
Als der erste Baum fällt, haben die Polizisten eine taktische Aufstellung eingenommen. Zwei Dutzend Beamte bewachen die Baustelle im lichten Buchenwald auf dem Hilsberg, einer Gegend im hügeligen Mittelhessen zwischen Siegen und Marburg, die den treffenden Namen Hinterland trägt. Der Rest der Hundertschaft ist auf die benachbarten Dörfer verteilt. Sie stehen in dauerndem Kontakt mit der Einsatzleitung; wenn es brenzlig wird, können sie in wenigen Minuten an der Baustelle im Wald sein. Es wird nicht lange dauern, bis dieses Kommando sie über Funk erreicht.
Das war im Frühling 2012. Jetzt ist ein Jahr vergangen, und im Hinterland ist der eine oder andere Baum gefällt. Aber es steht kein einziges Windrad. Der Grund dafür trägt den Namen Reinhold Leinweber und ist ein 63-jähriger Rentner.
Leinweber geht mit seinen unorganisierten grauen Haaren, dem gleichfarbigen Wollpullover optisch als Ökoaktivist durch, doch solche Motive liegen ihm fern. Leinweber hat vier Jahrzehnte Beamtenleben hinter sich, in der Hochbauabteilung der Stadt Bad Laasphe war er für Energiemanagement zuständig. „Ich kann einfach nicht mit ansehen, wenn gute Dinge schlecht organisiert werden“, sagt er, Aktenordner in der Hand, ganz der gewissenhafte Beamte.
Was er damit meint, zeigt sich, als er in seinen Garten tritt. „Wir werden umzingelt“, sagt er, und seine Stimme bebt. Er weist auf die umliegenden Bergkuppen, die das Örtchen Holzhausen wie die Bühne eines Amphitheaters umschließen – und auf denen künftig Windkraftanlagen stehen sollen. „Wir in Holzhausen haben den Schaden, und den Nutzen haben die anderen“, schimpft Leinweber. Denn die Berge liegen wenige Meter hinter der Grenze zum Nachbarort Bad Endbach. Da der aber zwei Täler entfernt ist, werden die Windmasten von dort nicht zu sehen sein. „Und wir sollen nichts dagegen tun können?“, fragt Leinweber rhetorisch. „Das kann doch nicht sein!“
Menschliche Folgen der Energiewende
Es ist ein kleiner Konflikt, der im Garten eines Rentners seinen Ausgangspunkt nimmt. Doch in der Radikalität, mit der er ausgetragen wird, ist er beispielhaft. Streitfälle wie dieser bahnen sich gerade 100-fach an in Deutschland. Nicht alle werden die Polizei in dreistelliger Mannstärke auf den Plan rufen, die wenigsten werden Bürger erleben, die wie in Holzhausen mit Eisenstangen aufeinander losgehen und lokalen Politikern Drohbriefe schicken. Doch nach und nach dürften sie die menschlichen und finanziellen Folgen der Energiewende offenlegen. Wenn Kritiker das katastrophale politische Management des Umstiegs auf erneuerbare Energien anprangern, dann zeigt sich in Dörfern wie Holzhausen, was das aus der Froschperspektive bedeutet: Aus einem verbindenden Generationenprojekt ist ein neiderfüllter Kampf um Profite geworden, der die Energiewende zu einem teuren Teufelskreis werden lässt.

Schuld an diesem Dilemma ist ausgerechnet die Windkraft, die wichtigste und in unseren Breiten effizienteste erneuerbare Energiequelle. Im Vergleich zu anderen Erneuerbaren verursacht sie die größten Kollateralschäden. Solaranlagen sorgen zwar für ärgerliche Ausschläge auf der Stromrechnung, doch den ästhetischen Schaden trägt vor allem der Solardachbauer selbst. Biogasanlagen mögen unangenehm riechen, doch das tat Gülle schon immer. Windkraftanlagen hingegen sind über viele Kilometer sichtbar, ein gutes Stück weit zu hören, sie werfen einen langen Schatten und erfordern immense bauliche Eingriffe in die Natur.
Riesige Türme in der Landschaft

Mit dem technischen Fortschritt nehmen diese Schäden sogar zu, anstatt zu sinken. Waren Windräder vor wenigen Jahren kaum 100 Meter hoch, erreichen die Standardmodelle dieser Tage inklusive Rotor knapp 200 Meter, allein der Turm misst 140 Meter. Das verändert nicht nur die Wahrnehmung, sondern hat auch massive Folgen für die Platzierung der Windmeiler. Denn in größeren Höhen steigen auch die Windgeschwindigkeiten signifikant an. Während sich die Anlagen noch vor einer Dekade nur in Küstennähe und auf exponierten Gipfellagen effizient betrieben ließen, gibt es heute in jedem deutschen Landkreis geeignete Flächen. Zudem wird der Ausbau politisch forciert. In den vergangenen Monaten haben Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern neue Gesetze verabschiedet, die den Bau erleichtern. In Hessen ist ein entsprechendes Gesetz in der Pipeline.
"Stück vom Kuchen"
Markus Schäfer ist einer von denen, die den Ausbau vorantreiben. Ihm geht es bei der Windkraft darum, „ein Stück vom Kuchen abzubekommen“. Es ist eine Formulierung, die man zurzeit in vielen Orten hört. Schäfer ist Bürgermeister der Gemeinde Bad Endbach und der Gegenspieler von Aktivist Leinweber. Das mit dem Kuchen klingt nach Profitinteresse, nicht nach Idealismus, und so schiebt er hinterher: „Ich war schon immer für die Energiewende.“ Bei seinem Amtsantritt 2006 sei er mit dem Ziel angetreten, den Ort energieautark zu machen. Zu Gesprächen lädt er gern ins städtische Thermalbad ein, ein Passivhaus, das seine Energie selbst produziert. Vor dem Bad steht Schäfers Auto, auf der Heckscheibe prangt ein Aufkleber im Stile der „Atomkraft, nein danke“-Statements: „Windkraft, ja bitte“. Schäfer macht sich eine Zigarette an, steigt in den Wagen, einen Mercedes. Ein Mann der Widersprüche?

Schäfer sagt, er habe jahrelang Anträge von Projektbüros bekommen, die auf den Flächen der Gemeinde Windkraftanlagen errichten wollten. Die Energiebilanz des Ortes hätten die Projekte verbessert und sogar ein paar Gewerbesteuereinnahmen gebracht. Aber: „Die großen Gewinne schöpfen andere ab“, stellt Schäfer fest. Dessen Therme ist energiepolitisch zwar ein Vorzeigeprojekt, finanziell aber eine ziemliche Bürde. 700.000 Euro muss das Städtchen im Jahr für das Ökobad zuschießen. Um nicht nur die Energiebilanz, sondern auch die Bücher in den grünen Bereich zu führen, kam Schäfer auf eine einfache Idee: Wenn die Kommune selbst Windkraftanlagen baut, könnte das die Verluste der Therme ausgleichen. „Energiewende und Schuldenabbau in einem Projekt, das nenne ich eine Win-win-Situation.“ 2011 rechnete er das Konzept durch und ging damit an die Öffentlichkeit.
Akteure der Stunde
Gemeinden wie Bad Endbach sind in der Windkraft die Akteure der Stunde. In der ersten Phase des Ausbaus erneuerbarer Energien waren es vor allem Fonds und Genossenschaften, die bei Anlegern oder Mitgliedern Kapital einsammelten und dann Projektentwickler ihre Windmühlen realisieren ließen. Die Gemeinden mussten zuschauen, wie andere das Geld verdienten, während sie sich mit den Gegnern der Projekte herumärgerten. Inzwischen ist das vielen Bürgermeistern zu bunt geworden, sie steigen selbst in den Betrieb von Windparks ein. Ihr Argument: Nur wenn die Kommunen das Geschäft übernehmen, haben alle Bürger etwas von den Erträgen. Einige Projektentwickler sprechen gar bevorzugt Gemeinden an – weil die offenbar besonders leicht von Windkraftinvestments zu überzeugen sind.
Beschleunigt wird diese Dynamik durch die Politik der südlichen Bundesländer, die ihren Rückstand beim Ausbau der Windenergie aufholen wollen. Im vergangenen Jahr erhöhte kein Bundesland seine Kapazität schneller als Bayern, wo sie um 22 Prozent wuchs. Dafür haben sie ihre Kommunen auf konkrete Ausbauziele verpflichtet. So sollen etwa in Rheinland-Pfalz bis 2020 zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie parat stehen.
Pläne führen zu Gießkannenlogik





Entsprechend große Vorrangflächen sollen die Kommunen ausweisen. Damit nicht genug des Drucks: Wo die Räte keine Vorrangflächen ausweisen, wird automatisch das gesamte Gemeindegebiet zu selbigem. Auch wenn in den Landesentwicklungsplänen meist angedacht ist, dass sich die Windflächen auf die ertragreichsten Gebiete konzentrieren, führt dies in der Praxis zu einer Gießkannenlogik. Denn die Gewinne durch Windkraft will sich kaum eine Kommune entgehen lassen. In Hessen ist ein Streit darüber entbrannt, wie niedrig die Mindestwindgeschwindigkeit sein soll, um eine Vorrangfläche ausweisen zu dürfen. Das Land wollte höhere Grenzwerte, die Kommunen protestierten – auch windarme Regionen sollten die Chance bekommen, Geld mit der Windkraft zu verdienen. In den anderen Bundesländern hat man auf solche Grenzen gleich verzichtet. Jeder soll ein Stück vom Kuchen bekommen.
Wie man an die Stücke rankommt? Herbert Lauterbach, Verwaltungschef im fränkischen Pegnitz, rechnet vor. Die Gemeinde hat im Winter einen Windpark mit vier Anlagen eröffnet, der 20 Jahre laufen soll. Kosten inklusive Wartung, Versicherung und Refinanzierung: 23,5 Millionen Euro. Der Ertrag dank staatlich garantierter Einspeisevergütung: 30 Millionen Euro. „Bleiben gut sechs Millionen Euro Gewinn“, freut sich Lauterbach.
Chronik der Energiewende
Der von einem Erdbeben ausgelöste Tsunami überschwemmt und zerstört in Fukushima-Daini 250 Kilometer nordöstlich von Tokio Teile des Kernkraftwerks.
Die Bundesregierung ordnet an, sieben ältere Kernkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen, die übrigen zehn Reaktoren kommen auf den Prüfstand.
Union und FDP einigen sich auf einen kompletten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022, die sieben älteren Meiler müssen endgültig stillgelegt werden.
Das Kabinett segnet das Atom- und Energiepaket ab und präsentiert die energie- und klimapolitischen Ziele bis 2050.
Die EU-Kommission reklamiert für sich Kompetenzen bei der Energiewende. Der Strommarkt müsse europäischer werden.
Angela Merkel fordert eine Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG): „Wenn die EEG-Umlage so weiter steigt, dann haben wir mit der Energiewende ein Problem.“
Protestler Reinhold Leinweber wird gleich wieder laut, wenn er solche Zahlen hört. Er findet, dass Kommunen ihren Bürgern Lebensqualität rauben, um ihre eigenen Finanzen in den Griff zu bekommen. Als er im Herbst 2011 zum ersten Mal hört, dass sich die Nachbarstadt Bad Endbach an seinem grünen Idyll bedienen will, um ihr Prestigeobjekt Bergland-Therme zu finanzieren, macht er das ganze Dorf mobil. Es beginnt ein erbitterter Kleinkrieg.
Aus Beteiligung wird offene Konfrontation
Am Anfang steht eine Gemeindeversammlung. Da vereinbaren die Holzhäuser Bürger, Unterschriften gegen den Windpark zu sammeln, sie hoffen auf die Einsicht der Politik. Stattdessen hören sie von Vorranggebieten, Zielabweichungsverfahren. „Das war alles schon beschlossen, die hätten am liebsten gleich zum Jahreswechsel gebaut“, sagt Leinweber. Als er das erkennt, wird aus Bürgerbeteiligung offene Konfrontation. Schnell hat die Bürgerinitiative 1000 Mitstreiter, der Naturschutzbund (Nabu) sichert seine Unterstützung zu. Im Wäldchen am Hilsberg finden lokale Vogelschützer dann Brutplätze des Rotmilans, eines seltenen Greifvogels. Die Zukunft des Windparks wird jetzt vor Gericht verhandelt, und Bürgermeister Schäfer muss auf Einnahmen in sechsstelliger Höhe verzichten.

Als der massenhafte Ausbau der Windkraft in Deutschland begann, da fand er meist im Norden auf Bauernland statt. Konflikte gab es verhältnismäßig selten. Auf den kilometerweiten Feldern hatte sich wilde Natur ohnehin längst rar gemacht. Das machte die Sache für Umweltschützer wie Projektentwickler einfach. Für die Ökologen, weil sich Naturschutz und Klimapolitik nicht im Wege standen. Für den Ökonomen, weil er bloß einen Batzen Bares beim Landbesitzer abgeben musste, um alle Genehmigungssorgen loszuwerden.
Seit die Projekte in Mittelgebirgen und dichter besiedelten Gebieten im Süden und Westen angekommen sind, ist die Lage komplizierter. Wo das Gelände ständig von Hügeln unterschiedlicher Steilheit und Tälern aller Himmelsrichtungen durchzogen wird, da weht auch der Wind unberechenbar.
Angst ums identitätsstiftende Idyll

So kommen weniger Standorte überhaupt für Windkraftanlagen infrage. Wo die äußeren Voraussetzungen passen, gibt es reihenweise andere Probleme. Geschützte Baumarten, bedrohte Vögel, Trinkwasserreservoire und vor allem: Menschen. In den Weiten des Nordens hatten sich die Anwohner lange vor der Energiewende daran gewöhnt, dass irgendwo am Horizont auch ein Strommast, ein Handyturm oder eben ein Windkraftwerk zu sehen war. Wo aber ein Dorf nur von bewaldeten Hügeln umgeben ist, bedeutet ein Windmast von der Höhe der ganzen Hügelkette einen Eingriff anderer Qualität.
Diese Angst um das identitätsstiftende Idyll ist es, die bei Menschen wie Reinhold Leinweber einen so tief sitzenden Groll erzeugt, dass der Konflikt mit der Nachbargemeinde erst rohe und dann tragische Züge angenommen hat. Als Bad Endbachs Bürgermeister Schäfer Anfang 2012 auf einer Informationsveranstaltung versucht, bei den Bürgern im Nachbarort Verständnis für seine Lage zu finden, ist es längst zu spät. Im örtlichen Bürgerhaus wird er mit Beleidigungen empfangen. „Der Weg zum Podium glich einem Spießrutenlauf“, erinnert sich Schäfer. Wenn er an diesen Tag zurückdenkt, tritt noch ein Jahr später Bestürzung in sein Gesicht. „Dass ein paar Windräder solchen Hass stiften können, kann ich bis heute nicht glauben.“ In Andeutungen erzählt er, wie es danach weiterging. Er berichtet von Drohungen, einer schwierigen Zeit in der Schule für seine Kinder, er bleibt bewusst im Ungenauen.
Nicht nur bei Bürgermeister Schäfer sind solche Wunden zurückgeblieben. Wenn sein Kontrahent Reinhold Leinweber von der hitzigsten Phase des Kampfes um die Windmühlen berichtet, mischt sich Ärger mit Bitterkeit. Auch seine Seite sei persönlich bedroht worden, etwa als die Windkraftgegner Flugblätter gegen den Windpark in Bad Endbach verteilten. Eine Mitstreiterin sei mit dem Schraubenzieher bedroht worden. Aber das ist es nicht, was seine Gefühlslage erklärt. „Man versucht, uns als Querulanten darzustellen“, sagt er. In einer Stellungnahme distanzierte sich die Gemeinde Dautphetal, zu der Holzhausen gehört, von der Bürgerinitiative. Man verurteile die „teilweise massiven Versuche“ , auf die „politisch Verantwortlichen in der Nachbargemeinde einzuwirken“. Die „diffamierenden Äußerungen“ seien „in hohem Maße geeignet“, den „sozialen Frieden zu beeinträchtigen“.
Erfolgsfaktor kontra Erfinder
Solche Beispiele zeigen, wie die als Erfolgsfaktor gepriesene Dezentralität der neuen Energieversorgung sich gegen ihre Erfinder wendet. Statt alle Bürger zu beteiligen, bringt die Windkraft immer mehr Menschen gegen sie auf. Statt einer unspezifischen Wut auf große Konzerne verspüren die Menschen ganz konkreten Ärger auf Nachbarn oder lokale Politiker. Auch für die Naturschutzverbände wird das zunehmend zum Problem. Sie können ihr Ja-Wort für die Energiewende immer seltener mit dem Schutz der lokalen Natur vereinbaren. Im vergangenen Jahr verkündete einer der Urväter der deutschen Naturschützer, Enoch zu Guttenberg, seinen Austritt aus dem BUND. „Ich kann mich des fatalen Eindrucks nicht erwehren: Es geht nicht um Natur und ihren Schutz. Hier geht es möglicherweise schlicht um Geld“, schrieb er den alten Weggefährten ins Stammbuch.
So denken immer mehr Naturfreunde; im Hinterland hat sie die Frage endgültig gespalten. Früh hatte der Nabu der Bürgerinitiative seine Unterstützung zugesagt. Für Bürgerinitiativen kann so etwas der entscheidende Baustein sein, um ein Projekt aufzuhalten. Während die lokalen Gruppen keine Klageerlaubnis in naturschutzrechtlichen Fragen haben, wird diese den bundesweit tätigen Organisationen wie BUND oder Nabu fast immer gewährt. So auch am Hilsberg.
Energiewende mit bundesweiter Priorität





Doch staatliche Stellen wissen inzwischen, wie sie Naturschützer unter Druck setzen können. Deren nationaler Aktionsradius bringt es mit sich, dass sie auch um ein bundesweit koordiniertes Vorgehen bemüht sein müssen. Und da hat die Energiewende nun mal Priorität. Ein Umweltschutzverband mit dem Ruf, den Umstieg auf erneuerbare Energien zu behindern, wäre seine wichtigsten Spender los.
Die Gemeinde Bad Endbach beginnt daher diskrete Sondierungsgespräche mit dem Nabu. Im Herbst 2012 kommt für Aktivisten-Anführer Leinweber die Überraschung aus der Presse: Der Nabu zieht seine Klage zurück, will den Windpark jetzt unterstützen. Die Gemeinde übereignet dem Nabu im Gegenzug ein benachbartes Waldstück, in das der Rotmilan umsiedeln könnte. „Die haben uns hintergangen“, sagt er, „für Geld.“
Crescendo von Vogelstimmen
Nicht nur bei der Bürgerinitiative wittert man Käuflichkeit. Erich Sänger, ein knorriger kleiner Mann, der seit Jahrzehnten für den Nabu die Vogelpopulation rund um den Hilsberg beobachtet, schüttelt nur den Kopf, als er auf die Vereinbarung angesprochen wird, aus politischen Verwicklungen will er sich raushalten. Vor dem Waldstück, in dem bald der Rotmilan seine Eier legen soll, bleibt er stehen, hält einen Finger vor den Mund, die andere Hand ans Ohr. Einige Sekunden menschliches Schweigen, ein Crescendo von Vogelstimmen ist zu hören. „Hier ist viel los, das hören Sie“, sagt er dann. „Aber das sind alles keine besonderen Vögel, drüben am Hilsberg hören Sie ganz andere Dinge!“ Er schwärmt von Uhus und eben dem Rotmilan, und an den Erfolg der geplanten Umsiedlungsaktion glaubt der Vogelkundler anders als die Nabu-Funktionäre, die den Deal eingespielt haben, kein bisschen.
Viele seiner Verbandsfreunde haben daraus Konsequenzen gezogen. Scharenweise haben sie den Nabu verlassen und sind zum bis dahin völlig unbedeutenden Vogelschutzverein Holzhausen übergelaufen. Dort haben sie eine eigene Klagebefugnis erfochten und kämpfen vor Gericht weiter – auch gegen den Nabu, der jetzt auf der anderen Seite steht.
Solche Konflikte stellen nicht nur den Naturschutz vor ein Dilemma, sondern auch viele Windkraftprojekte auf den Kopf. Im Hinterland wurde die Zahl der Windräder 2012 zunächst um eine Anlage reduziert, um die Gegner zu besänftigen. Als aber der erste Baum fallen sollte, musste dennoch die Polizei einschreiten. Nur lautete der Marschbefehl nicht „Schafft die Demonstranten aus dem Wald“, sondern: „Sofortiges Ende der Rodungsarbeiten.“ Noch während des ersten Bautags hatten die Windkraftgegner vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel eine einstweilige Verfügung erwirkt, da entscheidende naturschutzrechtliche Bedenken nicht beachtet worden waren. Die Baumaßnahme wurde abgeblasen. Mit einem Jahr Verspätung soll es diesen Montag nun endlich losgehen.
Sollte das Projekt wirklich kommen, ist von den erhofften Profiten nur wenig übrig. Inzwischen musste die Gemeinde Bad Endbach zwei Standorte komplett aufgeben, darunter den windträchtigsten im gesamten Gebiet. Schon jetzt lasten auf dem Park außerdem eine Reihe von Auflagen, die Betriebszeiten stark einzuschränken, um die Vögel in verschiedenen Brut-, Jagd- und Ruhezeiten möglichst wenig zu stören.
Hohe Risiken für Windprofite





Dabei ist der Hilsberg mit seinen deutlich über sechs Metern Wind pro Sekunde im jährlichen Durchschnitt tatsächlich ein geeignetes Gebiet für Windkraft. Anderswo gehen Gemeinden inzwischen deutliche Risiken ein, um an die Windprofite zu gelangen. So lassen sich die neuen Großanlagen theoretisch auch bei Windgeschwindigkeiten von 5,5 Metern und darunter profitabel betreiben. 150 Meter über dem Boden wird diese Geschwindigkeit vielerorts erreicht. Doch je größer die Anlage, desto größer werden auch die Risiken. Schon kleinste Änderungen der Windgeschwindigkeiten können hier ordentliche Lücken in die Bilanz reißen. Und die Winderträge sind keineswegs so zuverlässig, wie Projektentwickler das gerne versichern. So stieg die Kapazität aller Windkraftanlagen an Land von 2011 auf 2012 um acht Prozent. Der Ertrag der Anlagen hingegen sank um sechs Prozent. Dabei war bereits 2011 ein äußerst windarmes Jahr.
Für die Rentabilität von Windkraftanlagen haben solche Abweichungen massive Folgen. Denn die Windstärke beeinflusst die Energieausbeute mit der dritten Potenz. Das heißt: Weht der Wind zwei Prozent langsamer, sinkt der Energieertrag um acht Prozent. Das Beispiel Pegnitz etwa zeigt, wie schnell so aus einem guten Ertrag ein Minus entstehen kann. Das Worst-case-Szenario der Gemeinde geht von einem Ertrag von 20 Prozent unter Plan aus – darunter werden die Zahlen rot.
Deutschland
Umso erstaunlicher ist es, dass vor der Standortwahl oft keine konkrete Windmessung über einen längeren Zeitraum stattfindet. Stattdessen verlassen sich viele auf Windkarten, zum Beispiel von Projektierungsbüros. Dabei sind selbst die akkuratesten Exemplare, die der TÜV Süd für einige Bundesländer erstellt hat, „für die konkrete Investitionsentscheidung nicht ausreichend“, wie der TÜV selbst betont. Hinzu kommt, dass die Gemeinden zurzeit von extrem günstigen Refinanzierungssätzen profitieren. All das zusammen macht viele kommunale Projekte hochriskant.
Überschuldung durch Kürzung?
Je mehr Kommunen in diese Investmentform einsteigen, desto unmöglicher wird zudem der Ausstieg aus der gesetzlichen Förderlogik. Wie soll ein Bundesminister noch die EEG-Umlage kürzen, wenn seinen Landräten dadurch die Überschuldung droht? Der Pegnitzer Verwaltungschef Lauterbach jedenfalls wiegelt schon mal ab: „An die Bestandsvergütungen kann die Politik auf keinen Fall ran. Ich kenne viele Gemeinden, die sich auf Gedeih und Verderb der Windkraft ausgeliefert haben – die wären sofort platt.“
So kennen Projekte wie am Hilsberg am Ende fast nur Verlierer. Betroffene Bürger wie Reinhold Leinweber. Kommunen wie Bad Endbach, die sich in der Hoffnung auf neue Finanzströme Projekte aufhalsen, die vielleicht eine Nummer zu groß für sie sind. Umweltenthusiasten, die einer Energiewende zuschauen müssen, bei der es nicht um effizienten Umstieg, sondern um Profit auf Kosten der lokalen Natur geht. Und Stromkunden im ganzen Land, deren Aussicht auf stabile Preise mit jedem neuen Projekt geringer werden.