Freytags-Frage

Wer profitiert von steigenden Armutszahlen?

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Die Logik des Systems

Das fundamentale Problem ist, dass Akteure der Sozialpolitik immer vom Elend anderer leben – das ist die Logik des Systems. Wenn alle Menschen in Deutschland einen Arbeitsplatz hätten, der ihnen einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen könnte, wäre Sozialpolitik weitgehend überflüssig. Das wäre gut für die Würde der Betroffenen, weil sie für sich selber einstehen könnten und weil ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eine ganz andere wäre. Das wäre aber auch ein enormer Effizienzgewinn für die Volkswirtschaft, weil die Jobs in der Sozialpolitik eher als den Transaktionskosten einer Gesellschaft als dem produktiven Zweig der Wirtschaft zuzurechnen sind, zumindest rein technisch gesprochen.

Zusammengefasst wäre die Abwesenheit von Armut also sowohl aus humanitärer also auch aus rein wirtschaftlicher Perspektive ein Gewinn für die Gesellschaft. Sie wäre aus Sicht der heute in der Sozialpolitik Tätigen nicht so zweifelsfrei positiv zu bewerten.

Man hat dann auch den Eindruck, dass die Akteure der Sozialpolitik das ganz anders sehen. Sie scheinen sich geradezu nach Armut zu sehnen, die ihnen Jobs, Verantwortung und – nicht zu vergessen – Einfluss über die Armen gibt. Immer wieder haben sich Sozialminister stolz geäußert, wenn das Sozialbudget gestiegen ist. Dies signalisiert aber – wie oben argumentiert – eigentlich das Gegenteil von gesellschaftlichem und damit sozialem Fortschritt.

Vor diesem Hintergrund muss man die Skandalisierungen und Übertreibungen von sozialpolitisch engagierten Politikern oder Wohlfahrtsverbänden kritisch sehen. Sie treiben die Menschen den Populisten in die Arme, weil die übertriebenen Thesen selber populistisch sind, denn unausgesprochen wird eine korrumpierte und selbstsüchtige Elite für das Elend verantwortlich gemacht – die Wahrheit ist viel komplexer und hat mit vielen Versäumnissen zu tun.

Besser wäre es hingegen, Sozialpolitik mit Augenmaß und dem Gefühl für die Realitäten zu betreiben. Der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat in dieser Woche mit Recht darauf hingewiesen, dass mehr Geld das Problem nicht löst. Es geht vielmehr um Bildung und Teilhabe. Wenn sich die Sozialpolitik hier mehr engagieren und weniger skandalisieren würde, wäre der Wunsch ihre Vertreter nach Armutsbekämpfung glaubwürdiger.

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