
Politik findet auf zwei Ebenen statt. Die eine ist das Tagesgeschäft. Da geht es um Wahlergebnisse, Parteien, Politiker, Gesetze, Hilfsprogramme und Koalitionsverhandlungen. Die zweite und letztlich entscheidendere Ebene ist die der politischen Willensbildung. Da geht es nicht um „harte“ Entscheidungen wie die Höhe der Einspeisevergütung oder die Verteilung der Ressorts in einer Koalition, sondern um scheinbar „weiche“ aber langfristig wirkungsmächtigere Dinge. Um Begriffe wie „Kopfpauschale“ oder „Herdprämie“ zum Beispiel, mit denen politische Projekte diskreditiert und gesellschaftliche Vorstellungen von richtig und falsch oder gut und böse geprägt werden.
Das Grundgesetz fordert die Parteien ausdrücklich auf, an der politischen Willensbildung des Volkes teilzuhaben. Die FDP und auch die Unionsparteien ignorieren das seit Jahren weitgehend. Der politische Liberalismus hat keine Überzeugungsarbeit geleistet. Der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer bringt es auf den Punkt: „Wir standen für Lobbyismus statt für Liberalität, für Freibetrag statt Freiheit, für Klientel statt klare Kante.“ Die Folge ist, dass Freiheit einer wachsenden Zahl von Deutschen kein politischer Wert mehr zu sein scheint, für den man sich einsetzen muss.
Wie es anders geht, haben die Grünen vorgemacht: Ihre zentralen Überzeugungen – Umweltschutz, Multikulturalismus, Homosexuellenrechte, „Atomkraft Nein Danke“ und ein generelles Misstrauen gegen Unternehmertum – sind auf dem Weg über die Universitäten und Medien zum politischen Mainstream geworden. Warum bezeichneten sich 1991 nur 23 Prozent der Deutschen als „links“ und 2011 schon 37 Prozent? Warum muss man sich an Universitäten und in vielen Redaktionen als Außenseiter fühlen, wenn man liberale oder gar konservative Ansichten vertritt? Auch weil die FDP und die Unionsparteien das Feld der politischen Willensbildung den politischen Gegnern überließen.
Die Personalprobleme der SPD und das unerwartet schwache Wahlergebnis der Grünen sind Phänomene an der Oberfläche des politischen Geschehens, über die man nicht die tieferen gesellschaftspolitischen Entwicklungen übersehen darf: Antiliberale, sozialdemokratische Vorstellungen von „Solidarität“, der Glaube an die Pflicht des Staates, sich um das Glück seiner Bürger zu kümmern, haben Konjunktur. „Gerechtigkeit“, nicht „Freiheit“, ist das Versprechen der im neuen Bundestag vertretenen Parteien – inklusive Merkels Union.
Die WirtschaftsWoche hat in ihrer Geschichte immer konsequent für die Freiheit Position bezogen. „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“. Dieses Motto des großen athenischen Staatsmannes Perikles schmückt als Endlosschleife den Fußboden unserer Redaktionsräume.
Wir sind überzeugt, dass die Wahlniederlage der FDP nicht das Ende des politischen Liberalismus bedeuten darf. Die WirtschaftsWoche will darum an dieser Stelle der Freiheit ein Forum geben. Wir werden hier Beiträge unserer Redakteure ebenso veröffentlichen wie solche von Gästen. Wir freuen uns, wenn Sie als mündige, freie Bürger auf unserem Online-Forum öffentlich das Wort ergreifen. Was bedeutet heute Freiheit? Wo ist sie durch den Staat gefährdet? Und wie sollte eine liberale Partei aussehen? Schreiben Sie uns unter www.wiwo.de/forumderfreiheit