Während die Grundlagenforschung zu der Technologie in Deutschland immer noch gut funktioniert und Harhoff hier eine 2 als Schulnote verteilt, sieht die Bilanz in der Wertschöpfung, die aus der Grundlagenforschung hervorgeht, miserabel aus: Schulnote 4- bis 5.
Die Erklärung der Gutachter: Es gibt in Deutschland noch immer viel zu hohe Barrieren für Startups. „Für die Wertschöpfung braucht man aber Startups, weil die wie Trüffelschweine jene Forschungsansätze raussuchen, die besonders wertvoll sind“, erklärt Harhoff. In Städten wie Berlin oder Hamburg wachse langsam eine Szene heran und auch einige steuerliche Hürden seien mittlerweile gefallen, nun müsse aber auch in dieser Richtung mehr gemacht werden.
Neben der Startup-Förderung nennen die Wissenschaftler zwei weitere Puzzlestücke zur erfolgreichen KI-Strategie: europäische Zusammenarbeit und die Einsetzung einer Enquete-Kommission. Ein deutsch-französisches KI-Zentrum, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, könnte zum Beispiel die Kapazitäten bündeln. Noch sinnvoller aber seien europäische Zentren. Schon heute fallen alle europäischen Nationalstaaten bei der Grundlagenforschung mit Marktanteilen von höchstens etwa fünf Prozent weit hinter die USA oder das aufstrebende China zurück. „Da können wir nur im Verbund europäischer Länder gegenhalten“, glaubt Harhoff.
Geschichte der künstlichen Intelligenz
Der britische Informatiker Alan Turing entwickelt einen Test, der nachweisen soll, ob ein Computer denken kann wie ein Mensch oder ein höheres Tier, also Intelligenz besitzt.
Forscher prägen den Begriff künstliche Intelligenz. Bald darauf setzt – typisch für die Fünfzigerjahre – Zukunftseuphorie ein: In Büchern und Filmen tauchen intelligente humanoide Roboter auf.
Am Massachusetts Institute of Technology löst ein Computer erstmals Aufgaben eines IQ-Tests. Kurz darauf entsteht dort das erste Programm, das einen Dialog mit Menschen führt.
Als die erhofften wissenschaftlichen und kommerziellen Erfolge ausbleiben, ziehen sich viele Konzerne aus der KIForschung zurück. Auch staatliche Budgets werden zusammengestrichen.
Das KI-System ALVINN steuert ein Auto von der Ost- zur Westküste der USA. Es nutzt bereits ein neuronales Netz mit drei Ebenen. Der Chip im Auto hat etwa die Leistung der heutigen Apple-Uhr.
IBM baut den Supercomputer Deep Blue. Anfangs dilettantisch, besiegt er nach jahrelangem Training 1997 erstmals den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow.
Googles gleichnamige Internetsuchmaschine geht live. Schon bald überflügelt sie – dank KI – alle Konkurrenzprodukte. Inzwischen hält sie in den meisten Ländern ein Quasimonopol.
Der Zukunftsforscher Ray Kurzweil prophezeit in „The Singularity is Near“, dass die Rechenleistung aller Computer im Jahr 2045 die aller menschlichen Gehirne übertreffen wird.
Google präsentiert sein selbstfahrendes Auto vor Journalisten, die keinen Unterschied zu einem menschlichen Fahrer mehr feststellen. Diese Autos sind bis heute drei Millionen Meilen gefahren.
Googles Alpha Go besiegt den weltweit besten Go-Spieler Lee Sedol mit 4 zu 1. Wegen seiner Komplexität ist Go nicht mit Algorithmen zu bezwingen, die jeden möglichen Zug durchspielen.
Google-Chef Sundar Pichai kündigt ein KI-System an, das andere KI-Software schreiben können wird. Experten gehen davon aus, dass Google dabei kurz vor einem Durchbruch steht.
Der berühmte Physiker Stephen Hawking warnt, dass hyperintelligente KI-Systeme in nicht allzu langer Zeit die Menschheit dominieren könnten. Ganz auszuschließen ist das nicht.
Die Enquete-Kommission soll die notwendige Debatte über Künstliche Intelligenz im Bundestag verankern. „Wir müssen endlich ausführlich darüber diskutieren, wo wir Grenzen setzen und welchen Nutzen wir aus der Technologie ziehen wollen“, sagt Harhoff. „Dafür ist der Bundestag der eindeutig am besten geeignete Ort.“
Die europäischen Strukturen entwirren:
Wie in allen Politikbereichen wird Europa auch bei Forschung und Innovation immer wichtiger. Das zeigt sich schon am Beispiel KI-Forschung. In vielen Projekten funktioniert die Zusammenarbeit gut. „Beim europäischen Forschungsrat läuft es schon länger sehr gut“, bilanziert Harhoff. Die Institution finanziert seit mehr als zehn Jahren Grundlagenforschung und vergibt gut dotierte Stipendien für Spitzenforscher. Mit dem Instrument habe man schon viele exzellente Wissenschaftler aus den USA zurück nach Europa locken können, sagt Harhoff.
Ein Problem ist dagegen die sogenannte Innovationskluft: In Nord- und Mitteleuropa entstehen Innovationsführer, Süd- und Osteuropa sacken gleichzeitig ab. Als Lösung empfiehlt das Gutachten einen „effektiveren Einsatz der schon bestehenden Struktur- und Investitionsfonds“. Im Klartext: die geschicktere Nutzung der schon bestehenden Instrumente. Stattdessen plant die EU aktuell eine weitere Förder-Institution: den Europäischen Innovationsrat.
Chefgutachter Harhoff lehnt diese Idee ab. Eine solche Einrichtung für strategische Innovation bringe auf EU-Ebene kaum etwas. „Das muss national eingebettet sein, weil sonst die wirtschaftliche Rückkoppelung fehlt“, sagt er. Auf jeden Fall müsse die Vereinfachung der schon bestehenden Strukturen Vorrang vor einem neuen Projekt haben.