




WirtschaftsWoche: Herr Weise, die Arbeitslosenzahl ist in den ersten Monaten 2015 weiter gesunken, die Zahl der Erwerbstätigen steigt und steigt. Wie lange hält der Jobaufschwung noch an?
Frank-Jürgen Weise: Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht. 2015 dürfte die Zahl der Arbeitslosen noch stärker zurückgehen als erwartet, auf im Schnitt 2,8 Millionen. Statt 20.000 weniger Menschen ohne Job werden es im Jahresdurchschnitt gut 100.000 weniger sein. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten könnte um 540.000 steigen – und mit 30,74 Millionen ein Allzeithoch erreichen. Wir erleben einen sich selbst verstärkenden Prozess: Arbeit schafft Arbeit.
Ist damit auch der Trend gebrochen, dass Unternehmen lieber befristet einstellen?
Noch nicht. Aber die Entscheidung der Arbeitgeber, Verträge zu entfristen, fällt mittlerweile schneller – oft schon nach wenigen Monaten. Weil die Unternehmen sehen, dass gute Leute sonst von sich aus kündigen und woanders hingehen.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat jüngst eine Studie präsentiert, wonach rund 39 Prozent der Arbeitnehmer nur einen Leiharbeits-,Teilzeit- oder Minijob haben. Ist der Aufschwung am Arbeitsmarkt nur schöne Fassade?
Absolut nicht! Diese flexiblen Arbeitsformen sind von vielen Menschen gewünscht. Manche wollen aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten, es gibt Menschen, die zusätzlich zu ihrer regulären Arbeit einen Minijob machen, weil sie sich etwas zusätzlich leisten wollen, es gibt Rentner, die weiter arbeiten. Das nur als „prekäre“ Beschäftigung zu bezeichnen, greift zu kurz. Arbeit ist immer besser als Arbeitslosigkeit. Wozu wir als BA beitragen können, ist, gute Berufsbiografien zu schaffen, das heißt Qualifizierung und Aufstiegsmobilität zu fördern.
Halten Sie Vollbeschäftigung in Deutschland für möglich? Dafür müsste die Arbeitslosenzahl nach gängiger Definition auf etwa eine Million sinken.
Das muss unser Ziel sein. Ich kann nicht morgens ins Büro kommen und sagen, wir sind mit 2,8 Millionen zufrieden. In einigen Regionen Süddeutschlands haben wir bereits Vollbeschäftigung. Insgesamt wird das aber ein verdammt langer Weg. Wir können nicht so tun, als gäbe es keine Probleme mehr.
Zur Person
Frank-Jürgen Weise, 63, ist seit 2004 Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg. Zuvor hatte der Betriebswirt als Manager in mehreren Unternehmen gearbeitet.
Nämlich?
Drei von vier Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, haben keinen Schulabschluss, keine Ausbildung oder sind älter als 50 Jahre. Wer Hartz IV bezieht oder im Alter arbeitslos wird, hat es leider selbst bei bester Konjunktur schwer, einen Job zu finden. Langzeitarbeitslose profitieren vom derzeitigen Beschäftigungsaufbau nur wenig. Und sie stehen in Konkurrenz zu anderen Gruppen am Arbeitsmarkt, die häufig besser qualifiziert sind, zum Beispiel wieder einsteigende Frauen oder Zuwanderer.
Viele Ökonomen warnen, der Mindestlohn werde Jobs gerade von gering Qualifizierten vernichten. Lässt sich das in Ihrer Statistik schon ablesen?
Nein. In guten Konjunkturzeiten sind solche Sorgen auch nicht gerechtfertigt. Der Stresstest für den Mindestlohn kann kommen, sobald sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Ende des Jahres wird unser Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine erste Evaluation vorlegen. Auf lange Sicht werden sicher Stellen wegfallen – regional und in bestimmten Branchen.