Fragen und Antworten NetzDG – das umstrittene Gesetz

Die Kritik gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wird lauter. Quelle: dpa

Eigentlich sollte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz für weniger Hass im Netz sorgen. Doch stattdessen wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt, bemängeln immer mehr Kritiker. Eine Lösung: „Das Gesetz wieder abschaffen.“

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Erst der Tweet von AfD-Politikerin Beatrix von Storch, dann die Kurznachricht des Satiremagazins Titanic: Wenn dieser Tage über Twitter gesprochen wird, dann geht es zumeist um gelöschte Kommentare und gesperrte Accounts. Für Unverständnis sorgte, dass Twitter einen satirischen Tweet des Magazins Titanic gelöscht hat. Juristen, Oppositionspolitiker und Netzaktivisten bemängeln, dass der Kurznachrichtendienst den Tweet auch wegen des neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes entfernt hat. Was es damit auf sich hat und was Experten bemängeln – das Handelsblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz?

Für Online-Netzwerke mit mehr als zwei Millionen deutschen Nutzern gelten nun strengere Regeln: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, ist zu Jahresbeginn voll in Kraft getreten. Facebook, Twitter und Co. müssen dem NetzDG zufolge „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ nach einem Hinweis innerhalb von 24 Stunden löschen. Bei weniger eindeutigen Posts haben die Plattformen immerhin eine Woche Zeit. Bei systematischen Verstößen drohen den Plattformen Strafen von bis zu 50 Millionen Euro.

Die Große Koalition hatte das Gesetz im vergangenen Sommer beschlossen. Das Ziel: rechtswidrige Einträge mit Hass und Hetze schneller aus dem Internet zu entfernen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), einer der zentralen Befürworter des NetzDG, sagte damals: „Wir beenden damit das digitale Faustrecht im Netz.“ Die Vergangenheit habe gezeigt, so Maas, dass die großen Plattformen ihre Verpflichtungen ohne Druck nicht erfüllen würden. Bevor das NetzDG in Kraft getreten ist, nutzen die Plattformen ihre eigenen Gemeinschaftsrichtlinien, um rechtswidrige Inhalte zu löschen. Das neue Verfahren kommt nun parallel dazu.

Was bemängeln Kritiker an dem NetzDG?

Die Regelung war schon während des Gesetzgebungsprozesses stark umstritten. Durch den gelöschten Titanic-Tweet sehen sich die Kritiker nun bestätigt. „Die Unternehmen wollen die hohen Millionen-Strafen vermeiden“, sagt Rechtsanwalt Christian Stahl. „Deshalb löschen sie aus wirtschaftlichen Gründen vorsichtshalber einfach alles was für sie gefährlich werden könnte – unabhängig davon, ob es strafbar oder rechtswidrig ist.“ Und das würde die Meinungsfreiheit der Nutzer „ganz eindeutig“ einschränken. Am Ende führe das sogar zu einer Selbstzensur, befürchtet der Jurist. Nutzer würden länger überlegen, ob sie Inhalte überhaupt noch posten würden. „Das Gesetz ist absurd und entbehrt jeder Begründung“, sagt Stahl. Er ist Inhaber der Regensburger Kanzlei Repgow und beschäftigt sich seit Jahren mit der Rechtsprechung im Bereich sozialer Medien. Der 44-Jährige plant, die Bundesrepublik wegen der Inhaltslöschung durch das NetzDG zu verklagen. Auch die AfD kündigte an, eine Klage gegen das Gesetz zu prüfen. Das hatte FDP-Chef Christian Lindner bereits im vergangenen Jahr getan.


„Das einzig sinnvolle ist es, das Gesetz wieder abzuschaffen.“

„Die Intention des Gesetzes war eigentlich eine gute Idee: die Macht von Facebook und Co. zu beschränken“, sagt Markus Beckedahl, netzpolitischer Aktivist und Chefredakteur des von ihm gegründeten Blogs netzpolitik.org. Allerdings sei durch die Ausarbeitung das genaue Gegenteil erreicht worden: „Nun prüfen private Unternehmen, ob ein Kommentar rechtswidrig ist“, bemängelt Beckedahl. „Und das ist eigentlich eine hoheitliche Aufgabe des Staates.“

Wer die Inhalte löscht und welche Qualifikation die Person hat, ist für die Nutzer der Plattformen kaum nachvollziehbar. Denn das liegt in der Hand der kommerziellen Anbieter. Schon unter Juristen ist umstritten, wann ein Kommentar rechtswidrig ist – Laien sind damit schnell überfordert. Und Twitter habe erst gar nicht genügend Mitarbeiter, um kritische Kommentare zu prüfen, sagt Netzaktivist Beckedahl. Stattdessen würde ein „durchgeknallter Algorithmus“ entscheiden, was rechtens und was gesetzeswidrig sei. „Das Gesetz ist eine Ohnmachtserklärung der Regierung.“

 Wie könnte das Gesetz verbessert werden?

Für Rechtsanwalt Stahl ist das NetzDG nicht mehr zu retten: „Das einzig sinnvolle ist es, das Gesetz wieder abzuschaffen.“ Er fordert stattdessen mehr rechtsstaatliche Kontrolle. „Der Gesetzgeber sollte Mechanismen einführen, bei denen ein Richter über die Löschung von Inhalten entscheidet“, sagt Stahl. Netzaktivist Beckedahl fordert ebenfalls, dass der Staat stärker durchgreift. Es reiche nicht, wenn Nachrichten nur gelöscht werden. „Nutzer müssen gerichtlich verfolgt werden. Erst das hätte einen Abschreckungseffekt.“

Wie funktioniert das neue Meldeverfahren?

Twitter und Facebook haben entsprechende Formulare bereitgestellt. Der Nutzer muss allerdings aus 21 Strafbeständen – von Bedrohung bis landesverräterischer Fälschung“ – auswählen. „Der Nutzer wird mit einem hochkomplexen Meldesystem alleingelassen“, kritisiert Beckedahl. Selbst Facebook rät seinen Nutzern dazu, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Im letzten Schritt müssen Nutzer ihren „guten Glauben“ versichern und digital unterschreiben. Was dann passiert ist unklar und sorgt für Kritik.

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