Sie arbeiten selbstständig und strukturiert, auch unter Zeitdruck? Sie verfügen über ein abgeschlossenes Studium? Sie könnten sich sehr gut eine Verbeamtung auf Lebenszeit vorstellen? Und, ganz wichtig: Sie haben gesteigertes „Interesse an migrationspolitischen Fragestellungen“ und „gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen“? Dann könnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Option für Sie sein. Denn die Behörde sucht gerade händeringend per Stellenausschreibung mit diesen Kriterien „Entscheiderinnen und Entscheider“.
Aber Vorsicht: Das BAMF sucht Menschen mit „Konfliktfähigkeit und Durchsetzungsvermögen“, die über die Schicksale anderer bestimmen müssen. Menschen also, die gute Nerven haben. Gefragt sind schließlich Mitarbeiter, die unter höchstem Druck arbeiten können – und für einen Arbeitgeber mit denkbar schlechter Reputation.
Was Flüchtlinge dürfen
Wer eine sogenannte Aufenthaltsgestattung bekommt, darf nach drei Monaten in Deutschland eine betriebliche Ausbildung beginnen. Wer geduldet ist, kann vom ersten Tag an eine Ausbildung machen. In beiden Fällen ist jedoch eine Erlaubnis durch die Ausländerbehörde nötig.
Gleiches gilt für Praktika oder den Bundesfreiwilligendienst beziehungsweise ein freiwilliges, soziales Jahr: Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach drei Monaten ohne Zustimmung der ZAV damit beginnen, wer den Status „geduldet“ hat, darf das ab dem ersten Tag.
Wer studiert hat und eine Aufenthaltsgestattung besitzt, darf ohne Zustimmung der ZAV nach drei Monaten eine dem Abschluss entsprechende Beschäftigung aufnehmen, wenn sie einen anerkannten oder vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzen und mindestens 47.600 Euro brutto im Jahr verdienen werden oder einen deutschen Hochschulabschluss besitzen (unabhängig vom Einkommen).
Personen mit Duldung können dasselbe bereits ab dem ersten Tag des Aufenthalts.
Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach vierjährigem Aufenthalt jede Beschäftigung ohne Zustimmung der ZAV aufnehmen.
Das BAMF mit Sitz in Nürnberg – gedacht als Schaltzentrale im Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern – ist derzeit nämlich eine Behörde, aus der das Toppersonal selber flieht. Der Chef des Amtes, Manfred Schmidt, gab im September nach öffentlicher Dauerkritik entnervt auf. Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, übernahm Hals über Kopf den Job als Krisenmanager in Personalunion. Und der oberste Dienstherr, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), wirkt seit Monaten selbst wie ein Getriebener.
De Maizières größtes Versäumnis liegt dabei gar nicht in befremdlicher Rhetorik oder unabgestimmten Einlassungen zum Familiennachzug syrischer Flüchtlinge. Es liegt vielmehr darin, dass der Exkanzleramts- und Exverteidigungsminister mit einst tadellosem Ruf als preußischer Idealstaatsdiener die ihm zugeschriebene Kernkompetenz gründlich enttäuscht hat: ordentlich verwalten zu können. Ausgerechnet im de Maizière unterstellten BAMF, dem Dreh- und Angelpunkt der Asylverwaltung, staut sich gerade alles.
Die Behörde, untergebracht in einem wuchtigen, dreiflügeligen Bauwerk, das einst der Waffen-SS als Ausbildungszentrum diente und dann als US-Kaserne, für die sich in normalen Zeiten nur zuständige Referatsleiter im Innenministerium interessierten, ausgerechnet sie ist zum Symbol geworden: für den Ausnahmezustand und das Unvermögen, mit dem die Politik auf die gegenwärtige Herausforderung reagiert.
Der Frust über das Bundesamt ist daher längst so ausgeprägt wie der über die Flüchtlingskrise selbst. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagt, er könne sich „an keine einzige unserer Innenministerkonferenzen erinnern“, bei der über das Amt nicht diskutiert worden sei. Egal, ob bei Personal oder Bearbeitungsdauer: Das Bundesamt, sagt Jäger, „sei völlig überfordert“.
Bundesländer machen alle ihr eigenes Ding
Es ist zwar kein Trost, aber dieser Befund betrifft dieser Tage nicht nur das BAMF. Unter dem Andrang Hunderttausender Flüchtlinge hat sich eine deutsche Stärke, die nüchterne Bürokratie mit ihrer Ordnung und Sachlichkeit, in eine Schwäche verwandelt: Das System ist zu kompliziert, zu langsam, zu unflexibel, um der historischen Lage Herr werden zu können. Öffentliche Stellen, die unkoordiniert nebeneinander her arbeiten, Datenbanken, die sich nicht vernetzen lassen, Bundesländer, die alle ihr eigenes Ding machen – das ist die Realität anno 2015.
Schon bei der Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung von Flüchtlingen regieren Willkür und Wahnwitz: Für diese Aufgabe ist in der Bundesrepublik nämlich nicht nur das BAMF zuständig, sondern gleich fünf Institutionen. Je nachdem, wo ein Flüchtling sich meldet oder aufgegriffen wird, wird die Prozedur von der Bundes- oder der Landespolizei, von der örtlichen Ausländerbehörde, der Erstaufnahmeeinrichtung oder eben auch vom BAMF selbst vorgenommen.
Somit entscheidet der Zufall darüber, ob Informationen wie Fingerabdrücke und Passbild zuerst in der Datenbank Afis-A des Bundeskriminalamtes (BKA) landen, in den Maris und Eurodac genannten Sammlungen des BAMF, im Ausländerzentralregister oder in den jeweiligen landeseigenen Asyldatenbanken, die etwa Migvis (Baden-Württemberg) oder AVU-Asyl (NRW ) heißen.
Das wäre zwar unübersichtlich, aber nicht weiter schlimm, würde es einen Informationsaustausch zwischen all diesen Datensätzen geben – den gibt es aber kaum. Das BAMF nimmt via Eurodac den Abgleich mit den europäischen Partnern wahr, darf aber nicht auf das nationale BKA-Material zugreifen und andersherum.
Ausländerbehörden und BKA verfügen über keinerlei Schnittstellen, um Personalien und Informationen zu teilen, ebenso wenig können BKA und Erstaufnahmeeinrichtungen digital miteinander kommunizieren. Im Angesicht der historisch hohen Zahl von Asylbewerbern muss man deshalb konstatieren: Dank Föderalismus und deutschem Datenschutz wird Arbeit gleich zu Beginn der Flüchtlingsverwaltung nicht verteilt, sondern mehrfach erledigt.
So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern
800 Euro zahlt das Land im Monat pro Flüchtling. Die Summe muss allerdings versteuert werden.
Quelle: EU-Kommission / Frontex, Stand: 18. September 2015
Die Spanne, die der Inselstaat für einen Asylbewerber zahlt, liegt zwischen 85 und 452 Euro pro Monat.
400 Euro pro Flüchtling / Monat.
352 Euro pro Flüchtling / Monat.
330,30 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 85 und 290 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 176 und 276 Euro pro Flüchtling / Monat.
232 Euro pro Flüchtling / Monat.
225 Euro pro Flüchtling / Monat.
187 Euro pro Flüchtling / Monat.
177 Euro pro Flüchtling / Monat.
66 Euro pro Flüchtling / Monat.
33,23 Euro pro Flüchtling / Monat.
20 Euro pro Flüchtling / Monat.
18 Euro pro Flüchtling / Monat.
12 Euro pro Flüchtling / Monat.
0 Euro pro Flüchtling / Monat.
Dieses verheerende Urteil erstreckt sich leider bis auf die Politik. Anfang November hatten die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) nach einem der vielen Krisentreffen mit großer Entschlossenheit „eine Datenbank“ für Asylbewerber in Aussicht gestellt. Was sie verschwiegen: Sehr Ähnliches hatte die Kanzlerin gemeinsam mit den Bundesländern bereits Ende September versprochen. Damals war nur etwas komplizierter von „einer gemeinsamen Softwarelösung“ zur „medienbruchfreien Kommunikation“ und baldigen „Digitalisierung des Asylverfahrens“ die Rede.
Seitdem ist jedoch wenig passiert. „Der gesetzlich vorgeschriebene Datenaustausch zwischen den an den Asyl- und Dublinverfahren beteiligten Behörden ist bisher noch nicht in allen Zweigen der Kommunikation medienbruchfrei möglich“, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums auf Anfrage der WirtschaftsWoche. Automatische Datenabrufe und Schnittstellen bestünden nur „teilweise“.
Deutsche Verwaltung nicht auf dem Stand der Technik
Zum Stand des demnach dringend benötigten einheitlichen IT-Systems, in dem Bund und Länder ihre Asylbürokratie bündeln können, lässt das Innenressort lediglich ausrichten: „An einer Realisierung wird gearbeitet.“ Falls erforderlich, würden „dafür geeignete öffentliche Ausschreibungen durchgeführt“.
Zunächst muss ohnehin das Gesetz fertig werden und den Bundestag passieren. Danach müsste der Auftrag wohl EU-weit ausgeschrieben werden. Das, so heißt es aus Regierungskreisen, könnte einen bis zu anderthalb Jahre dauernden Vergabeprozess nach sich ziehen. Im Klartext: Die deutsche Verwaltung wäre frühestens im Laufe des Jahres 2017 auf dem Stand der Technik, die sie eigentlich 2015 bräuchte.
Asylverfahren dauert durchschnittlich 5,2 Monate
Leider passt derlei Irrsinn allzu gut ins große Bild. Denn beim BAMF als Hauptmotor der Flüchtlingsverwaltung ist es in den vergangenen Monaten ebenfalls nicht genügend vorangegangen. Als der neue BAMF-Chef Weise kürzlich den Innenpolitikern des Bundestages bei einer internen Sitzung Rede und Antwort stand, machte er aus der unbefriedigenden Lage, die er vorgefunden hat, keinen Hehl. Weise machte auf die anwesenden Parlamentarier zwar einen hoch motivierten und unerschrockenen Eindruck, aber er redete unverblümt. Das Amt, so Weises Urteil, würde derzeit „dem Auftrag nicht gerecht“.
Stolze 5,2 Monate dauert ein Asylverfahren derzeit durchschnittlich, immer noch. Momentan verfügt das BAMF insgesamt über rund 3000 Mitarbeiter in der Zentrale und den 22 Außenstellen, davon 660 Entscheider für Asylverfahren. Bis Ende des Jahres sollen noch mehrere Hundert weitere Kollegen eingestellt sein, darunter auch zusätzliche Entscheider in dreistelliger Zahl. Das klingt zunächst nach einem Fortschritt. Intern gilt aber die Faustformel, dass ein eingearbeiteter Entscheider rund 400 Fälle pro Jahr abschließen kann. Geht man von 1000 dieser Mitarbeiter aus, wären das also künftig 400.000 Verfahren jährlich.
Doch allein 2015 sind bislang schon mehr als 750.000 Asylsuchende hinzugekommen, unbearbeitete Altfälle und Folgeanträge gar nicht eingerechnet. Die gesetzlich eigentlich vorgeschriebene Marke, die Verfahren in drei Monaten abzuschließen, erscheint so – aller Rhetorik der Politiker zum Trotz – vollends unerreichbar.
Die Verantwortlichen in Ländern und Gemeinden werfen dem BAMF darüber hinaus zwei grundsätzliche Versäumnisse vor: mangelndes Problembewusstsein und geringen Eifer. Denn am bayrischen Stammsitz und in den Außenstellen arbeitet man bis heute so, als wäre jedes Asylverfahren ein normaler Verwaltungsvorgang wie die Beantragung eines Kfz-Kennzeichens oder die Verlängerung eines Personalausweises. Entsprechend gelten auch Regeln wie auf einem Einwohnermeldeamt: begrenzte Öffnungszeiten, langfristige Terminzuteilung, strikte Formalität.
Das hat bizarre Folgen. So schließt das Amt nicht nur jeden Abend seine Türen, es werden auch die Server ordentlich heruntergefahren. Ärgerlich, dass auf diesen Servern die Easy-Software liegt, mit der registrierte Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden. Mag die Bundespolizei an den Inn-Brücken bei Passau auch Nacht für Nacht Sonderschichten zur Personalienaufnahme fahren, weiterschicken kann sie die Flüchtlinge immer erst am nächsten Morgen, wenn um 6.00 Uhr der Easy-Server hochfährt und das Programm endlich seine Entscheidungen fällt.
Die Landesverwaltungen haben sich so sehr an den Irrsinn gewöhnt, dass sie schon mit kleinen Verbesserungen zufrieden sind. Noch im Sommer konnte zwischen Freitagabend und Montagmorgen kein einziger Flüchtling umverteilt werden. Seit einigen Wochen läuft der Server immerhin auch am Wochenende. Auch das Verfahren selbst läuft so korrekt wie zäh. Schließlich ist jeder Asylbescheid Ausdruck hoheitlichen Handelns, ein Verwaltungsakt erster Güte. Und das heißt auch: E-Mails sind undenkbar. Sobald das Verfahren abgeschlossen ist, gibt es einen Entscheid, der ordentlich verpackt und per Post verschickt werden will. Dass dafür im Schnitt drei Wochen draufgehen, in denen mögliche Widersprüche vor Gericht schon abgehandelt werden könnten, gilt zwar durchaus als ärgerlich, aber als unvermeidbar. Ordnung geht schließlich über alles.