
1. TTIP schafft kein nennenswertes Wachstum
Es gibt Dutzende von Prognosen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen eines transatlantischen Freihandelsabkommens. Das Problem: Sie kommen zu den unterschiedlichsten Ergebnissen. Optimisten, wie das ifo Institut, hoffen auf einen Zuwachs des realen Pro-Kopf-Einkommens von rund 4,7 Prozent in Deutschland in den nächsten zehn bis 15 Jahren. Bis zu 110.000 neue Jobs könnten entstehen.
Pessimisten, wie das Londoner Centre for Economic Policy Research, sehen nicht einmal einen BIP-Zuwachs in Europa von 0,5 Prozent bis 2027. Foodwatch-Gründer Thilo Bode glaubt den Zweiflern und sagt: „Die erwarteten Vorteile sind mickrig.“
Die Freihandelsabkommen
Ceta ist die Abkürzung für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Die technischen Verhandlungen begannen 2009, beendet wurden sie 2014. Am 27. Oktober soll Ceta unterzeichnet werden. Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Ceta gilt auch als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), das den weltgrößten Wirtschaftsraum mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen würde. Kritiker sehen durch beide Abkommen unter anderem demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt.
TTIP ist ein sich in der Verhandlung befindendes Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA. Seit Juli 2013 verhandeln Vertreter beider Regierungen geheim – auch die nationalen Parlamente der EU erhalten keine detaillierten Informationen.
In dem Abkommen geht es um Marktzugänge durch den Abbau von Zöllen. Zudem sollen globale Regeln entwickelt werden – etwa zur Vereinheitlichung von Berufszugängen innerhalb der Handelszone. Auch Gesundheitsstandards und Umweltstandards sollen angeglichen werden.
Als Blaupause für das Abkommen gilt CETA.
Bekanntermaßen sind Prognosen nur Annäherungen; bessere Aussagen ermöglicht der Blick auf bestehende Freihandelsabkommen. Kritiker verweisen gerne auf NAFTA, das Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, das 1994 in Kraft trat. Laut einer Studie im Auftrag der Links-Fraktion im Europäischen Parlament habe NAFTA in Mexiko das Auseinanderdriften der Einkommen verstärkt; in den USA seien 845.000 Arbeitsplätze verloren gegangen aufgrund der Importe aus Kanada und Mexiko. Allerdings ist hier zu beachten, dass Mexiko und die USA 1994 unterschiedlich weit entwickelte Volkswirtschaften waren – im Gegensatz zu Europa und den USA: Beide Seiten sind schon jetzt eng verflochten und hoch entwickelt.
Lohnenswerter ist der Blick auf das Abkommen zwischen der EU und Südkorea. Seit gut vier Jahren sind Zölle und Handelsbarrieren zwischen den beiden Seiten größtenteils Geschichte. Die Exporte aus der EU nach Südkorea sind seitdem um 35 Prozent gestiegen, der Anteil der europäischen Produkte an den südkoreanischen Importen hat sich von neun auf elf Prozent erhöht. Vor allem Deutschland profitiert. Auf südkoreanischer Seite zählt vor allem der Autokonzern Hyundai zu den Gewinnern.
Importzoll-Wirrwarr zwischen Europa und den USA
Der Zustand teilweise widersprüchlicher Vorschriften in der EU und den USA führt dazu, dass sowohl europäische als auch amerikanische Hersteller ihre Fahrzeuge an den jeweiligen anderen Markt anpassen müssen. Auch bei den Import-Zollsätzen gibt es verwirrende Unterschiede.
So beträgt der Einfuhrzoll bei in den USA PKWs 2,5 Prozent, in der EU satte 10,0 Prozent. Auch SUVs und Pick-Ups können in der EU zum PKW-Satz verzollt werden können, wenn sie in erster Linie der Personenbeförderung dienen, was wiederum vom Verhältnis der Ladefläche zur Fahrerkabine abhängig ist. In den USA gelten Pick-Ups als Nutzfahrzeuge und so wird beim Import in die USA der Einfuhrzoll von Nutzfahrzeugen fällig: 25 Prozent.
Für die in den USA beliebten "Light Trucks (leichte Nutzfahrzeuge) und Pick-Ups" wird ein US-Einfuhrzoll in Höhe von 25 Prozent erhoben, um die heimischen Autobauer zu schützen. Für "Sport Utility Vehicles" (SUVs) hingegen gilt der Pkw-Zoll: 2,5 Prozent. Der Import in die EU ist für US-Autobauer günstiger: Pick-Ups können mit dem PKW-Satz importiert werden, wenn sie in erster Linie der Personenbeförderung dienen. Dann werden also zehn Prozent fällig.
Auch bei größeren Nutzfahrzeugen wird ein einheitlicher US-Einfuhrzoll in Höhe von 25 Prozent erhoben, während er in der EU 22 Prozent beträgt.
Busse werden sowohl in den USA, als auch der EU mit einem separaten Satz verzollt, der in beiden Fällen unter dem von Nutzfahrzeugen liegt: 16 Prozent in der EU und nur zwei Prozent in den USA.
Der Einfuhrzoll für Fahrzeugteile schwankt in der EU zwischen zwei und fünf Prozent, in den USA zwischen null und 2,5 Prozent.
2. Die Verhandlungen sind intransparent
„Warum muss über TTIP geheim verhandelt werden?“, fragt Bode in seinem Buch – und wiederholt damit die bekannten Vorwürfe, dass weder das Europäische Parlament (EP) noch die Parlamente oder Bürger in den Mitgliedsländern über den Stand der TTIP-Verhandlungen informiert seien.
Tatsächlich aber ist die Mehrheit der Verhandlungsunterlagen öffentlich zugänglich. Bürger können im Internet die Ziele der EU nachlesen, Positionspapiere studieren und auch das komplette Freihandelsabkommen mit Kanada einsehen, das mehr als 1600 Seiten umfasst und als eine Art Blaupause für die TTIP-Verhandlungen dient. Das Europäische Parlament wird regelmäßig von der EU-Kommission unterrichtet, die Nationalstaaten ebenfalls. Von einem „geheimen Deal“ zu sprechen, wie es Bode tut, ist übertrieben und unseriös.

Es gibt eine Reihe von Dokumenten, die sogenannten konsolidierten Texte, die vertraulich sind. Nur ein kleiner Kreis von Parlamentariern darf diese Dokumente einsehen. In den Unterlagen findet sich der aktuellen Verhandlungsstand: die Ziele beider Seiten, Kompromissvorschläge, Anmerkungen. Dass diese Informationen nicht publik werden, hat gute Gründe.
Die Gründe für die Geheimhaltung
„Wir wollen nicht, dass unsere Position geschwächt wird“, heißt es aus Kommissionskreisen. Verhandlungen sind immer auch eine Suche nach Kompromissen. Es sei möglich, dass einzelne Mitgliedsländer, Branchen oder europäische Unternehmen nur geringe Vor- oder gar Nachteile aus den Gesprächen fürchten und die „Verhandlungen vorab torpedieren“. Dies müsse – um der Mehrheit der Mitgliedsländer gerecht zu werden – verhindert werden. Diese Intransparenz dient also dazu, das Allgemeinwohl vor Partikularinteressen zu schützen.
Hinzu kommt: Ein späterer Vertragsentwurf wird ohnehin öffentlich diskutiert: in den Parlamenten, den Medien und im Dialog der Abgeordneten mit den Bürgern.
Was ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA bringt
Die Zölle zwischen den USA und den EU sind bereits niedrig. Sie liegen im Schnitt zwischen fünf und sieben Prozent, sagt der deutsche Außenhandelsverband BGA. Da jedoch jährlich Waren im Wert von mehr als einer halben Billion Euro über den Atlantik hin- und herbewegt werden, kann die Wirtschaft Milliarden sparen. Europäische Chemieunternehmen haben 2010 für Exporte in die Vereinigten Staaten fast 700 Millionen Euro in die US-Staatskasse gezahlt. Umgekehrt führten die USA gut eine Milliarde Euro nach Brüssel ab. Wirtschaftsverbände erwarten durch den Fall der Zollschranken weniger Bürokratie für mittelständische Unternehmen und mehr Geld für Investitionen, etwa in Forschung und Entwicklung.
Die deutsche Wirtschaft verspricht sich Impulse in Milliardenhöhe. "Das Freihandelsabkommen könnte unsere Exporte in die Vereinigten Staaten um jährlich drei bis fünf Milliarden Euro erhöhen", sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland (AmCham) rechnet mit einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 1,5 Prozent. Viele Unternehmen hoffen zudem darauf, einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA zu bekommen.
Fast unlösbar scheinen die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den USA und der EU in Fragen der Landwirtschaft. "Für die Amerikaner sind Hormonfleisch und Genmais kein Problem, für Europäer ist das dagegen ein 'No-Go'", sagt der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Da kann man sich auch nicht in der Mitte treffen." Die Handelskammer AmCham empfiehlt daher, dass Thema außen vor zu lassen. "Das Thema Agrar würde die Gespräche nur belasten", sagt AmCham-Ehren-Präsident Fred Irwin. "Deshalb wäre es gut, das beiseite zu schieben."
Bei der Angleichung technischer Standards. "Das fängt bei der Länge der Stoßstangen an und hört beim Krümmungswinkel des Rückspiegels auf", sagt BGA-Experte Nagel. "Hier gibt es seit Jahrzehnten unterschiedliche Standards, die sich nicht in wenigen Jahren angleichen lassen." Die Chemieindustrie fordert, vor allem Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz stärker aufeinander abzustimmen.
Die deutschen Exporteure warnen davor, aus dem Freihandelsabkommen eine Art Wirtschafts-Nato zulasten anderer Handelspartner zu schmieden. "Uns stört das Gerede um eine Wirtschafts-Nato", sagte der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Ein Freihandelsabkommen ist nicht dazu da, sich gegen Dritte abzuschotten nach dem Motto 'Jetzt verbünden wir uns gegen die bösen Chinesen'." In der Politik wird das zum Teil genau andersherum gesehen. "Es bleibt nur noch wenig Zeit, gemeinsam mit den USA Standards zu prägen, bevor Wachstumsmärkte wie China und Indien den Takt angeben", sagte der Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrats, Thomas Raabe.
Sie können Produkte billiger einkaufen, verspricht beispielsweise der Verband der Automobilindustrie (VDA). "Das würde auch die Kosten eines Autos für den Verbraucher senken", sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Auch andere Branchen können mit einer Kostensenkung rechnen. Ob sie den Vorteil an ihre Kunden weitergeben oder den eigenen Gewinn damit steigern, bleibt ihnen überlassen. Produkte können außerdem schneller erhältlich sein, wenn sie einheitlich zugelassen werden - etwa wenn die US-Aufsicht FDA ein neues Medikament freigibt, das damit automatischen die Zulassung in den EU erhält. (Quelle: Reuters)
3. Der Widerstand gegen das TTIP-Abkommen ist groß
Mehr als eine Million Europäer haben ihre Unterschrift gegen das Freihandelsabkommen abgegeben. „Der Widerstand wächst, die Menschen sind misstrauisch geworden“, schreibt Bode. Fakt aber ist: Die TTIP-Gegner sind eine lautstarke Minderheit. Laut dem neuesten Eurobarometer der EU-Kommission haben die Gegner in Deutschland nur knapp die Oberhand (41 zu 39 Prozent). Europaweit liegen dagegen die TTIP-Befürworter deutlich vorn. 58 Prozent aller EU-Bürger sind für ein Freihandelsabkommen mit den USA, nur jeder Vierte ist dagegen. Besonders TTIP-euphorisch sind die Niederländer. 74 Prozent begrüßen die Verhandlungen.





4. Vom Freihandelsabkommen profitieren nur Großkonzerne
Das TTIP-Abkommen „dient nicht der Mehrheit der Unternehmen – sondern fast ausschließlich den großen, weltweit agierenden globalen Konzernen“, kritisiert Bode. Das sehen Mittelständler in Deutschland durchaus anders. Etwa die Firma Alfred H. Schütte in Köln. Das Unternehmen beschäftigt rund 600 Mitarbeiter am Hauptstandort und produziert unter anderem Mehrspindel-Drehautomaten, die auch in die USA verkauft werden. Unterschiedliche Standards erschweren das Geschäft.
Durch den Wegfall der Beschränkungen – im Zuge eines TTIP-Abkommens – könnte das Unternehmen nach eigener Aussage die Kosten um bis zu 15 Prozent reduzieren. Generell gilt: Kleine und mittelständische Unternehmen leiden besonders an starren Auflagen, unterschiedlichen Produkttests und einem Wust an Gesetzesvorgaben, da sie – anders als die großen Konzerne – nicht das Geld haben, um entsprechende Juristen und Gutachter im Ausland für ihren Rat zu bezahlen. Der Abbau von Regeln und Beschränkungen schafft insbesondere für sie neue Chancen.
Misstrauen gegen die EU
5. Die Nationalstaaten werden von der EU übergangen
Bürgerfern und antidemokratisch: Weil es die EU-Kommission ist, die die Verhandlungen führt, kritisieren TTIP-Gegner, Europa entscheide einmal mehr über das Wohl und Wehe der Mitgliedsländer und ihrer Bürger. Werden Deutschland, Griechenland und Co. also von Brüssel übergangen?
Nein. Die EU-Kommission verhandelt das Freihandelsabkommen im Namen und im Auftrag aller 28 Mitgliedstaaten. Sie ist dabei an das Mandat gebunden, das ihr die EU-Länder im Juni 2013 einstimmig erteilt haben. Die Kommission berichtet ständig dem Europäischen Rat und nimmt Kritik entgegen. Und: Sollten die TTIP-Verhandlungen erfolgreich sein und es zu einem Vertragsentwurf kommen, muss das Europäische Parlament dem zustimmen – und höchstwahrscheinlich auch jedes der 28 nationalen Parlamente, da das Abkommen über reine Handelsfragen hinausgeht und in die Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreift.
Runde 3: Brauchen wir TTIP?
6. Unsere Lebensmittel werden schlechter
Ein Ziel des Abkommens mit den USA ist es, den Handel zu vereinfachen und den Warenaustausch zu verstärken. Das gilt prinzipiell auch für den Lebensmittelbereich. Bode und die TTIP-Kritiker schüren die Angst vor einer Marktöffnung; sie könne zu einem „Waterloo für die Verbraucher“ werden. Wird sie aber nicht.
Die EU-Kommission betont, dass sie von ihren Standards nicht abrücken wird. Weder hat sie das Mandat dazu noch den Willen. „Hormonbehandeltes Fleisch etwa bleibt in Europa verboten. Da werden wir uns nicht mit den USA auf gemeinsame Standards einigen“, unterstrich die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in kleiner Runde in Brüssel.
Streitpunkte beim TTIP
US-amerikanische Fleischhersteller legen geschlachtete Hühnchen und viele andere Schlacht-Tiere für ein bis drei Stunden in chlorhaltige Desinfektionsbäder oder besprühen sie mit hochdosierter Chlor-Lösung. Das finden die meisten Europäer widerlich. Und so avancierten die „Chlorhühnchen“ und ihr möglicher Import zum Inbegriff aller Übel, die Verbrauchern durch die TTIP-Verhandlungen drohen könnten. Dieses transatlantische Abkommen soll den freien Handel zwischen den USA und Europa erleichtern. Tatsächlich ist eine solche Chlorbehandlung für Fleisch in Europa bisher nicht zulässig. Die Sorge: Durch die Behandlung könnten gesundheitsschädliche Chlorverbindungen entstehen.
Tipp für den Haushalt: Weil bei nicht entkeimtem Geflügel die Möglichkeit einer Salmonellen-Infektion besteht, sollte das Fleisch gut durchgebraten werden. Messer und Brettchen, die mit dem rohen Fleisch in Kontakt kamen, gut abwaschen und keinesfalls für andere Lebensmittel wie die Zutaten für den Salat benutzen. Hände waschen!
Auch Salat, Gemüse und Obst darf in den USA mit Chlorwasser behandelt werden. In Europa ist das – wie auch das schwache Chloren des Trinkwassers – nicht generell verboten. Der gezielte Einsatz von Chlor zur Desinfizierung von Obst und Gemüse muss in der EU aber genehmigt werden, wofür jedes Land selbst zuständig ist. So verbieten Deutschland, Österreich und Dänemark das Chlorieren des Salat-Waschwassers. Belgien und Frankreich gestatten es in sehr geringen Maße. Die Dosis ist aber viel niedriger als bei der US-Chlordusche für Hühnchen.
Tipp: Gerade der fertig geschnibbelte, verzehrfertige Salat ist eine echte Keimbombe und ebenso empfindlich wie rohes Hackfleisch. Denn durch das Schneiden werden die Pflanzenzellen verletzt, so dass Zucker und andere Nährstoffe austreten – Mikororganismen leben dort wie im Paradies. Deshalb gehört Fertigsalat in den Kühlschrank und sollte nach spätestens drei Tagen gegessen sein.
Um Keime abzutöten, benutzen Hersteller vor allem von Obst, Gemüse, Gewürzen oder Meeresgetier schwach ionisierende Strahlung, was vor einigen Jahren für heftige Diskussionen sorgte. In USA werden zudem auch Fleischprodukte wie das Hackfleisch für Hamburger so behandelt. Das Bestrahlen ist aber auch in einigen europäischen Ländern gestattet, zum Beispiel in Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Tschechien, Polen und in Großbritannien. In Deutschland ist diese Methode nur für getrocknete aromatische Kräuter und Gewürze erlaubt. Allerdings dürfen bestrahlte Erdbeeren, Pilze oder Zwiebeln aus anderen Ländern auch in Deutschland angeboten werden, müssen aber gekennzeichnet sein. Selbst eine Tiefkühlpizza, die mit bestrahltem Pfeffer gewürzt ist, muss auf der Zutatenliste den Hinweis „bestrahlt“ oder „mit ionisierenden Strahlen behandelt“ tragen. Auch in Restaurants oder Kantinen müssen die Kunden durch Aushang oder Hinweise auf der Speisekarte darüber informiert werden – jedenfalls lautet so die Gesetzgebung.
Moderne Molkereibetriebe haben heute sehr strenge Wareneingangskontrollen. Hier wird geprüft, ob die Rohmilch mit Keimen oder Medikamentenrückständen belastet ist. Früher war es dagegen durchaus möglich, die Milchchargen, die zum Beispiel durch die Milch von Kühen mit eitriger Euterentzündung nicht für die Frischmilch taugten, zu H-Milch zu verarbeiten. Das entsprechende Behandlungsverfahren – das sogenannte Ultrahocherhitzen – macht jeglichen Keimen den Gar aus, so dass keine Gesundheitsgefahr bestand. Appetitlich war das trotzdem nicht.
In den USA sind Hormone als Wachstumsbeschleuniger zugelassen. In Europa ist das verboten und der Import von solchem Fleisch nicht erlaubt.
In den USA werden große Mengen gentechnisch veränderten Sojas, Mais und Raps und hergestellt und ohne Kennzeichnung verkauft. In Europa ist eine Kennzeichnung vorgeschrieben, wenn der Anteil des gentechnisch veränderten Organismus (GVO) über 0,9 Prozent liegt.
Während es in Europa ganz selbstverständlich ist, aus unbehandelter Milch leckere Käsesorten wie Camembert, Brie, Roquefort oder Emmentaler herzustellen, graut es hier – wegen der möglichen Keimbelastung – die amerikanischen Verbraucher. Deshalb müssen alle aus Europa in die USA exportierten Weichkäse aus pasteurisierter Milch hergestellt werden. Zuletzt erklärte die US-Gesundheitsbehörde FDA im vorigen Jahr auch den aus Nordfrankreich stammenden orangefarbenen Hartkäse Mimolette für ungenießbar: Besonders ekelhaft fanden die FDA-Prüfer die Rinde des Käses. Sie wird zwar nicht mit gegessen, aber auf ihr leben mikroskopisch kleine Milben. Sie verhelfen dem Käse zu seinem leicht nussigen Aroma.
In den USA werden inzwischen Hochleistungsrinder von Züchtern mit der selben Methode geklont, die erstmals beim Schaf Dolly 1996 erfolgreich war. Da es sich aber um sehr wertvolle Zuchttiere handelt, kommt deren Fleisch selbst in Amerika allerdings in der Regel nicht in den Handel, sondern nur die Steaks ihrer traditionell gezüchteten Nachkommen.
Sowohl in den USA wie in Europa sind Antibiotika in der Tierzucht nicht mehr als Mastbeschleuniger erlaubt, sondern nur noch um kranke Tiere zu behandeln. Theoretisch jedenfalls. Die Kontrolle ist allerdings schwierig – und sie liegt in den Händen derselben Tierärzte, deren Geschäft es ist, den Bauern Tierarzneimittel zu verkaufen. So wurden laut Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Jahr 2011 gut 1.734 Tonnen Antibiotika von der pharmazeutischen Industrie an Veterinäre geliefert. Im Jahr 2012 bekam beispielsweise ein Masthähnchen durchschnittlich an zehn seiner 39 Lebenstage Antibiotika – und das sei nach Aussage des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren die Regel, nicht die Ausnahme. Allerdings ist die Belastung mit Antibiotika beim Fleisch in Deutschland nach Angaben des BVL rückläufig. So wurden im Jahr 2012 im Rahmen des Nationalen Rückstandskontrollplans 58.998 Proben untersucht. Davon waren 268 positiv, wurden also beanstandet. Der Prozentsatz der ermittelten positiven Rückstandsbefunde war mit 0,45 Prozent etwas niedriger als im Jahr 2011. Damals waren 0,56 Prozent und im Jahr 2010 noch 0,73 Prozent der untersuchten Planproben mit Rückständen belastet.
Wie schwer die Kontrolle von Lebensmittelgesetzen auch in Europa ist, zeigte der Lasagne-Skandal Anfang des vorigen Jahres. Damals tauchten massenweise falsch deklarierte Tiefkühlprodukte wie Lasagnen, Canneloni oder Moussaka in den Supermärkten auf. Deren Hackfleischfüllungen bestanden nicht nur aus Schwein oder Rind, sondern auch aus Pferdefleisch. Das ist zwar grundsätzlich sogar gesund, aber nicht jedermanns Sache. Weil die geschlachteten Pferde zudem keinerlei offiziellen Kontrollen unterlagen, fanden die Prüfer in diesen Tiefkühlwaren allerlei unzulässige Medikamentenrückstände.
In Deutschland werden zwar Innereien wie Leber und Niere oder die Zunge vom Rind gerne gegessen, Schweinefüße kommen hierzulande allerdings nicht auf den Tisch. Solche sogenannten Nebenprodukte von gesund geschlachteten Tieren werden aber in Länder exportiert, wo sie als Delikatesse gelten, zum Beispiel nach China. Das Problem, das Verbraucherschutz-Organisationen damit haben: Diese Nebenprodukte unterliegen nicht mehr den Lebensmittelbestimmungen, so dass es beispielsweise passieren könne, dass die Kühlkette nicht eingehalten wird.
Bei den Chlorhühnchen zeichnet sich ein Kompromiss ab: Laut Kommissionskreisen sind die USA bereit, Tiefkühlhühnchen, die für den Verkauf in Europa vorgesehen sind, nicht mehr mit Chlor zu behandeln, sondern mit Milchsäure. Die kommt im menschlichen Körper vor, kann aber auch synthetisch hergestellt werden. Milchsäure wirkt ebenfalls antibakteriell und ist in der EU zugelassen – sie wird auch bereits eingesetzt, etwa bei der Behandlung von Rindfleisch.
Wie gefährlich sind Schiedsgerichte?
7. TTIP schafft eine Paralleljustiz
Investitionsschutzabkommen sollen Unternehmen vor staatlicher Willkür, etwa vor Enteignungen, schützen. Kritiker fürchten eine Paralleljustiz zugunsten von Konzernen. Oder, wie Thilo Bode sagt: „Es droht nichts weniger als die Verrechtlichung von Konzerninteressen.“
Die Kritiker tun so, als seien Investitionsschutzabkommen eine neue Erfindung. Das sind sie nicht. Es gibt mehr als 3000 solcher Abkommen, alleine Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt 139 Investitionsschutzabkommen mit anderen Ländern geschlossen - unter anderem 1959 mit Pakistan das erste dieser Art. Ohne jegliche Probleme.
Ärger um die Schiedsgerichte
1959 unterschrieb Ludwig Erhard das erste globale Investitionsschutzabkommen der Welt – zwischen Deutschland und Pakistan. Es beruhte auf einem Entwurf von Hermann Josef Abs, dem früheren Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bis heute ist dieses Abkommen die Grundlage sämtlicher Freihandelsabkommen.
Das Abkommen sah vor, dass Investoren vor internationalen Schiedsgerichten gegen die Entscheidungen ausländischer Regierungen vorgehen konnten, sofern diese einen Enteignungscharakter hatten.
Das Abkommen war zwar bilateral – das heißt es galt für Deutschland wie für Pakistan gleichermaßen – allerdings kam damals niemand auf die Idee, dass pakistanische Investoren in Deutschland tätig werden könnten.
1994 errichteten die USA, Kanada und Mexiko die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA. Das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP und CETA. Als Streitschlichtungsmechanismus ist auch hier ein Investorenschutz eingebettet.
Mit NAFTA kamen Anwaltskanzleien und Unternehmen auf die Idee, den Investorenschutz verstärkt als Rechtsschutzmittel gegen staatliche Entscheidungen zu nutzen.
Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg 2012 entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro. Wenige Wochen vor dem Atomausstieg hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung beschlossen – im Glauben an die Gültigkeit dieses Beschlusses hatte Vattenfall in die Sanierung von mittlerweile vom Netz genommenen Atomkraftwerken investiert.
Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist kein Freihandelsabkommen, sondern die von Deutschland ratifizierte Energiecharta – darin ist aber ebenfalls eine Investitionsschutzklausel eingearbeitet, weswegen TTIP-Gegner oft auf diesen Fall verweisen.
Parallel klagt Vattenfall – wie auch RWE und Eon – vor dem Bundesgerichtshof. RWE und Eon haben als deutsche Unternehmen allerdings nicht die Chance, zweigleisig zu klagen, darin sehen TTIP-Gegner eine Benachteiligung heimischer Unternehmen gegenüber ausländischer.
2012 führte Australien rigorose Anti-Tabak-Gesetze ein. Demnach dürfen Zigarettenpackungen nur noch in einem langweiligen Grauton bedruckt und müssen mit abschreckenden Bildern versehen werden, die die negativen Folgen des Rauchens verdeutlichen.
Der Tabakkonzern Philip Morris ging im Rahmen einer Investitionsschutzklage vor einem Schiedsgericht dagegen vor und forderte mehrere Milliarden Dollar Schadensersatz. Die Begründung: Als Philipp Morris vor über 60 Jahren in Australien investierte, war nicht absehbar, dass solche Tabakgesetze den Markt zerstörten. Im Dezember 2015 wurde dieser Fall zugunsten von Australien entschieden.
Hinzu kommt: Die meisten Investitionsschutzabkommen der neuesten Generation enthalten umfassende Einschränkungen zum Schutz staatlicher Souveränität. So auch das Abkommen mit Kanada. Dort wird ausgeschlossen, dass Konzerne mögliche künftige Gewinne einklagen können. „Die Politik muss auch in Zukunft die Freiheit haben, Entscheidungen zu treffen, die etwas kosten“, fordert Bode – und wiederholt damit einen entscheidenden Passus aus dem Mandat für die EU-Kommission. Die Nationalstaaten fordern „das Recht der EU und der Mitgliedstaaten unberührt zu lassen, (…) die Maßnahmen zu ergreifen und durchzusetzen, die erforderlich sind, um legitime Gemeinwohlziele wie soziale, umwelt- und sicherheitspolitische Ziele (…) zu verfolgen“.
Vielmehr ist es also so, dass das transatlantische Freihandelsabkommen keine Paralleljustiz schafft, sondern ihr bisheriges Ausmaß einschränkt. Vattenfall etwa klagt derzeit gleich doppelt gegen den deutschen Atomausstieg - in Karlsruhe und auf Basis der Energiecharta vor einem Schiedsgericht. "Das betrachte ich als misslich", sagt Klaus Sachs, Anwalt und einer von vier deutschen Schiedsrichtern. "Im Rahmen der Freihandelsabkommen TTIP und CETA ginge das nicht: Hier ist vorgesehen, dass Staaten entweder im Land der Investition oder vor dem Schiedsgericht klagen." Und zwar unter strengen Regeln.
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Anmerkung: Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hat eine Stellungnahme zu dem Artikel veröffentlicht. Den Beitrag finden Sie hier.