Forderungen der Wirtschaft an die GroKo Politik muss „digitale Transformation zum zentralen Thema machen“

Soziale Themen dominieren die Koalitionsgespräche. Dabei ist Digitalisierung viel wichtiger, meinen Wirtschaftsverbände und Firmen.

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GroKo soll Digitalisierung zum zentralen Thema machen Quelle: dapd

Walldorf, Berlin Bei einer Dienstreise in die Vereinigten Arabischen Emiraten im Herbst erlebte SAP-Finanzchef Luka Mucic ein Land im Aufbruch. Die dortige Regierung will sich für eine Zeit rüsten, in der das Öl nicht mehr die Staatskassen füllt. Daher berief sie einen Minister für künstliche Intelligenz (KI). Hinzu kam eine Strategie, um das ganze Land technologisch zu modernisieren. Das imponiert Mucic.

In Deutschland spielt künstliche Intelligenz dagegen nur eine kleine Rolle. In den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD, die heute in die entscheidende Phase gegangen sind, ist im Sondierungspapier ein einziger Satz darüber zu finden. Und wenn die Politiker öffentlich ihre Positionen abstecken, ist bislang hauptsächlich von Arbeitsrecht und Flüchtlingspolitik die Rede. Die Digitalisierung kommt kaum vor.

Dem SAP-Manager bereitet das Sorgen: „Für unser Land wird die Digitalisierung in den kommenden Jahren von herausragender Bedeutung sein.“ Er appelliert an die politischen Akteure, „die digitale Transformation zu einem zentralen Thema der deutschen Politik zu machen“. In einem Konkurrenzumfeld, in dem andere Länder massiv in neue Technologien wie KI investieren, „müssen wir Gas geben“, betont Mucic gegenüber dem Handelsblatt.

Mit seinen Bedenken ist der SAP-Vorstand nicht allein. Seit dem Wahlkampf melden sich Unternehmer und Manager, Firmen und Verbände zu Wort. Die „schönen Worten und guten Absichten“ müssten jetzt umgesetzt werden, mahnte kürzlich etwa die Chefin von Microsoft Deutschland, Sabine Bendiek, im „Tagesspiegel“.

Die Diskussionen über Arzthonorare und Rentenniveau kämen im „seltsam entrückt“ vor, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) – von Ideen, wie man in Zukunft Geld verdienen will, fehle jede Spur. Und in Vergleichen zu Breitbandinternet und digitaler Verwaltung steht Deutschland weit hinten.

Der größte deutsche IT-Konzern SAP sieht viel Handlungsbedarf – und zwar auf fast allen Politikfeldern. Besonders wichtig sind: Forschung und Entwicklung, E-Government und der Breitbandausbau.

Die Vorstände Bernd Leukert und Luka Mucic fordern zum Beispiel steuerliche Erleichterungen für Forschung und Entwicklung, um Anreize für Innovationen zu geben; eine zügige Ausgestaltung der europäischen Datenschutzgrundverordnung, um Unternehmen die Unsicherheit zu nehmen; und eine zurückhaltende Regulierung der künstlichen Intelligenz, um die Entwicklung der Technologie nicht gleich abzuwürgen. Der Breitbandausbau ist da fast das geringste Problem.

Wichtig sei ein ganzheitliches Denken, betont Leukert. Er macht das am E-Government fest, also digitalen Angeboten des Staates. Wer Elterngeld beantragt, muss diverse Formulare ausfüllen und persönlich beim Amt vorstellig werden – obwohl alle Informationen bereits vorliegen, nur bei verschiedenen Behörden.

Dieses Problem lasse sich mit Technik allein nicht beheben: „Wir müssen über eine Harmonisierung von Prozessen reden“, sagt Leukert. Nötig sei außerdem eine gemeinsame Datenbasis: Ähnlich wie Unternehmen die wichtigsten Informationen über Kunden und Lieferanten einheitlich speichern, sollten es auch Behörden tun, um besser miteinander arbeiten zu können und so Doppelarbeit zu vermeiden.

Der Wunsch nach einer digitalen Verwaltung ist in der Wirtschaft groß. Derzeit belegt Deutschland laut einer Erhebung der EU-Kommission im europäischen Vergleich gerade mal Platz 20. In einem gemeinsamen Positionspapier, das dem Handelsblatt vorliegt, mahnen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA): „Für Unternehmen ist eine digitale und missbrauchsfreie Kommunikation mit Behörden und öffentlichen Stellen unerlässlich, um die Möglichkeiten der Digitalisierung umfangreich zu nutzen“.

Angesichts solcher übergreifenden Aufgaben befürwortet SAP-Vorstand Leukert ein Ministerium für die Digitalisierung. Es muss Fachleute geben, die andere Ressorts beraten und für „dieses essenzielle Thema“ einstehen. „Die digitale Transformation ist in Unternehmen ein Chefthema und so sollte es auch in der Bundesregierung sein.“ Andere Wirtschaftsvertreter sehen ein Ministerium für Digitales kritisch und plädieren für einen Staatsminister für Digitales.

Herausforderung Datenschutz

Einen Blick fürs große Ganze fordert SAP-Vorstand Luka Mucic auch beim Datenschutz. Der Jurist bemängelte den „Blickwinkel“ der europäischen Datenschutzgrundverordnung, die Unternehmen ab Mai umsetzen müssen: „Daten werden in den Datenschutzregelungen wie ein Risiko betrachtet, personenbezogene Daten gelten als besonderes Risiko.“

Nach dieser Logik sollten möglichst wenig Informationen erhoben werden, die Entstehung von Daten sei danach besser gleich zu vermeiden. Das hält der SAP-Vorstand für einen Fehler: „Wir müssen Daten mehr als Wert, nicht als Risiko betrachten, gerade im Hinblick auf neue technologische Entwicklungen wie Big Data und künstliche Intelligenz“, forderte Mucic.

Auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) fordert eine „Stärkung der Datenökonomie“ – diese sei eine „notwendige Basis für die Zukunftsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland“. Die Digitalisierung beruhe auf „neu entstehenden, datengetriebenen Geschäftsmodellen“, erklärte BVDW-Vizepräsident Stephan Noller. Das betreffe praktisch jeden Wirtschaftszweig. Neben der Umsetzung der Datenschutzregeln müsse die Bundesregierung eine „praxistaugliche Datennutzung“ ermöglichen und fördern, etwa indem sie öffentliche Daten frei nutzbar macht.

Es gibt vielleicht Hoffnung: Die Digitalisierung nimmt zum Ende der Koalitionsgespräche etwas breiteren Raum ein als bisher. Das erste Sondierungspapier enthielt zwar nur wenige Punkte zur Digitalpolitik, nun aber wollen SPD und Union im Koalitionsvertrag ein eigenes Kapitel dazu beschließen. Der Zwischenstand der AG Digitales gibt immerhin Anlass zur Hoffnung auf einen Schub etwa bei der digitalen Verwaltung.

So sieht der Entwurf vor, dass die Register nach Vorschlag des Normenkontrollrats (NKR) modernisiert werden – eine Forderung die auch im Positionspapier von BDI und BDA auftaucht. Nach Vorschlag des NKR soll über die Vergabe von Schlüsseln nach Vorbild von Österreich gewährleistet werden, dass die Daten der Bürger weiter bei unterschiedlichen Stellen lagern, die verschiedenen Behörden aber nach Einwilligung der Betroffenen darauf gezielt und vereinzelt zugreifen können – und Bürger und Unternehmen ihre Daten nur einmal angeben müssen, und nicht wie heute immer wieder.

Laut Zwischenstand haben sich die Unterhändler von CDU,CSU und SPD auch darauf geeinigt, dem Bundes-CIO mehr Eingriffsmöglichkeiten gegenüber den Ressorts zu geben. Das könnte dazu führen, dass die Ministerien einheitlichere IT-Systeme bekommen könnten. Außerdem wollen CDU, CSU und SPD den Bürgern den Zugriff auf sämtliche Verwaltungsdienstleistungen über ein einheitliches Bürgerportal ermöglichen.

Den Grundstein dafür hatte die Große Koalition bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode gelegt. Tatsächlich hatten CDU, CSU und SPD jedoch bereits in der vergangenen Legislaturperiode versprochen, in einem ersten Schritt die 100 wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Bis heute ist jedoch nichts geschehen.

Zu den weiteren Vorhaben, die bislang durchgesickert sind, zählen der Ausbau des Internets auf Gigabit-Geschwindigkeit bis 2025, der zehn bis zwölf Milliarden Euro kosten soll, ein Paket für digitale Bildung sowie Investitionen in Zukunftstechnologien wie Cybersicherheit, Datenanalyse, Quanten-Computing und Künstliche Intelligenz. Details dazu sind aber noch rar.

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