Um Karriere zu machen, braucht es nicht nur Talent. Es braucht auch ein Netzwerk. Und es braucht eine gewisse Portion Selbstmarketing. Deshalb sind die Pläne für eine Homeoffice-Pflicht eine schlechte Nachricht für all jene mit Ambitionen. Karriere am heimischen Küchentisch – das funktioniert nicht. Wobei es, um das gleich klarzustellen, bei einer Karriere nicht nur um Macht und die Möglichkeit eines dickeren Autos oder einer schickeren Wohnung geht. Es geht um Selbstentfaltung und Selbstbestimmung.
So verständlich also der Versuch von Arbeitsminister Hubertus Heil ist, nun auch Arbeitnehmer in die Pflicht zu nehmen, um das Coronavirus einzudämmen – so ärgerlich ist er doch. Vor allem für diejenigen, deren Chancen auf eine Karriere bislang schon schlechter stehen.
Der Wert des Büros ist zuletzt leider in Vergessenheit geraten. Es ist ein Ort der Emanzipation. Ein Ort, an dem wir uns auf die Analyse von Geschäftsprozessen oder die Ausarbeitung einer neuen Strategie wirklich konzentrieren können – ohne Ablenkung durch all die Pflichten im Haushalt. Ein Ort, an dem wir uns im Austausch mit klugen Kollegen inspirieren lassen. Ein Ort, an dem wir beiläufig zeigen können, wie sehr wir uns für eine Sache engagieren, ja, mitunter überhaupt erst erfahren, für welches prestigeträchtige Projekt wir die Hand heben sollten. Wer im Homeoffice sitzt, ja, sitzen muss, verliert all diese Möglichkeiten – und damit wichtige Instrumente, um Einfluss zu nehmen.
In ihrem Essay „Ein Zimmer für sich allein“ machte die britische Schriftstellerin Virginia Woolf bereits 1929 deutlich, wie wichtig dieser Ort gerade für Frauen ist. Das Schaffen von großer Literatur hänge, so zeigte sie anschaulich, nicht nur vom Talent ab, sondern auch von äußeren Faktoren – wie eben einem eigenen Büro. Nach den Lockdowns lässt sich vorrechnen, wie aktuell Woolfs Analyse auch heute noch ist: In Deutschland wendeten Frauen 31 Prozent mehr Zeit als Männer für Hausarbeit und Kinder auf, zeigt etwa eine Untersuchung der Beratungsgesellschaft BCG. Und das bedeutet eben auch: Damit blieb ihnen deutlich weniger Zeit für die Karriere.
Dabei war das Homeoffice nicht nur für Familien eine Belastung, die nebenbei noch Homeschooling oder Homecooking praktizieren mussten. Gerade Alleinstehenden fiel es schwer, abends abzuschalten. Wer nach Feierabend nicht mehr in Bus und Bahn steigt, dem fehlt im wahrsten Sinne des Wortes eine klare Trennung. Die Wahrscheinlichkeit, Berufliches und Privates, Einsatz und Erholung, eben nicht ins richtige Lot zu bringen, liegt bei Menschen, die zu Hause arbeiten, bei 45 Prozent – und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Beschäftigten im Büro, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung schon vor einigen Jahren nachzeichnete. Und gerade Berufseinsteiger dürften gespürt haben, dass sich die Kultur eines Unternehmens nicht durch virtuelle Kaffeerunden so gut ergründen, Netzwerke nicht so verlässlich knüpfen lassen wie in der Kaffeeküche.
Statt die Leute nun also wieder massenweise an den Küchentisch zurück zu ordern, wäre es besser, Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, mit Impfungen, Tests, Masken und Abständen sicherzustellen, dass Angestellte das Virus nicht in den Arbeitsalltag tragen und verbreiten. Macht die Büros sicher, aber lasst den Leuten das Büro!
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