
Wenn man es gut meint mit Matthias Platzeck (SPD), dann greift man zu Goethe als Erklärung: Dann wohnten einfach zwei Seelen in der Brust des brandenburgischen Ministerpräsidenten, die auf das Heftigste miteinander rangen. Die des Landesvaters war besorgt um die Nachtruhe seiner Bürger, die des Aufsichtsratsvorsitzenden des BER um die Zukunftsfähigkeit des größten Infrastrukturprojektes des Landes.





Gewonnen hat offenbar erstere. Anders ist nicht zu erklären, warum Platzeck gerade eine bemerkenswerte Kehrtwende hinlegt, die sogar seinem Parteifreund und Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit die Zornesröte auf die Backen treibt: Nicht nur zwischen 0 und 5 Uhr nachts soll am BER zukünftig nicht geflogen werden, sondern bereits ab 22 Uhr nicht mehr – bis morgens um 6.
Die Starttermine für den Flughafen BER
Dieser Termin wird 16 Monate zuvor gekippt. Begründung: Neue Sicherheitsvorschriften und die Pleite zweier Planungsfirmen. Tatsächlich ist der Bau schon ein Jahr im Rückstand.
Nur vier Wochen vorher wird der Start abgeblasen. Begründung: Die Brandschutzanlage funktioniere nicht. Tatsächlich ist in dem Neubau noch viel mehr nicht fertig.
Dieses neue Datum wird nach neuerlicher Verschiebung im Mai 2012 genannt und einen Monat später schon wieder in Zweifel gezogen. Anfang September wird klar: Auch dieser Termin wird nicht zu halten sein.
Nach einer Analyse des neuen Technikchefs Horst Amann legt der Aufsichtsrat diesen Termin am 7. September als neuen Eröffnungstag fest.
Anfang Januar 2013 wurde bekannt, dass auch der Termin im Herbst des Jahres nicht zu halten sein wird. Frühestens 2014 wird das Großprojekt nun seiner Bestimmung übergeben werden können.
Acht Stunden Stille. So will es ein Volksbegehren und so will es jetzt auch Platzeck. Dass dieser den Bürgerwillen nicht ignoriert, ist ihm grundsätzlich hoch anzurechnen. Jahrelang schließlich tobte in Berlin und Brandenburg der Protest gegen die "Fluchrouten" des geplanten Großstandairports. Aber seine Pirouette verkennt die Realität: Das Nachflugverbot zwischen 0 und 5 Uhr wurde 2011 vom Bundesverwaltungsgericht höchstrichterlich bestätigt. Das ist geltendes Recht. Und es war bereits ein Kompromiss zwischen Anwohnern und Flughafen.
Die Kosten des Hauptstadtflughafens
Der Stand der Gesamtkosten belief sich zwischenzeitlich auf 3,1 Milliarden Euro. Dazu kamen circa 118 Millionen Euro im direkten Zusammenhang mit der Verschiebung der Eröffnung - beispielsweise für den längeren Betrieb in Tegel und Schönefeld bis zum BER-Start -, weitere 276 Millionen Euro für Mehrkosten beim Bau, 192 Millionen Euro an Mindereinnahmen oder Reserven und bis zu 591 Millionen Euro für den erweiterten Lärmschutz.
Insgesamt ergibt sich daraus der aktuelle Stand der Gesamtkosten von bis zu 4,277 Milliarden Euro.
Für die Finanzierung sind bislang 3,36 Milliarden Euro zugesichert. Davon kommen rund 2,4 Milliarden Euro aus Krediten, 430 Millionen Euro vom Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg, 531 Millionen Euro aus Eigenmitteln der Betreiber.
Die Summe der Mehrkosten beläuft sich auf bis zu 1,177 Milliarden Euro. Deren Finanzierung ist im Detail noch unklar. Berlin, Brandenburg und der Bund haben eine Finanzspritze vereinbart. Sie sind zu jeweils 37 Prozent (beide Länder) und 26 Prozent (Bund) an der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH beteiligt. Wie die Finanzspritze genau aussehen soll, muss der Aufsichtsrat noch festlegen.
In den so genannten zwei Randstunden vor Mitternacht und in der Stunde von 5 bis 6 Uhr im Morgengrauen soll am BER ohnehin kein Höchstbetrieb laufen. Für Interkontinentalverbindungen oder bei Verspätungen aber sind diese Zeiten von großer Bedeutung. Wenn der BER wirklich ein Tor zur Welt, weiter wachsen und profitabel sein soll, dann braucht der Flughafen diese drei Randstunden. Sonst wird er schon vor der Eröffnung zum Provinzposten.
Platzeck ist erst vor wenigen Wochen zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Flughafengesellschaft avanciert. Er ist nun politisch der Verantwortliche. Dazu gehört auch, dass er die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens offensiv erläutert und verteidigt. Gerade tut er das Gegenteil.