
Noch hat die Koalition ihren Streit um den Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen nicht beigelegt - da kommen aus der Union Forderungen nach weiteren Gesetzesverschärfungen. CDU-Vize Thomas Strobl sprach sich für höhere Hürden für ein unbefristetes Aufenthaltsrecht für Asylbewerber aus. Die Opposition warf Union und SPD chaotisches Agieren vor. Das Familienministerium räumte eine Fehleinschätzung bei der Vorbereitung des Asylpakets II ein.
Für ein Daueraufenthaltsrecht sollten Asylbewerber nach Auffassung Strobls „einigermaßen ordentlich Deutsch sprechen können“, Grundkenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung besitzen und keine Straftaten begangen haben. Zudem sollten sie „mit 60 Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nachweisen können, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können“, sagte Strobl der „Welt“ (Montag). Das unbefristete Aufenthaltsrecht dürfe es künftig frühestens nach fünf Jahren geben.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warf Strobl Wahlkampf in Baden-Württemberg auf dem Rücken der Flüchtlinge vor. Strobl ist auch CDU-Landeschef im Südwesten. „Zuerst isoliert man die Flüchtlinge und dann fordert man Integration. Das passt nicht zusammen und ist unfair“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag).
Den Konflikt über den Elternnachzug unbegleiteter Kinder und Jugendlicher sollen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) beilegen. Noch sei nicht klar, wann die Gespräche abgeschlossen würden, sagte eine Sprecherin des Justizressorts. Der Gesetzentwurf mit mehreren Verschärfungen hatte am Mittwoch das Bundeskabinett passiert. Zuvor hatten ihn die Ministerien abgestimmt.
Das SPD-geführte Bundesfamilienministerium räumte eine Fehleinschätzung bei diesem Verfahren ein. Eine Veränderung im Gesetzentwurf sei dem Ministerium zwar aufgefallen, sagte eine Sprecherin. „Aber die Tragweite wurde anders eingeschätzt.“
Es geht darum, ob auch für unbegleitete Minderjährige wie für andere Flüchtlinge mit eingeschränktem („subsidiärem“) Schutz der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt sein soll. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte moniert, mit ihm sei dies nicht verabredet gewesen.
In dem Kabinettsbeschluss ist eine Klausel zugunsten der Minderjährigen nicht enthalten. Im Familienministerium war man laut Sprecherin davon ausgegangen, dass der Elternnachzug dennoch möglich bleibt. Dies gebiete internationales Recht.
Im Jahr 2014 erhielten laut Innenministerium 214 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eingeschränkten (subsidiären) Schutz. 2015 waren es bisher 105 Fälle, allerdings dürfte die Zahl noch wachsen.
Die Linke-Vorsitzende Katja Kipping riet der Bundesregierung zu einem Runden Tisch mit „richtigen Experten“ etwa von Menschenrechtsorganisationen oder Kommunen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der „Berliner Zeitung“ (Dienstag): „Die Regierungskoalition versinkt im Chaos anstatt ihren Job zu machen.“
SPD-Vize Ralf Stegner warf CDU und CSU auf Bayern 2 einen „Schäbigkeitswettbewerb“ gegen Kinder und Jugendliche vor. Die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, dem Innenministerium gelinge keine solide Arbeit.
Das Kinderhilfswerk terre des hommes mahnte: „Eine Aussetzung des Familiennachzuges für Flüchtlingskinder wäre ein schwerer Verstoß gegen das Kindeswohl gemäß der UN-Kinderrechtskonvention.“