Flüchtlingshilfe Die Länder erpressen den Bund und beuten ihn aus

Bundeskanzler Olaf Scholz redet bei einer Veranstaltung zum Thema Einwanderungsland Deutschland Quelle: imago images

Beim Flüchtlingsgipfel wollen die Provinzfürsten wieder mehr Geld aus Berlin. Das hat Methode, höhlt den Föderalismus aus – und kostete den Bund zuletzt über 200 Milliarden Euro. Ein Kommentar.

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Die harten Formulierungen und Fakten finden sich gleich auf Zeile 89 ff. des 23-seitigen Papiers aus dem Bundeskanzleramt. Der Bund finanziere „in erheblichem Umfang Aufgaben, die nach dem Grundgesetz von Ländern und Gemeinden zu erbringen sind“. Im Jahr 2021 seien dies rund 24 Milliarden Euro gewesen. Und dabei habe der Bund ein Defizit von 116 Milliarden Euro im Budget gehabt, während die Länder einen Überschuss von 12 Milliarden erwirtschafteten. Die Kommunen kamen zudem auf ein Plus von 2,2 Milliarden.

In seinem Beschlussentwurf für den Flüchtlingsgipfel am 10. Mai macht das Kanzleramt klar und deutlich, wie die finanziellen Verhältnisse und Lasten zwischen Bund und Ländern aussehen. Nämlich total schief und einseitig zuungunsten des Bundes. Und deswegen will die Bundesregierung weitere Forderungen der Länder und Kommunen bei der Bewältigung der andauernden Flüchtlingskrise abwehren.

„Unappetitliche Gier“

Dass der Bund zugunsten der Länder verliert, ist nicht neu. Sondern das Ergebnis einer unseligen Entwicklung seit mindestens 30 Jahren. Echte Liberale und Freunde des Föderalismus stören sich schon lange daran. So wie der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Markus Herbrand. Den Ländern seien „beim Schröpfen des Bundes keine Skrupel bekannt, obwohl die eigenen Steuereinnahmen auf Rekordniveau liegen“. Herbrand stammt aus der Eifel und ist von Natur aus ein groß gewachsener, ruhiger und besonnener Landsmann. Doch beim Thema Bund-Länder-Finanzen platzt dem Eifeler inzwischen der Kragen. Von einer „unappetitlichen Gier nach immer neuen Subventionen und Kostenübernahmen des Bundes“ schimpft er. Immer wieder würde die Mär von den klammen Ländern erzählt.




Kritik vom Rechnungshof

Der Bundesrechnungshof untermauert die unselige Entwicklung mit Zahlen. Zwischen 2011 und 2023 sei der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen von 43,3 auf 39,3 Prozent gesunken. Dadurch fehlten dem Bund im Finanzplanungszeitraum 2022 bis 2026 rund 202 Milliarden Euro. Über den Verzicht auf Steueranteile hinaus finanziert der Bund laut Rechnungshof direkt Aufgaben, „die im Kern bei den Ländern und Kommunen liegen“. Konkret für Schulen und Hochschulen, Kosten der Unterkunft und Heizung, Städtebauförderung, Digitale Infrastruktur, Kommunalinvestitionen… Aktuell kommt eine Kofinanzierung beim 49-Euro-Ticket hinzu. „Der Bund har seine Belastungsgrenze erreicht“, schreibt der Bundesrechnungshof. „Die Länder müssen sich ihm gegenüber jetzt solidarisch zeigen.“

Solidarität ein Fremdwort

Solidarisch! Die Länder!? Kein Denken dran. Die Ministerpräsidenten der 16 Länder bilden gerade wieder eine Einheitsfront gegen den Bund. „Seite an Seite“, wie es einer vor dem Flüchtlingsgipfel an diesem Mittwoch formuliert.

Dass der Bund bei eins gegen 16 immer verliert, haben die früheren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz zu genüge erlebt. Spätestens wenn sie ihre Gesetzentwürfe über die Zustimmungshürde des Bundesrates hieven wollten, mussten sie sich das Ja der Länder teuer erkaufen. Meistens indem sie Anteile an den Gemeinschaftssteuern abgaben, etwa bei der Umsatzsteuer. Oder indem sie sich an Leistungen der Länder finanziell beteiligten.

Politiker springen über jedes Stöckchen

Ganz unschuldig ist der Bund an seinem Dilemma nicht. Denn bei jedem Missstand in der Kinderbetreuung, in der Schulpolitik oder in Armutsfragen richtet sich der öffentliche Scheinwerfer nicht auf die zuständigen Kommunen und Länder. Vielmehr nehmen die Medien sofort den Bund ins Visier. Und die Bundespolitiker springen über jedes Stöckchen, das ihnen vorgehalten wird. So wird der verfassungsrechtliche Föderalismus zum faktischen Zentralismus.

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Grüne ballern in die eigene Jagdgesellschaft

Zurück zum Flüchtlingsgipfel. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wehren sich gegen zusätzliche Lasten für den Bund. Sie verweisen auf die viel größeren Lasten des Bundes im Vergleich zu den Länderhaushalten. Jetzt müssten die Länder, ja: solidarisch mit dem von Corona-. Energie- und Ukrainekrise gebeutelten Bund sein. Doch die Grünen scheren aus, stellen sich gegen die Koalitionspartner und verlangen eine stärkere Beteiligung des Bundes. Zentralistisch könnte man den geistigen Ansatz nennen. Oder etwas profaner könnte man aus Sicht der Ampelkoalitionäre sagen: Die Grünen schießen in die eigene Jagdgesellschaft.

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