Forum der Freiheit Vom Wert der Freiheit im geteilten Deutschland

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Recht auf Freiheit

Im geteilten Deutschland entschied sich der Kampf der gegensätzlichen Systeme. Quelle: dpa

Die Bundesrepublik verstand sich von Beginn an als liberale Demokratie mit sozialstaatlichem Einschlag. Die Freiheit des Einzelnen sollten die im Grundgesetz niedergeschriebenen Individualrechte garantieren. Der ausdrückliche Einbezug von Interessengruppen in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess kann als institutionelle Garantie des Pluralismus verstanden werden. Gewaltenteilung und föderaler Aufbau des Staates sollten eine Konzentration der Macht unterbinden. Aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise und der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik resultierte das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Einem neo- bzw. ordoliberalem Verständnis entsprechend setzte der Staat einen Ordnungsrahmen, um den freien Wettbewerb der Wirtschaftssubjekte zu ermöglichen, und etablierte einen Sozialstaat, der die Auswüchse einer entfesselten Marktwirtschaft bändigen sollte. Es handelt sich gleichsam um einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Der Sozialstaat als System umfassender Bestimmungen und Strukturen bildete zusammen mit der Gewaltenteilung, der repräsentativen Konkurrenzdemokratie, des Pluralismus sowie der kapitalistischen Marktökonomie die Grundlage für eine moderne westliche Gesellschaft. Durch seine Umverteilungsfunktion schränkt(e) der Sozialstaat zwar die wirtschaftliche Freiheit und damit die Marktergebnisse ein, sichert(e) aber die soziale und politische Stabilität des Gemeinwesens. Wird er jedoch zu stark ausgeweitet, gefährdet er nicht nur seine eigenen materiellen Grundlagen, indem er die Wirtschaftskräfte, von denen er abhängt, schwächt, sondern entmündigt auch die von seinen Leistungen abhängigen Menschen.

Nach Überwindung der kulturellen und mentalen Nachwirkungen des Nationalsozialismus entwickelte sich ab Anfang der 1960er Jahre eine Gesellschaft, die sich den Werten von Freiheit und sozialem Ausgleich verpflichtet fühlte. Schon vor der Jugendrevolte der späten 1960er Jahre setzte sich das Bildungsziel des „kritischen Bürgers“ durch. Warum gerade zu dem Zeitpunkt, als (nicht nur in der Bundesrepublik) Freiheit, Demokratie und Wohlstand für die modernen westlichen Gesellschaften prägend wurden, große Teile der Jugend gegen dieses freiheitlichste System, das je auf deutschem Boden existierte, rebellierten, ist im Nachhinein vielen Akteuren nicht mehr einsichtig und für viele Nachgeborene kaum verständlich.

Angesichts der diametralen Folgen von Überfluss und Mangelwirtschaft entwickelte sich das Verhältnis der Menschen in und zwischen den beiden Deutschlands nicht zueinander und miteinander, sondern auseinander. Soziales Verhalten zur Kompensation alltäglichen Mangels war in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren nicht mehr nötig. Soziale Netzwerke und nachbarschaftliche Beziehungen entstanden über gemeinsame Interessen und Aktivitäten und kaum – wie in der DDR bis zu ihrem Ende – über informelle Tausch- und nachbarschaftliche Arbeitsbeziehungen und gemeinsame Betriebszugehörigkeit.

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