Freytags-Frage
Ein Zettel

Auf welchem Kontinent liegt eigentlich Berlin?

Bis zu 31 Stunden waren Berliner letzte Woche ohne Strom, so lange dauert es nicht einmal in Afrika. Ob BER-Debakel oder Wohnungsnot – immer wieder fällt Berlin auf. Hilft der Finanzausgleich, oder macht er’s schlimmer?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ich bin derzeit auf einem Forschungsaufenthalt in Südafrika. Dort kommt es seit Jahren immer wieder zu Stromausfällen, man ist hier daran gewohnt. Es gibt ausreichend Notstromaggregate, und in den Unterkünften liegen Taschenlampen. Die Erklärung für diese Stromausfälle liegt in der unglaublich schlechten Organisation und Finanzlage des staatlichen Stromerzeugers ESKOM. Zum Teil werden sie gar bewusst initiiert, um Überlastungsproblemen der Netze zu begegnen.

Die meisten Menschen halten häufigere oder längere Stromausfälle bei uns in Deutschland für undenkbar. Sie wurden am Dienstag eines Besseren belehrt: In Berlin fiel der Strom für 30.000 Haushalte und 2000 Unternehmen aus, Krankenhäuser waren ohne Strom, Ampeln fielen aus, Straßenbahnen fuhren nicht. Schuld war ein schwerer Fehler auf einer Baustelle. In der Nacht zum Donnerstag erst war der Strom wieder überall verfügbar, die letzten Kunden waren nach 31 Stunden wieder angeschlossen. Solange dauert es in Südafrika nie.

Irgendwie empfindet man es aber dennoch nicht als verwunderlich, dass dieses Missgeschick in Berlin passiert. In Stuttgart, Düsseldorf oder Hannover würde man es nicht erwarten. Das liegt wohl daran, dass Berlin immer wieder durch kleinere oder größere Pannen auffällt, Großprojekte selten funktionieren oder die vorgetragene Haltung zu Fragen des Eigentums und dessen Schutz eher befremden.

Immerhin ist Berlin Hauptstadt und Regierungssitz des bevölkerungsreichsten und wirtschaftskräftigsten Landes der Europäischen Union. Eine Hauptstadt allerdings, deren Flughafen den Charme eines kleinstädtischen Zentralbusbahnhofs verströmt und die seit Jahren erfolglos versucht, einen neuen Airport zu bauen. Mehrere Milliarden an Steuergeld haben die Betreiber - Berlin gemeinsam mit der Regierung Brandenburgs - bislang aufgewendet, aber nicht erwirtschaftet. Die letzte Ankündigung darüber, wann dieser Flughafen in Betrieb geht, stammt aus dem November 2017; Herbst 2020 ist demnach geplant. Allerdings gibt es auch daran seit Längerem Zweifel, zumal bereits mehrmals der Einweihungstermin verschoben wurde. Dies ist sicherlich der größte Skandal, den Berlin in den letzten Jahren erlebt hat.

Aber auch in anderer Hinsicht macht Berlin negative Schlagzeilen. Angesichts der grassierenden Wohnungsnot kommen den Mitgliedern des Senats immer verwegenere Ideen, um Wohnraum bezahlbar zu machen. Bereits jetzt ist Berlin bekannt für die Einschränkung von Vermietern, denen untersagt wird, ihre Wohnungen attraktiver zu machen, zum Beispiel mit einem zweiten Bad oder einem Balkon. Das läuft in der Regel unter der Überschrift Milieuschutz, als dem Versuch, einer Luxussanierung mit dem Ziel der Gentrifizierung vorzubeugen. Diese Politik ist in der Regel wenig erfolgreich, sondern vertreibt Investoren, die eigentlich dringend benötigt würden. Sie hilft auf keinen Fall den ärmsten Mietern.

Dessen ungeachtet wird jetzt sogar von führenden Repräsentanten der Stadt angeregt, große Wohnungsbauunternehmen – wenn möglich sogar ohne Kompensationen – zu enteignen. Ob das Investoren lockt, darf bezweifelt werden. Das ist den Initiatoren egal, denn sie präferieren ohnehin eine staatliche Wohnungsgesellschaft. Wie der Staat den Wohnungsbau organisiert oder finanziert, wird nicht weiter erörtert. Wenn die Geschichten über die enorme Ineffizienz der Berliner Verwaltung nur zum Teil stimmen, wünscht man den Berlinern, dass die Pläne des Senats Theorie bleiben. Gegeben die bisherigen Erfahrungen, spricht viel dafür.

Gäbe es wenigstens – wie in anderen europäischen Hauptstädten – eine vernünftige industrielle Basis, wäre auch die Steuerkraft der Stadt höher und sie könnte ernsthaft über eine aktivere Rolle in der Wohnungswirtschaft nachdenken. Berlin hängt jedoch am Tropf des Steuerzahlers; ein Teil der Zuschüsse dient der Finanzierung der Hauptstadtaufgaben und wird hier nicht hinterfragt.

Wichtiger ist der Finanzausgleich. Denn man kann die Finanzlage der Stadt mit den Problemen in Beziehung setzten. Allerdings ist die Kausalität nicht klar. Einerseits könnte man meinen, dass die klamme Finanzlage der Stadt durch diese Pannen und wenig durchdachten politischen Initiativen verursacht wird. Richtig ist zwar, dass jedes dieser Probleme die Lage verschlechtert.

Allerdings ist die fundamentale Logik wohl eine andere. Gerade weil die Finanzlage so schlecht ist, muss sich in Berlin niemand einschränken. Denn die Logik des Finanzausgleichs sorgt dafür, dass die Stadt bei sparsamem Umgang mit dem Geld nahezu 100 Prozent der Einsparungen weniger aus dem Finanzausgleich erhält. Das nennt man wohl Fehlanreiz.

Daraus leitet sich die These ab, dass es Berlin insgesamt viel besser ginge, wenn die Stadtoberen dazu gezwungen wären, rational zu regieren. Man könnte sich das BER-Desaster nicht leisten, und die Wohnungspolitik wäre vermutlich darauf gerichtet, wirklich etwas für Mieter zu tun und nicht populistische Ideologien zu verbreiten. Vielleicht würde man sogar Wert darauf legen, potente gewerbliche Steuerzahler anzuziehen.

Übrigens: Entwicklungshilfe hat eine ähnliche Logik. Deshalb ist die Frage nach der Lage Berlins nur geographisch eindeutig zu beantworten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%