Freytags-Frage

Ist der ostdeutsche Mann schuld am AfD-Erfolg?

Deutschland ist immer noch in Ost und West gespalten. Das ist für viele die Schlussfolgerung, nachdem die AfD im Osten bei der Wahl besonders gut abgeschnitten hat. Doch das eigentliche Problem ist ein anderes.

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AfD-Demonstration Quelle: dpa

Nach dem Einzug der Alternative für Deutschland – und dann noch als drittstärkste Fraktion – in den Deutschen Bundestag hat eine Debatte darüber begonnen, wie dies nur passieren konnte und wer daran wohl Schuld hat. Dabei gehen die Argumente bisweilen reichlich durcheinander.

Klar ist, dass die AfD in den neuen Ländern im Durchschnitt besser abgeschnitten hat als im Westen, wenn man von Ausnahmen absieht. Klar ist auch, dass mehr als die Hälfte der AfD-Wähler hinterher eingeräumt hat, dass sie nicht hinter den Inhalten der AfD stehen, sondern die Partei aus Protest gewählt haben. Klar ist damit auch, dass der Erfolg der AfD nicht aufgrund der guten inhaltlichen Vorstellungen und Argumente (welche Inhalte?) der Partei liegt. Er ist das Produkt des Versagens der politischen Entscheidungsträger in Regierung und Opposition, das in einem seit Jahrzehnten nicht gesehen Ausmaß an Unzufriedenheit gipfelt.

Das sehen nicht alle so. In den Fernsehtalkshows überbieten sich die Selbstgerechten und politisch so Korrekten damit, einen neuen Schuldigen zu finden: den Ostdeutschen! Hier wird tatsächlich nicht diskriminiert, sondern das Ziel der Kritik ist der ostdeutsche Mann in mittleren Jahren. Dieser Archetyp wird als fremdenfeindlich, vorurteilsbehaftet und undemokratisch gesehen. Er sei sozusagen noch nicht in der Demokratie angekommen. Die neue Kritik an den Ostdeutschen klingt jedoch so, als ob nur die und der westdeutsche Altlinke mit Vorliebe für toskanische Rotweine und Altbauwohnungen echte Demokraten seien. 

Das ist falsch, denn es ist zunächst nichts Unzulässiges daran, die AfD zu wählen. Man könnte es im Gegenteil für ein Zeichen einer reifen Demokratie nehmen, dass ein neuer Wettbewerber ein erstarrtes politisches Kartell der guten Absichten angreift – und dies recht erfolgreich. Das Erschreckende ist dabei nicht, dass viele Unzufriedene dort ihr Kreuz machen, sondern dass es der AfD gelingt, mit so wenig Substanz und so viel Hass beziehungsweise Lüge recht stark in den Bundestag einzuziehen. Keines der Probleme, dass die Menschen bewegt, kann die AfD lösen. Wahrscheinlich wollen es deren Abgeordneten gar nicht. 

Zum Glück hat Bundespräsident Frank-Waltee Steinmeier in seiner Rede zum Tag der Einheit die richtigen Schlüsse gezogen. Er hat die Wähler gerade nicht als zu dumm, ungebildet, rechts oder lernresistent bezeichnet, sondern auf die Probleme hingewiesen, die die Vereinfacher und Populisten gestärkt haben.

Diese Probleme sind vielfältig und erschöpfen sich keineswegs in der Thematik des Asylrechts und der Behandlung der Geflüchteten. 

• Vermutlich wären die Geflüchteten weit weniger problematisch gesehen worden, wenn es nicht seit langem einen Trend zur Spaltung der Gesellschaft geben würde. Dennoch darf man die Frage der Migration im Grundsatz nicht kleinreden. Die Politik scheint dies auch begriffen zu haben. 

• Es war vermutlich auch kein Zufall, dass gerade dort, wo sich der Staat aus dem öffentlichen Leben zurückzieht und zum Beispiel Bibliothek, Jugendzentrum und Schwimmbad längst geschlossen sind, ankommende Geflüchtete besonders unfreundlich empfangen worden sind. Dies ist in den neuen Ländern häufiger der Fall als im Westen, schon wegen der demographischen Entwicklung. Die Vernachlässigung der ländlichen Regionen ist vermutlich ein gravierendes Problem, das zu lösen in der Tat nicht einfach ist. Denn es ergibt sich ein Teufelskreis: Sinkt die Versorgung einer Region mit öffentlicher Infrastruktur ab, wandern junge produktive Menschen ab. Dadurch sinken die Möglichkeiten der Versorgung mit Infrastruktur weiter. 

• Die Politik muss sich gerade um die zumeist ländlichen Regionen kümmern, die keine weltmarktfähigen Produkte anzubieten haben und deshalb zurückfallen. Es reicht also nicht, den Strukturwandel nur mit Transfers zu bewältigen. Die Menschen dort brauchen Teilhabe und Sinn im Leben, den der Staat sicherlich nicht stiften kann. Aber es können die Voraussetzungen geschaffen werden. Es erfordert Kreativität, ist aber möglich – in den Städten gelingt es auch.

• Auch die – zumindest gefühlte – Verlagerung der Entscheidungen über die Belange der Menschen in die europäischen Institutionen oder internationale Firmenzentralen führen zu Enttäuschung vor Ort. Es entsteht das Gefühl, dass die Globalisierung keine Vorteile bringt. Derartige Vorteile sind nicht sichtbar, weil in der Produktwelt versteckt. 

• Damit ist der Heimatverlust beschrieben, auf den die AfD gesetzt hat. Mit dem Versprechen, die Uhr zurückzudrehen und Deutschland wieder in die guten alten Zeiten zu führen, konnten Stimmen gefangen werden. Aber seien wir ehrlich: Wer will die 1960er oder die 1970er Jahre zurück? Man denke beispielsweise an die langsamen und teuren Telefonverbindungen, die miese Umweltqualität und die schlechte Bahn, nur um einiges (im Westen und im Osten) zu nennen. 

Diese so beschriebenen Schwierigkeiten sind im Osten des Landes etwas weiter verbreitet als im Westen. Deshalb ist „der Ostdeutsche“ auch nicht das Problem. Es sei übrigens darauf verwiesen, dass die Anpassungslast der Wiedervereinigung nahezu komplett auf den Ostdeutschen gelegen hat. Ihre Biographien sind vielfach entwertet worden (selbst wenn sie nicht zu den Handlangern des Regimes zählten), viele mussten neue Jobs finden und dazu neue Berufe lernen. Das haben sie in der überwiegenden Mehrzahl hervorragend gemeistert. Die Bundesrepublik war 1989 ein strukturschwaches Industrieland, das durch die Wiedervereinigung ein gewaltiges Konjunkturprogramm und deren Bewohner – wie der Kolumnist – millionenfache Chancen eingeräumt bekamen. Schon deshalb verbietet sich hier Arroganz einiger westdeutscher Beobachter.

Wir haben kein Ost-West-Problem. Wir haben die typischen Probleme offener, moderner Gesellschaften. Dort gilt nach Auffassung des britischen Journalisten David Goodhart die Unterscheidung zwischen den “Anywheres“, also denjenigen Kosmopoliten, die überall – z.B. mit dem Laptop im Cafe in Südeuropa oder Asien – arbeiten und leben können, und den “Somewheres“, die räumlich gebunden sind und in ihrer Heimat leben wollen. Sie sind damit anfälliger gegen Krisen und Verlust. Zu lange wurde diese Entwicklung von der Öffentlichkeit und ihrer Repräsentanten ignoriert.

Steinmeier hat Recht damit, dass alles getan werden muss, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden - das ist eine Herkulesaufgabe. Zurecht fordert er auch, den Heimatbegriff nicht der AfD und ihrer Rückwärtsgewandtheit zu überlassen. In der Globalisierung gewinnt Heimat an Bedeutung. Sie drückt sich in Sprache, Traditionen und anderen Gemeinsamkeiten aus und verbindet damit die Menschen. Sie macht dann auch Integration von Migranten leichter. Und sie ist Politik für die „Somewheres“, die – und das ist leider in Vergessenheit geraten – das Rückgrat der Gesellschaft bilden. Je besser es den „Somewheres“ geht, umso leichter können sich die „Anywhweres“ überall bewegen.

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