Mitarbeiter, die körperlich arbeiten. Die ist inzwischen sogar gesunken.

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