Am kommenden Dienstag wird die Kanzlerin zum dritten Mal wiedergewählt – ernsthafte Zweifel sind wohl nicht angebracht. Eine Zustimmung zur Großen Koalition durch die SPD ist sehr wahrscheinlich. Damit beginnt dann auch zum dritten Mal eine Legislaturperiode mit einer schwarz-roten Koalition.
Mit dem Wort groß verbinden sich normalerweise positive Erwartungen, die in diesem Fall allerdings nicht gerechtfertigt zu sein scheinen. Zu kleinteilig sind die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen, zu frappierend ist das Ausklammern der wichtigen politischen Zukunftsfragen, zu großzügig sind die Geschenke an gut organisierte Interessengruppen wie Rentner und Produzenten erneuerbarer Energien.
Was vor allem zu fehlen scheint, ist ein ordnungspolitischer Kompass. Darunter versteht man gemeinhin eine Vorstellung der politischen Entscheidungsträger darüber, wie eine Wirtschaftsordnung auszusehen hat und wie die Einzelmaßnahmen zu einem großen Ganzen verschmelzen. Mit anderen Worten, Einzelmaßnahmen müssen daraufhin geprüft werden, wie sie miteinander reagieren und wie sie in der langen Frist wirken. Dies ist im Koalitionsvertrag nicht zu sehen. Zwei Beispiele:
Die Rettungspakete für Griechenland, Spanien und Portugal in Verbindung mit der (von den Finanzministern vehement geforderten) Politik des billigen Geldes der EZB sorgen unter anderem dafür, dass mehr Kapital aus den Peripherieländern in den deutschen Immobilienmarkt fließt. Dadurch steigen die Preise für Grundstücke und Häuser mit der Folge von Mietpreissteigerungen. Diese mit der geplanten Mietpreisbremse zu bekämpfen, ist in sich nicht schlüssig, denn die Investitionen sind nicht rationalen Renditeüberlegungen gefolgt, sondern dienen dem Schutz des Vermögens. Eine politisch bedingte Verzerrung bedingt den nächsten Eingriff, ohne dass das Problem (ein reduziertes Angebot an bezahlbarem Wohnraum) gelöst würde. Es ist zu erwarten, dass es Ausweichreaktionen gibt, z.B. Investitionen in Büro- und Gewerbeflächen, die dann wiederum als Kostenerhöhungen die deutsche Wirtschaft negativ betreffen. Eine denkbare Folge wäre die erneute Intervention zum Schutz der betroffenen Arbeitsplätze.
Ein weiteres krasses Beispiel für fehlendes ordnungspolitisches Bewusstsein offenbart sich in der Umsetzung der geplanten Energiewende, für die in der Tat einiges spricht. Klimafreundliche Politik ist als solche sinnvoll, und die Endlichkeit fossiler Brennstoffe ist ebenfalls ein Argument dafür. Die Umsetzung erfolgt allerdings in planwirtschaftlicher und anreizinkompatibler und deshalb ineffizienter und verteilungspolitisch bedenklicher Weise. Erstens kann ein nationaler Alleingang im Klimaschutz wenig ausrichten; der sog. „Rebound-Effekt“ spricht dagegen. Aber selbst wenn man dies akzeptiert und die Vorreiterrolle auch aus innovationspolitischer Perspektive positiv sieht, ist die Energiewende sehr schlecht konzipiert. Anstatt z.B. mittels quantitativer Vorgaben zum Angebot erneuerbarer Energien, sog. Quoten, das Verhalten zu lenken und dabei den Marktteilnehmern die Wahl der jeweils gewählten „grünen“ Technologie selber zu überlassen, gibt es exakte Preisvorgaben in Kombination mit großzügigen Ausnahmen für besonders energieintensive Industrien. Derartige Ausnahmen sind weder klimafreundlich, noch tragen sie der Endlichkeit traditioneller Brennstoffe Rechnung. Zudem belastet die Politik insbesondere einkommensschwache Haushalte und sorgt für Verzerrungen auf dem Markt für „grüne“ Technologien.
Die Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU und SPD geben weitere Beispiele her: Mindestlohn, Rentenanpassungen, Finanztransaktionsteuer und die Fiskal- und Steuerpolitik allgemein weisen erhebliche Inkonsistenzen und Widersprüche zu andern Politikfeldern auf.
In Deutschland läuft derzeit einiges schief
Was ist das Problem? Dadurch dass Politikmaßnahmen entweder komplett anreizinkompatibel sind, nur auf die kurze Frist zielen oder im Widerspruch zu herrschenden Gesetzen bzw. anderen Maßnahmen stehen, können sie ihre gutgemeinte Wirkung nicht entfalten. Die Mietpreisbremse z.B. wird eben nicht zu dem gewünschten und wünschenswerten Ergebnis bezahlbaren Wohnraumes für alle führen, weil sie neben dem Mietpreis auch die Investitionsbereitschaft bremst. Denn der Preis als Signal wird ausgeschaltet. Staatlich gesetzte Lohnuntergrenzen steigern höchstwahrscheinlich die Arbeitslosigkeit unter den niedrig qualifizierten Arbeitnehmern. Beides kann man nicht als sozial bezeichnen (es bewirkt aber eine Aufgabensteigerung für Sozialpolitiker!) Dies ist keine sonderlich neue Erkenntnis; deshalb überraschen diese Vorhaben auch besonders.
Gerade weil sie diese Probleme zu vermeiden in der Lage war, ist die Soziale Marktwirtschaft eine so erfolgreiche Wirtschaftsordnung gewesen. Wirtschaftspolitische Einzelmaßnahmen wurden auf interne und externe Konsistenz geprüft, die Wirtschaftspolitik war langfristig ausgerichtet, und es gab eine Konstanz der Wirtschaftspolitik, wodurch die Erwartungen potentieller und tatsächlicher Investoren stabilisiert werden konnten. Darüber hinaus wurde großer Wert auf die Überschneidung von Kompetenz und Haftung gelegt, was bei den Akteuren naturgemäß zu sorgsamen Umgang mit den Ressourcen geführt hat. Die gegenwärtigen Probleme bei der Krisenbewältigung in der Eurozone zeigen die Folgen des Auseinanderdriftens von Kompetenz und Haftung.
Zusätzlich zu diesen Regeln ist die Soziale Marktwirtschaft dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen eine hohe Eigenverantwortung haben und dennoch nicht ins Bodenlose fallen, wenn sie – aus welchem Grund auch immer – wirtschaftlich in Schwierigkeiten gerieten. Wettbewerb wird als Instrument verstanden, und Preise dienen als Signale von Knappheit. Das Soziale resultiert dann auch sowohl aus den Marktchancen als auch aus der Umverteilung zugunsten der objektiv Schwächeren.
Anders gewendet: „Wohlstand für alle“ bedeutet Chancen für alle, insbesondere durch Bildung und einen attraktiven Investitionsstandort in Verbindung mit einem gerechten Steuersystem und sozialer Absicherung. Nicht gemeint ist Rundumversorgung und staatliche Wohltaten für einige (und nicht unbedingt die am meisten Bedürftigen) und Belastungen sowie Bevormundung für alle. Die Soziale Marktwirtschaft sieht die Menschen gerade nicht als Opfer, sondern sie wird von Menschen in Würde getragen.
Diesbezüglich läuft in Deutschland zur Zeit einiges schief. Die Politik ist gerade dabei, die Marktchancen vieler Bürger einzuschränken, obwohl sie versucht, gerechter zu sein. Sowohl Mindestlohn als auch Höchstmieten als auch die ebenfalls geplanten weitreichenden Quotenregelungen sind von der Begründung her nachvollziehbar. Wer gönnt es den Arbeitnehmern nicht, von ihrer Arbeit gut leben zu können? Wer wollte den Menschen bezahlbaren Wohnraum verweigern? Und wer wollte gutqualifizierten Frauen den Zugang zu attraktiven Arbeitsplätzen verwehren?
Als Instrumente, diese Ziele zu erreichen, taugen Mindest- bzw. Höchstpreise und Quoten weniger. Genauso sollte die Politik nicht länger allem unmittelbar Wünschenswerten und der Einzelfallgerechtigkeit hinterher hecheln. Nicht jede Mietsteigerung muss skandalisiert werden, nicht jede Bonuszahlung an einen Banker ist sofort ungerecht. Es geht um Regeln, die allen eine Chance einräumen – nutzen müssen sie die Menschen selber.
Es ist an der Zeit, dass die Politik den ordnungspolitischen Kompass wieder anschaltet. Nur dann hat die Soziale Marktwirtschaft und damit das Credo „Wohlstand für alle“ eine Zukunft. Ob die GroKo das hinbekommt?