
Adrian sitzt im Sprechzimmer des Landratsamtes in Karlsruhe zum medizinischen Test der Einschulung. Vom anderen Ende des Schreibtisches schaut ihn eine Ärztin skeptisch an: Dieser Junge soll in eine normale Regelgrundschulklasse aufgenommen werden. Das zumindest wollen seine Eltern. Ob das klappen kann?
Die Ärztin fordert Adrian auf, von 1 bis 10 zu zählen. „Auf Deutsch oder Spanisch?“, fragt der Junge mit Downsyndrom. Noch heute schmunzelt Adrians Mutter Helga Alcaide, wenn sie diese Geschichte vom Einschulungstest erzählt - denn ihr Sohn wächst zweisprachig auf.
Die Vorurteile gegenüber Adrian sind kein Einzelfall. Tausende behinderte Kinder erleben jedes Jahr Ähnliches, wenn sie sich für die Schule anmelden wollen. Dabei sollten solche Ressentiments schon lange abgebaut sein – zumindest schreibt die UN-Konvention aus dem Jahr 2009 das vor: Sie verpflichtet zum gemeinsamen, vorurteilsfreien Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern in der Schule.
Gemessen an der Gesamtzahl des Nachwuchses mit Förderungsbedarf führt laut der Kultusministerkonferenz Schleswig-Holstein die Liste an: Dort sind 57,5 Prozent in einer Regelklasse. Das Schlusslicht ist Niedersachsen mit gerade einmal 14,7 Prozent. Nordrhein-Westfalen liegt im Mittelfeld mit 23,9 Prozent. Zur Einordnung: Ziel ist eigentlich, bei 100 Prozent anzukommen.
Die Ängste der Eltern
Zumindest am Prozentwert von Nordrhein-Westfalen könnte sich etwas ändern. Denn: Ab dem Schuljahr 2014/2015 bekommen die Schulen in diesem Bundesland zusätzliche sonderpädagogische Förderung. Das Land macht den Geldtopf auf: Mehr Lehrer mit zusätzlicher Ausbildung können eingestellt werden, Vermittler werden künftig ausgebildet.
Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern soll somit noch mehr zum Normalfall werden. In einem Papier des Ministeriums für Schule und Weiterbildung heißt es: „Vom Schuljahr 2014/2015 an wird die Versorgung der Schulen, die gemeinsames Lernen praktizieren, auf eine neue Grundlage gestellt.“
Der achtjährige Adrian geht mittlerweile in die Klasse 3c der Werner-von-Siemens-Grundschule in Karlsruhe. Es ist eine Regel-Grundschulklasse mit 18 Schülern, er ist eines von drei Kindern mit Behinderung. So wie in Adrians Klasse soll die Inklusion der Regelfall werden. Das Ziel ist nicht nur die Integration als das bloße „Reinsetzen“ der Behinderten, sondern vielmehr das echte Einbinden aller Kinder in den Unterricht.