Fraktionswahlen Kanzler – oder nichts

Olaf Scholz und Armin Laschet überlassen anderen den Spitzenplatz ihrer Fraktionen. Für sie gilt: Kanzler – oder nichts. Quelle: dpa

Olaf Scholz und Armin Laschet überlassen anderen den Spitzenplatz ihrer Fraktionen, beide setzen voll auf das Kanzleramt. Mit einem Unterschied: Scholz kann verzichten, Laschet muss verzichten.

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Wenn Rolf Mützenich am Wahlsonntag noch Sorgen hatte, dass der siegreiche Kanzlerkandidat der SPD ihn zunächst vom Chefsessel der Bundestagsfraktion vertreiben würde, so konnte er schnell beruhigt sein. Die SPD habe einen „prima Fraktionsvorsitzenden“ sagte Olaf Scholz noch am Abend und gab damit die Richtung vor.

Wenn am Mittwoch die um 53 auf 206 sozialdemokratische Abgeordnete gewachsene Bundestagsfraktion zusammentritt, kann Mützenich sicher sein, bei den Wahlen in seinem Amt bestätigt zu werden. Der vom linken Flügel der SPD kommende Außenpolitiker hatte seinen Wahlkreis in Köln direkt gewonnen und kehrt gestärkt nach Berlin zurück. Mützenich war nach dem plötzlichen Rückzug von Andrea Nahles erst als eine Art Verlegenheitslösung eingesprungen, hat sich aber den Respekt der Genossen im Bundestag gesichert.

Mützenich wird bestätigt

Dass Scholz ihm jetzt den Vortritt lässt, zeugt weniger von Großzügigkeit als von einer gewachsenen Sicherheit. Scholz setzt mit vollem Risiko ganz auf das Kanzleramt. Sollte Laschet es doch noch mit einer Jamaikakoalition ins Kanzleramt schaffen und die SPD in die Opposition drängen, wäre Scholz nur noch ein einfacher Abgeordneter, denn im Gegensatz zu Laschet ist er nicht der Vorsitzende seiner Partei. Vor diesem Hintergrund hätte es jeder verstanden, wenn Scholz am Mittwoch sicherheitshalber erst einmal Fraktionschef würde – um dann im Fall der Fälle immerhin der Oppositionsführer zu sein. Doch solche Erwägungen lässt der Hamburger nicht gelten. Für ihn gilt: Kanzler oder nichts.

Das trifft allerdings auch auf Armin Laschet zu. Wenn er es nicht schafft, FDP und Grüne zu einem Regierungsbündnis zusammenzuführen, endet seine politische Karriere als einfacher Abgeordneter im Bundestag. Den Rückweg in die Staatskanzlei nach Düsseldorf hat sich der NRW-Ministerpräsident durch sein Versprechen „mein Platz ist in Berlin“ selbst verbaut.

Katerstimmung in den CDU-Gremien

Dort allerdings dürfte es schnell ungemütlich für ihn werden, falls FDP-Chef Christian Lindner auf eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen umschaltet und die Union nach 16 Jahren Macht mit Merkel in die Opposition muss. Die naheliegende Frage, ob er die Jamaika-Sondierungen nicht als Parteichef und Fraktionsvorsitzender führen soll, hat Laschet für sich mit „nein“ beantwortet. Nicht dass er nicht will – er kann es nicht.

Die Stimmung in CDU und CSU ist so mies, dass er froh sein kann, von den eigenen Leuten im Präsidium und Vorstand nicht zum Rücktritt gedrängt zu werden. Bereits die Debatte in den Gremien zu Wochenbeginn zeigte Laschet den Ernst der Lage. Seine Gegner wie der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, forderten eine „schonungslose Aufarbeitung“ der Niederlage und warnten mit Blick auf die notwendigen Kompromisse gegenüber FDP und Grünen davor, das „inhaltliche Tafelsilber“ der Union zu verscherbeln. Christian Baldauf, CDU-Chef in Rheinland-Pfalz, forderte vor den Sondierungen bereits die Festlegung „roter Linien“, womit er den Spielraum von Laschet gefährlich einengen würde.



Tiefpunkt für die CDU im Osten

Vor allem aber im Osten, wo die CDU auf die hinteren Plätze zurückgefallen ist und in Sachsen und Thüringen die AfD stärkste Partei wurde, ist die Katerstimmung groß. Zumal befürchtet wird, dass Laschet einen früheren Kohleaussteig den Grünen als Lockangebot unterbreiten wird – was vor allem die ostdeutschen Tagebaue hart treffen würde.

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Laschet kann deshalb mangels Rückhalt nicht riskieren, bei der konstituierenden Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an diesem Dienstag für den Vorsitz zu kandidieren – er würde die Mehrheit verfehlen und seine Konkurrenten wie Norbert Röttgen und Friedrich Merz quasi zwingen, gegen ihn anzutreten. Also versucht er den derzeitigen Fraktionschef Ralf Brinkhaus, dazu zu bringen, erst einmal kommissarisch weiterzumachen und die eigentlich fällige Wahl zum Fraktionsvorsitz zu verschieben. Brinkhaus hat das Ansinnen bislang zurückgewiesen – er will eindeutig eine Wahl erzwingen und nicht Gefahr laufen, als kommissarischer Chef später möglicherweise einem Jens Spahn weichen zu müssen. Für sich selbst, das weiß Laschet, ist der Zug bereits abgefahren. Er wird Kanzler – oder nichts.

Mehr zum Thema: Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft vom Wahlabend: Deutschlands Herausforderungen sind zu umfangreich, als dass man sie einem neuen Kanzler allein anvertrauen könnte. Jede Dreierkonstellation im Bund wird eine komplizierte Aufgabe lösen müssen: souverän gönnen können.

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