Freytags-Frage

Soll Wissenschaft gesellschaftlich gesteuert werden?

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Die Erstklassigkeit der deutschen Wissenschaft steht auf dem Spiel

Deswegen ist die Forderung einer Bürgerbeteiligung an der Wissenschaft einigermaßen irritierend für den Wissenschaftler, wenn nicht weltfremd. Welche Bürger sollen beteiligt sein- die guten (von der Postwachstumsfraktion) oder auch die bösen (die Neoliberalen)? Oder sollen in Zukunft die Nichtregierungsorganisation attac und Pegida (ebenfalls eine Bürgerbewegung, nur zur Erinnerung) paritätisch Einfluss darauf nehmen, was an den Universitäten geforscht wird oder wer berufen wird? Das würde vermutlich darauf hinauslaufen, dass Liberale und Ausländer an deutschen Universitäten keine Chancen mehr hätten. Die berufsqualifizierenden Schriften würden wahrscheinlich daraufhin überprüft werden, ob sie dem Dogma der jeweiligen Bürgerbewegung entsprächen. Das hatten wir doch schon mal! Stillstand in der deutschen Wissenschaft und ihre Drittklassigkeit wären vermutlich die Folge.

Hinzu kommt noch, dass die Forderung nach einer Post-Wachstumsgesellschaft ein typisches Phänomen reicher Gesellschaften ist, „die schon alles haben“. Wachstum ist – empirisch betrachtet – auch eher ein von unten erfolgender Prozess; es sind Menschen mit Ambitionen, die Wachstumsprozesse auslösen. In Entwicklungsländern wird man vermutlich über den Begriff Post-Wachstum nur den Kopf schütteln. Die entscheidende Frage ist deshalb auch, wie der Wunsch vieler Menschen, der Armut zu entkommen, mit den ökologischen und klimatischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen ist. Ob ökonomische Anreize stärker wirken als der Wunsch nach einem neuen Bewusstsein, ist allein eine empirische Frage.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Forderung nach gesellschaftlich relevanter und anschlussfähiger Forschung eher durchsichtig. Es sieht mehr danach aus, bestimmte Ergebnisse als gesellschaftlich erwünscht zu präjudizieren und alternative Ergebnisse auf diese Weise auszuschließen. Das hätte mit Wissenschaft dann aber nicht mehr viel zu tun.

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