Freytags-Frage
Quelle: dpa

Entscheidet sich die Bundestagswahl auch an der Rente?

Gelingt es nicht die Alterssicherung der sogenannten Babyboomer zu sichern, droht eine erhebliche soziale Schieflage. Das Thema beharrlich zu behandeln ist staatsmännisch und ein kluger Schachzug. Eine Kolumne.

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Vor einigen Tagen hat der Parteivorsitzende der Christlich-Demokratischen Union (CDU) einen bemerkenswerten Vorstoß zur Rentenpolitik unternommen, der in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet blieb. Das ist insofern bedauerlich, als das Thema in einer alternden und immer saturierteren Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung ist.
Denn wenn es nicht gelingt, die Alterssicherung der sogenannten Babyboomer Generation, also derjenigen Menschen, die in den geburtenstärksten Jahren der Bundesrepublik zwischen 1955 und 1970 geboren wurden und von denen in einigen Jahren große Teile in den Ruhestand treten werden, nachhaltig zu organisieren, dürften erhebliche soziale Schieflagen zu erwarten sein. Dabei geht es nicht nur um die sprichwörtliche Altersarmut, sondern auch darum, dass vielen älteren Menschen mit guten Einkommen in der Gegenwart erhebliche Einschränkungen des Lebensstandards durch weitaus niedrigere Rentenzahlungen als heute noch angekündigt und allgemein erwartet drohen.

Denn in einer alternden Gesellschaft kann man einer simplen Logik nicht entkommen: Das rechnerische Verhältnis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf der einen Seite zu Rentnern und Pensionären auf der anderen Seite sinkt, d.h. die Zahlungen an eine Rentnerin müssen von immer weniger Menschen in Arbeit geleistet werden. Das lässt sich nicht ändern. Dieser Tatsache bewusst ins Auge zu sehen, ist die Aufgabe der Politik. Es gibt genau drei Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen:

  1. Erstens steigen die individuellen Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Rentenkasse, also wird tatsächlich mehr von dem arbeitenden Teil der Bevölkerung für die aktuelle Rentnergeneration geleistet. Das ist politisch nicht leicht durchsetzbar und kann zudem demotivierend wirken. Möglicherweise entscheidet sich ein Teil der besonders leistungsfähigen Jüngeren, das Land zu verlassen und anderswo zu leben und zu arbeiten. Das würde das Problem weiter verschärfen. Ein Ausweg wäre Zuwanderung; die müsste dann sehr zielgenau und auf produktive Zuwanderer setzen – angesichts der quälenden politischen Diskussion um Einwanderungspolitik kann man damit nicht so bald rechnen. Ebenfalls unrealistisch erscheint es, die Hoffnung auf einen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsschub zu setzen, der bewirken würde, dass die Löhne stark genug steigen, um die Steigerung der Beiträge für die Rentenversicherung überzukompensieren. Das Krisenmanagement in der Coronakrise hat wohl jede Illusion hier im Keim erstickt. Die bei uns zur Zeit gewählte Variante, die Beitragssätze stabil zu halten und durch einen Steuerzuschuss zur Rentenkasse zu ergänzen, ist natürlich eine Mogelpackung, denn die Steuern werden überwiegend ebenfalls von der arbeitenden Generation gezahlt.
  2. Zweitens sinken die Rentenauszahlungen mit den oben beschriebenen Folgen der Altersarmut beziehungsweise unter den Erwartungen liegenden Rentenauszahlungen. Die dadurch erzeugte allgemeine Unzufriedenheit hat vermutlich sowohl gesamtwirtschaftlich negative Konsequenzen als auch politische Verwerfungen zur Folge, die verantwortungsvolle politische Entscheidungsträger sicherlich vermeiden wollen.
  3. Drittens kann man die Lebensarbeitszeit verlängern. Das macht auch grundsätzlich Sinn, wenn man bedenkt, dass nicht nur das Lebensalter in Deutschland steigt, sondern auch die Gesundheit und Fitness im Alter. Dabei muss nach individueller körperlicher und mentaler Belastung durch die Tätigkeit differenziert werden. Aber im Grundsatz spricht alles dafür, diese Option ernsthaft ins Auge zu fassen.

In den 2000er Jahren hat der damalige Minister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering dies erkannt und dafür gesorgt, dass das Renteneintrittsalter von 65 Jahren schrittweise auf 67 Jahre erhöht wurde. Damit hat er einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung sowohl der Altersrenten und der Beitragsätze geleistet. Leider hat die sogenannte Große Koalition diese Regel durch eine Rente mit 63 für ihre besonders wichtigen Wählergruppen konterkariert.



Vor diesem Hintergrund ist es Herrn Laschet hoch anzurechnen, das Thema im Wahlkampf auf die Tagesordnung zu setzen. Vor allem seine Idee, alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen in die Diskussion einzubeziehen, ist klug. Er hat Recht mit der Aussage, dass die Rentenpolitik, auf die wir uns heute einigen, bindende Wirkung für zukünftige Regierungen hat. Außerdem ist die Entscheidung über Rentenpolitik in einer alternden Gesellschaft immer schwierig. Die drei Optionen – höhere Beiträge, geringere Altersrenten, längere Lebensarbeitszeit – sind sämtlich unpopulär. Sie helfen in der langen Frist und schaden kurzfristig. Jede Regierung, die dieses Thema aufgreift, riskiert politischen Widerstand bis hin zur Abwahl. Deswegen wird das Thema immer wieder vertagt.
Aber angesichts der drängenden demographischen Entwicklung – nochmals: in den kommenden zehn Jahren werden große Teile der Bevölkerung in den Ruhestand treten – kann man nicht länger wegsehen. Hier einen Pflock einzurammen und das Thema beharrlich zu behandeln, ist nicht nur staatsmännisch, sondern kann auch politisch ein kluger Schachzug sein. Denn die Alterssicherung wird jetzt für immer mehr Menschen real. Damit steigt die Bereitschaft der Öffentlichkeit, sich mit dem Trilemma auseinanderzusetzen, das oben beschrieben wurde.

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