Flüchtlingsheime „Ich hätte gerne deutsche Nachbarn“

Immer wieder kommt es zu Massenschlägereien in Flüchtlingsheimen. Die Gründe sind simpel: Enge, Frustration, kaum Privatsphäre. Doch es gibt auch Ausnahmen. Ein Ortsbericht aus einer Unterkunft in Berlin.

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Baschar Stas lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in einem Flüchtlingsheim in Berlin-Marienfelde. „Alles ist gut“, sagt er über das Zusammenleben mit anderen Familien und über die Unterkunft.Foto: Mahmoud Serhan

Berlin Jeden Morgen, wenn die Sonne aufgeht, spielen sich im Flüchtlingsheim Marienfelde die gleichen Szenen ab: Die Sicherheitskräfte gehen auf ihre Posten, die Bewohner, Junge wie Alte, eilen durch das Eingangstor zu ihren Terminen mit den Behörden. Am Nachmittag erfüllt helles Lachen die Luft, Kinder schaukeln oder wippen auf dem Spielplatz des Heims, fahren mit ihren Fahrrädern im kleinen Hof umher oder spielen Fußball in der Turnhalle. Ihre Eltern erledigen währenddessen die Hausarbeit.

Es ist ein kleines Idyll, das sich dem Beobachter in Marienfelde tagtäglich zeigt. Ein Idyll, das im Kontrast steht zu den oft sehr beengten Verhältnissen, unter denen die meisten Flüchtlinge derzeit in Deutschland untergebracht sind.

1,1 Millionen Asylsuchende sind seit Anfang 2015 nach Deutschland gekommen, rund 80.000 davon nach Berlin. Sechs Erstaufnahmelager hat die Bundeshauptstadt bereits. Immer wieder kommt es in den Unterkünften zu Schlägereien, wie im November im ehemaligen Flughafen Tempelhof und in einer umfunktionierten Kaserne in Spandau.

Im Heim in Marienfelde leben 700 Flüchtlinge. Der größte Teil von ihnen stammt aus Syrien, die zweitgrößte Gruppe sind Tschetschenen. Es sind überwiegend Familien, die hier untergebracht sind. Auch in Marienfelde hat es bereits eine Massenschlägerei gegeben. Im August 2014 verprügelten 100 Tschetschenen 30 Syrer. Inzwischen hat sich die Lage jedoch offenbar beruhigt. „Es gibt keine Probleme zwischen den verschiedenen Nationalitäten oder Familien“, versichert die Heimleiterin Olivia Music. Im Fall von Schwierigkeiten könnten die Bewohner einen der Heimmitarbeiter ansprechen.

Das friedvolle Miteinander klappt ihrer Meinung nach auch daher so gut, weil die Unterkunft den Flüchtlingen viel Privatsphäre bietet. Im Gegensatz zu den Unterkünften etwa im ehemaligen Flughafen Tempelhof haben die Bewohner in Marienfelde ihre eigenen Wohnungen mit eigenen Bädern und eigenen Küchen.

Zudem gibt es viele Angebote: Kindern steht ein Spielplatz zur Verfügung, es gibt eine kleine Turnhalle und Fahrräder. Erwachsene können einen Fitnessraum nutzen und an Computern ins Internet gehen. Auch für Jugendliche gibt es viele Angebote. Betreut werden die Flüchtlinge von erfahrenen Sozialarbeitern.


„Mein Sozialarbeiterin hat mir sehr geholfen“

Die meisten Flüchtlinge, die in Marienfelde leben, zeigen sich zufrieden mit ihrer Situation. Zum Beispiel Baschar Stas. Der syrische Flüchtling lebt mit seiner Frau und seinem Sohn seit fünf Monaten im Marienfelder Heim. „Alles ist gut“, sagt Stas, „das Zusammenleben mit den anderen Familien klappt gut, und es gibt auch keine Probleme mit der Heizung, dem Wasser oder der Elektrizität.

Der 36-Jährige ist zudem sehr froh über die Unterstützung, die er in Marienfelde von den Mitarbeitern des Heims erfährt. Sie helfen ihm mit der deutschen Bürokratie, die er schon wegen der mangelnden Sprachkenntnisse allein kaum bewältigen könnte. „Mein Sozialarbeiterin hat mir sehr geholfen mit dem Ausfüllen der Dokumente, sie hat mir viel Zeit und Mühe gespart“, erzählt er.

Auch Raheem Husaine, der bereits seit einem Jahr mit seiner Familie in dem Flüchtlingsheim im Westen Berlins lebt, ist voll des Lobes. Der Afghane schätzt die gute Nachbarschaft mit den anderen Flüchtlingen, und ist glücklich über die Hilfe, die er von den Sozialarbeitern erhält.

Nur einen Wunsch hat der 38-Jährige: „Ich hätte gerne deutsche Nachbarn“, sagt Husaine. Alle seine Nachbarn im Heim seien Menschen, die kein Deutsch sprechen, so sei es schwer, die Sprache zu lernen.


Containersiedlungen statt Turnhallen

Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, sieht vor allem in der Enge in vielen Unterkünften in Deutschland Potenzial für Konflikte unter den Bewohnern. Hinzu kommt die unsichere Situation der Asylbewerber, die nicht wissen ob und wie lange sie in Deutschland bleiben dürfen. „Die angespannte Stimmung unter den Flüchtlingen wird noch dadurch verschärft, dass manche, zum Beispiel Syrer, schneller durch die behördlichen Prozesse geschleust werden als andere, etwa Afghanen“, erklärt Mesovic.

Pro Asyl setzt sich dafür ein, dass die Flüchtlinge nur für eine festgelegte Zeit in den überfüllten Massenunterkünften bleiben müssen. In vielen Heimen teilen sich Hunderte Menschen wenige Toiletten und Waschräume und leben auf engstem Raum mit Fremden in einem Zimmer. „Die Flüchtlinge müssen oft monatelang in diesen Unterkünften leben. Den Menschen sollte ihre Privatsphäre nicht so lange vorenthalten werden“, fordert Mesovic. Wo immer es ginge, müssten sie in Unterkünfte mit mehr Privatsphäre untergebracht werden.

Doch das ist nicht so einfach. Das Heim in Marienfelde bildet derzeit eine der wenigen Ausnahmen – nicht nur in Berlin. Die Hauptstadt hat nun angekündigt, zusätzliche neue Unterkünfte für 34.000 Flüchtlinge zu bauen: 26 davon Containersiedlungen, 38 Betonsiedlungen. Darin sollen dann auch jene Flüchtlinge untergebracht werden, die derzeit noch in Turnhallen schlafen müssen.

Mahmoud Serhan ist ein palästinensischer Journalist, der lange Zeit in Syrien gearbeitet hat. Zurzeit lebt er in der beschriebenen Unterkunft in Marienfelde.

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