Im Moment wird eine intensive Debatte darüber geführt, ob die bisher beobachteten Preissteigerungen dauerhafter oder transitorischer Natur sind. Wären sie transitorisch, wäre es unangemessen, überhaupt von Inflation zu reden, weil es sich dann eher um eine einmalige Preisanpassung an neue Knappheiten handelte. Man könnte sie den Kosten der Corona-Bekämpfung zuschlagen; angenehmer wäre sie für die am meisten Betroffenen deshalb nicht unbedingt.
Die Position, dass die Steigerung der Inflationsrate auf zum Beispiel vier Prozent, wie sie in den USA bereits Realität und für Deutschland zum Ende des Jahres hin befürchtet wird, transitorisch ist, wird von Zentralbanken, etlichen Bankvolkswirten und vielen Professoren der Makroökonomik geteilt. Nur wenige Kolleginnen und Kollegen sehen dies anders. Die Zentralbanken wie zum Beispiel die Europäische Zentralbank (EZB) sehen offiziellen Aussagen zufolge keinen Anlass, von ihrer weiterhin permissiven Geldpolitik mit sehr niedrigem Zins und hohen Staatsanleiheankäufen abzusehen.
Möglicherweise jedoch ist es verfrüht, Entwarnung zu geben. Auf jeden Fall sollten Zentralbanken überall auf der Welt sich für den Fall wappnen, dass die Inflation über einen längeren Zeitraum, nämlich für mehrere Jahre hoch bleibt. Denn neben der Ausweitung der Geldmenge, unter anderem – aber nicht ausschließlich – wegen der Finanzierung der Rettungspakete, ist auch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gesunken. In der Eurozone fiel sie um etwa 20 Prozent im Vergleich zum Vorkrisenniveau.
Steigt die Kauflust, dürfte auch die Umlaufgeschwindigkeit wieder steigen. Treibt dies die Inflation, kann sich über weiter steigende Inflationserwartungen ein Teufelskreis ergeben. Wegen der Inflation wird eben mehr Geld ausgegeben, um manche Güter noch zu „erschwinglichen“ Preisen zu erwerben. Dies treibt dann die Inflation weiter an.
Sicherlich ist es verfrüht und übertrieben, hier eine sich ankündigende dramatische Entwicklung, gar eine Hyperinflation, zu erkennen. Richtig ist es aber, diese Trends im Blick zu behalten. Es kann keinen Zweifel geben, dass die EZB oder die amerikanische Fed dies sehr gründlich tun und sich stark bemühen werden, die Inflation niedrig zu halten.
Die Frage ist, ob ihnen das gelingen würde, wenn eine dauerhafte Geldentwertung denn eintreten würde. Sie haben sich über ihre andauernde Niedrigzinspolitik und die langanhaltende Finanzierung öffentlicher Haushalte natürlich erpressbar gemacht; vermutlich gilt dies für die EZB stärker als für die Fed. Denn eine mögliche Zinserhöhung zur Begrenzung der Inflation würde für die Regierungen in der Eurozone die Finanzierung ihrer Schulden und im Moment geplanten Defizite erheblich verteuern. Für manche Regierungen dürften die gegenwärtigen Finanzierungsbedingungen existentiell sein; mit höheren Zinsen oder ausbleibenden Anleihekäufen könnten dann ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten drohen. Ob die EZB die Kraft hat, gegen die Wünsche der versammelten Finanzminister eine stabilitätsorientierte Geldpolitik durchzusetzen, kann nicht als gegeben angenommen werden.
Vor diesem Hintergrund muss befürchtet werden, dass die EZB nur sehr widerstrebend den Geldhahn für die Regierungen abdrehen würde. Dies hätte dann eine mögliche Überhitzung der europäischen Wirtschaft mit hohen Inflationsraten und all den beschriebenen negativen Konsequenzen zur Folge. Momentan ist nicht ersichtlich, ob die EZB oder mit Abstrichen die Fed überhaupt in der Lage sind, eine restriktive und damit stabilitätsorientierte Geldpolitik zu betreiben, wenn der globale Aufschwung nach dem Ende der Coronakrise dies nahelegen sollte. Dieser drohende Kontrollverlust wirkt sehr beunruhigend.
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